64. Einer von ihnen

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„Hey, Anna, wach auf!"
Newt rüttelte vorsichtig an meiner Schulter. Ich öffnete die Augen und erkannte, dass es hell war. Verschlafen setzte ich mich auf und sah mich um. Neben mir weckte Newt gerade Chuck und ein paar Meter weiter rüttelte Minho an Fry Pans Schulter. Winston war bereits wach und streckte sich.
Wir waren spät eingeschlafen, natürlich auf dem Gras, denn alles andere war ja schließlich zerstört worden. Von Gally und den anderen Lichtern hatten wir nichts mehr gesehen, nur dass sie den bewusstlosen Thomas und Teresa ins Loch gebracht hatten, war nicht zu überhören gewesen, weil sie Gally in einer Tour angeschrien hatte.
„Na komm, lass uns nach Thomas sehen gehen", sagte Newt und hielt mir eine Hand hin, an der ich mich hochzog.
Zusammen mit Minho und Chuck machten wir uns auf den Weg zum Loch, wofür wir die gesamte Lichtung überqueren mussten. Um uns herum waren die Feuer mittlerweile erloschen und die Lichter waren gerade dabei, die Leichen wegzutragen. Auch Winston und Fry Pan begannen, mitzuhelfen.
Wir erreichten die Zellen und sahen, dass Thomas noch immer bewusstlos war. Teresa kniete auf dem Boden und hatte seinen Kopf auf ihren Schoß gelegt, während sie ihm gedankenverloren durch die Haare strich. Irgendwie sah das süß aus, fand ich und fragte mich sogleich, wie ich in solch einer Situation über so etwas nachdenken konnte.
„Morgen", begrüßten wir sie und setzten uns vor das Gitter.
Sie nickte uns zu und ich legte mein Kinn auf eine Stange, während wir warteten, dass Thomas endlich wieder zu Bewusstsein kam.
Irgendwann, es musste eine halbe Stunde oder sogar mehr vergangen sein, in der ich beinahe wieder eingeschlafen war, öffnete er plötzlich die Augen und sah Teresa an.
„Hey", sagte sie und strich ihm wieder durch die Haare. „Alles okay?"
Er bewegte seinen Kopf ein wenig und sah ihr unverwandt in die Augen, als Chuck sie unterbrach.
„Was hast du dir nur dabei gedacht?!", fragte er erzürnt.
Jetzt setzte Thomas sich auf und sah zu und hoch. „Was ist passiert?"
„Gally hat die Kontrolle übernommen. Er sagt, wir haben die Wahl: Entweder folgen wir ihm oder wir werden zusammen mit dir verbannt." Newt klang ruhig, aber Thomas sah ihn entsetzt an, als er sich noch mehr aufrichtete.
„Und die anderen waren einverstanden?"
„Gally hat alle davon überzeugt, dass du der Grund bist, warum das alles passiert..." Teresa sah ihn traurig an.
Jetzt setzte Thomas sich auf seinen Hintern und lehnte sich gegen die Wand.
„Na ja, bis jetzt hat er Recht", sagte er resigniert.
Wir sahen ihn verwirrt an.
„Was redest du da für'n Zeug?", fragte Minho.
„Hast du dich erinnert?" Eigentlich wusste ich die Antwort schon.
„Dieser verfluchte Ort... er ist nicht das, was wir dachten. Das ist kein Gefängnis, das ist ein Test. Angefangen hat alles, als wir noch klein waren." Thomas machte eine Pause und ich starrte ihn an. Plötzlich war mir, als erinnerte ich mich an etwas. Wie er so dasaß und uns ansah, voller Reue oder was es war, kam er mir so bekannt vor, dass ich mir sicher war, dass ich mich an ihn erinnerte.
Als er weiter sprach, schlug mein Herz immer schneller und immer mehr bruchstückhafte Erinnerungen schossen vor meinem geistigen Auge vorbei. Mein Blick fiel auf Teresa und auch sie schien sich an irgendetwas zu erinnern, denn sie sah starr ins Leere.
„Sie stellen uns vor Herausvorderrungen. Sie haben Experimente an uns durchgeführt. Und dann verschwanden die Leute plötzlich. Jeden Monat, einer nach dem anderen, wie ein Uhrwerk."
„Sie wurden ins Labyrinth gebracht?", fragte Newt.
„Ja, aber nicht alle von uns."
„Wie meinst du das?" Jetzt klang er misstrauisch.
Thomas machte eine Pause, bevor er weiter sprach. Ich starrte ihn noch immer mit großen Augen an, als ich mich an die Träume erinnerte, die ich gehabt hatte. Die Monitore, auf denen die Lichtung abgebildet gewesen war. Der Junge und das Mädchen, die gemeinsam mit Newt und mir dort gesessen hatten. Dann war Newt nicht mehr bei uns gewesen. Ich erinnerte mich an die Trauer und die Verzweiflung, die ich gespürt hatte, als man ihn mir genommen hatte. Und plötzlich hatten die beiden Gesichter. Ich erkannte Thomas und Teresa.
Jetzt wurde alles klarer. Ich kniff die Augen zusammen und ließ die Bilder in meinen Kopf, als Thomas weitersprach. Und mit jedem Wort, das er sagte, erschien ein neues Bild.
„Jungs, ich bin einer von denen. Die Leute, die euch hergebracht haben – ich hab mit ihnen gearbeitet. Ich... Ich hab euch Jahre lang beobachtet. Die ganze Zeit über, die ihr hier wart, ich... Da war ich auf der anderen Seite. Und du auch, Teresa."
„Was?", fragte sie schwach.
„Wir haben ihnen das angetan, Teresa."
Sie schüttelte verwirrt mit dem Kopf. „Nein. Das kann einfach nicht sein." Eine Träne lief ihr die Wange herunter.
„Es ist so. Ich hab's gesehen."
„Aber warum schicken die uns hierher, wenn wir doch mit ihnen arbeiten?"
Thomas schüttelte den Kopf. „Das spielt keine Rolle."
Jetzt schienen alle Erinnerungen, die ich in der Lage war zu greifen, da zu sein. Ich hatte gedacht, dass wenn ich mich erinnerte, dass ich mich dann an alles erinnern würde. Aber dem war nicht so. Ich erinnerte mich an die Monitore, an Thomas und Teresa. Ich erinnerte mich daran, dass Newt und ich eine kurze Zeit lang bei ihnen gearbeitet hatten, man dann aber zuerst ihn und dann offensichtlich auch mich hergebracht hatte. Aber an die anderen Dinge, an andere Menschen, andere Geschichten, erinnerte ich mich nicht. Ein Schleier legte sich um das, was ich wusste und schirmte alles andere davon ab. Die Erinnerungen kamen mir vor wie aus einer anderen Welt, aus einem anderen Leben, so als wäre nicht ich es gewesen, die sie erlebt hatte.
Und als Newt jetzt zu sprechen begann, wusste ich, dass er Recht hatte. Es spielte keine Rolle, ob und an was ich mich erinnerte. Ich war jetzt hier und das hier war mein Leben, nicht das, was davor gewesen war. Und auf einmal war es gar nicht mehr schlimm, dass ich mein altes Ich und mein altes Leben vergessen hatte. Was zählte waren die Menschen, die gerade neben mir saßen und was aus ihnen wurde – mehr nicht.
„Er hat Recht", sagte er. „Es spielt keine Rolle. Nichts davon. Denn die Menschen, die wir vor dem Labyrinth waren, sie existieren nicht mehr. Dafür haben die Schöpfer gesorgt. Aber was eine Rolle spielt, ist wer wir jetzt sind und was wir tun, hier und jetzt. Du bist ins Labyrinth gegangen und hast 'nen Ausgang gefunden."
„Aber hätte ich das nicht getan, wär' Alby jetzt noch am Leben."
„Vielleicht. Aber ich weiß, wenn er jetzt hier wäre, würde er dir ganz genau dasselbe sagen. Reiß dich zusammen und beende, was du angefangen hast. Denn wenn wir jetzt nichts tun, dann ist Alby umsonst gestorben und das kann ich nicht zulassen."
Ich hatte gar nicht bemerkt, dass ich begonnen hatte, zu weinen, aber jetzt wischte ich mir die Tränen von den Wangen und griff nach Newts Hand.
„Okay." Auch Thomas hatte feuchte Augen. „Okay, aber vorher müssen wir noch an Gally vorbei."
„Ich weiß, wie wir es machen." Jetzt sahen alle mich an.
Und ich begann, ihnen meinen Plan zu erzählen.

Into The WICKED Maze | A Maze Runner StoryOnde histórias criam vida. Descubra agora