15. Unendlich viele Tränen

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Clint saß immer noch neben meinem Kopf und versuchte mich zu beruhigen, indem er mir über die Stirn strich, denn mittlerweile hatte ich wieder genug Kraft, um zu weinen. Zwar schluchzte ich nicht mehr so unkontrolliert, aber die Tränen bahnten sich ihren Weg über meine Wangen.
Nach kurzer Zeit richtete er sich auf und versuchte vorsichtig, Stans Körper von mir zu bewegen. Zuerst schien er nicht stark genug zu sein, aber dann strengte er sich mehr an und schaffte es, ihn neben mich zu rollen.
Endlich konnte ich wieder frei atmen und schnappte nach Luft. Ich hatte gewusst, dass leblose Körper schwerer zu bewegen waren und auch gefühlt mehr wogen als lebendige, aber dass es so einen Unterschied machte, hatte ich nicht gedacht. Clint wohl auch nicht, denn er schien nicht damit gerechnet zu haben, dass er sich so anstrengen musste.
Durch die wiederhergestellte Sauerstoffzufuhr merkte ich sofort, dass meine Kraft mich wieder durchströmte, öffnete meine Augen und versuchte mich aufzusetzen, wobei Clint mir helfen musste. Meine rechte Seite stach, aber als ich mein Oberteil hochzog, um zu schauen, ob der Verband wieder rot war, war er noch genauso weiß, wie beim Umlegen. Ich atmete erleichtert auf und auch Clint schien ein Stein vom Herzen zu fallen.
Kurz fühlte ich mich richtig gut, weil mir anscheinend nichts passiert war, bis ich zu der Stelle blickte, an der ich eben noch gelegen hatte. Ich schnappte entsetzt nach Luft und hielt mir die Hände vor den Mund, um mich nicht zu übergeben. Eine riesige Blutlache war da und ich wusste, dass ich mit der Schere irgendetwas Wichtiges getroffen hatte und das, was ich längst gewusst hatte, zur schrecklichen Wahrheit wurde – ich hatte Stan getötet.
Wieder spürte ich die heißen Tränen meine Wangen herunter laufen und dieses Mal konnte ich nicht mehr an mich halten. Die Schluchzer schüttelten mich und ich bekam wieder kaum Luft, weil ich drohte, einen hysterischen Anfall zu bekommen. Zusammengekauert saß ich an die Wand neben der Tür gelehnt, während Clint versuchte mich irgendwie zu beruhigen, indem er unbeholfen seinen Arm um mich legte und mir mit der anderen Hand über den Kopf strich.
„Pscht, hey, alles wird gut. Du hast dich nur gewehrt, er war nicht er selbst. Das hier wäre früher oder später eh so geendet." Ich wusste, dass er Recht hatte und auch, dass niemand mich für das verurteilen würde, was passiert war, denn ich hatte mich ja wirklich nur gewehrt, aber trotzdem war da dieser Gedanke in meinem Kopf, den ich nicht mehr los wurde und auch niemals vergessen würde.
Du hast gerade einen Menschen getötet.
Einen Jungen, der garantiert jünger gewesen war als ich, der mich gekannt hatte, der mir noch gestern Abend erzählt hatte, dass er mich früher immer beobachtet hatte, während ich nicht einmal gewusst hatte, dass er existierte.
Bis heute.
Denn ich würde ihn garantiert nie wieder vergessen, da war ich sicher. So etwas konnte niemand vergessen.
Die Schluchzer schüttelten mich, als ich meine Augen ein wenig öffnete und zu seinem toten Körper herüber sah. Das konnte einfach nicht wahr sein. Es durfte einfach nicht.
Ich betete innerlich, dass ich gleich neben Newt aufwachen würde, in dem kleinen Zimmer, an das ich mich erinnert hatte, und all das hier nur ein schlechter Traum gewesen war. Dass ich wieder wüsste, wer ich war und wo wir waren und dass wir unser Leben weiter leben würden, irgendwo, ohne die Bilder, die ich jetzt nie wieder loswerden würde.
Aber ich wachte nicht auf, denn ich schlief natürlich auch nicht. Ich war wirklich hier, saß in dieser Hütte neben dem leblosen Körper des Jungen, den ich vor ein paar Minuten getötet hatte und konnte einfach nicht aufhören zu weinen. Nichts, was Clint versuchte, half. Ich beruhigte mich erst etwas, als wieder Schritte auf uns zukamen und Newt mit Alby und Nick hereinstürzte. Sofort ließ er sich neben mir auf die Knie fallen und nahm mich in den Arm.
Wenn ich eben noch gedacht hatte, ich hätte mich ein wenig durch die Anwesenheit der Anderen beruhigt, dann hatte ich mich geirrt. Kaum lag mein Kopf an Newts Brust, weinte ich schlimmer denn je und krallte meine Fäuste in sein Oberteil. Er strich mir beruhigend über den Rücken und küsste mich vorsichtig auf die Stirn, immer wieder.
Irgendwann, als die anderen Jungen schon lange dabei waren, Stan genauer zu untersuchen und bereits festgestellt hatten, dass die Schere, die ich ihm in die Seite gerammt hatte, seine Lunge getroffen haben musste, ebbten die Schluchzer endlich ab und ich glaubte, komplett tränenleer zu sein, als hätte ich alle meine Reserven verbraucht.
Mit pochendem Kopf und schwer atmend lehnte ich noch immer gegen Newts Brust und er ließ mich nicht eine Sekunde auch nur etwas los. Er kniete vor mir und wiegte mich vor uns zurück, während er mir immer noch zärtlich über den Rücken strich.
Ich fühlte mich, als hätte ich 40 Grad Fieber, so unerträglich war der Schmerz in meinem Kopf, den die vielen Schluchzer ausgelöst hatten. Ich fühlte mich schrecklich schlapp und drohte, einfach weg zu dämmern, als schon wieder Schritte auf die Hütte zukamen. Dieses Mal waren es viele Füße und ich war sicher, dass die restlichen Lichter auf uns aufmerksam geworden waren.
Ich sah leicht auf und sah, wie zuerst Minho die Tür erreichte und wie angewurzelt stehen blieb, während er sich am Türrahmen festhielt, um seinen Schwung abzufangen. Er schnappte voller Entsetzen nach Luft und riss seine sonst so schmalen Augen weit auf.
Hinter ihm hörte ich Gemurmel, manches lauter, manches leiser und dann hörte ich jemanden fluchen.
„Verdammt, lasst mich durch, ihr Strünke! Minho, was ist hier passiert?!"
Gally schubste ihn förmlich zur Seite und blieb dann ebenfalls wie angewurzelt stehen, als er Stan erblickte und das viele Blut sah. Uns konnte er nicht sofort sehen, denn wir saßen ja immer noch neben der Tür.
„Wo ist sie?!" Jetzt brüllte er fast.
„Ich bin hier Gally", krächzte ich heiser und er wirbelte sofort zu uns herum.
„Oh Gott, scheiße, dir geht es gut!" Er ließ sich auf die Knie fallen, Newt gab mich frei und ich fiel ihm in die Arme. Wenn ich noch Tränen übrig gehabt hätte, hätte ich wahrscheinlich schon wieder angefangen zu weinen, aber so vergrub ich mein Gesicht einfach an seiner Brust und ließ mich von ihm an sich drücken, ohne mich über die Schmerzen zu beschweren.
Es hätte mir wirklich schlechter gehen können, das wusste ich jetzt.

Into The WICKED Maze | A Maze Runner StoryWhere stories live. Discover now