48. Ein Freund muss gehen

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Am Abend war es soweit. Kurz bevor die Tore sich schlossen, versammelten sich alle Lichter vor dem Eingang ins Labyrinth. Ich klopfte vorsichtig an der Tür unserer Hütte und bevor ich sie öffnen konnte, kam Minho heraus und machte sich ohne ein Wort auf den Weg zum Bau, wo Ben immer noch war und auf seine Verbannung wartete. Ich folgte ihm stumm und konnte seine Anspannung förmlich spüren.
In dem kurzen Moment, in dem ich sein Gesicht gesehen hatte, war ich mir sicher gewesen, dass seine Augen ein wenig rot waren. Er hatte geweint und ich war sauer auf mich selber, dass ich nicht für ihn da gewesen war. Gleichzeitig wusste ich aber auch, dass er hatte alleine sein wollen.
Wir erreichten den Bau und fanden einen wimmernden Ben vor, der uns anflehte, wir sollten ihn frei lassen. Immer noch ohne ein Wort packte Minho ihn, und holte ihn aus dem Loch heraus, wobei er ihn nicht einmal ansah. Ich griff ebenfalls nach ihm und hielt ihn an seinen Fesseln fest. So machten wir uns auf den Weg zum Tor.
Als wir die Lichter erreichten, stieß er unaufhörlich Bitten aus, seine Stimme verändert durch die Verwandlung.
„Hört mir doch zu, hört mir doch einfach mal zu!" Dann etwas deutlicher: „Bitte, Minho! Anna!" Und als wir an Alby vorbei liefen fauchte er: „Alby!"
Newt sah mich mit Mitleid im Blick an und ich schaute schnell wieder weg, bevor die Tränen sich ihren Weg in meine Augen bahnen konnten.
Als wir in dem Kreis aus Lichtern angekommen waren, richteten sie ihre spitzen Stäbe auf uns, um Ben fernzuhalten. Die Hüter, Alby und Newt standen hinter uns, ihre Vorrichtungen, mit denen sie ihn ins Labyrinth schieben würden, noch aufgerichtet und Ben ließ sich auf die Knie fallen.
Minho holte ein Messer raus und schnitt die Fesseln auf, während ich ein Stück zur Seite trat, die Tasche mit Vorräten, die Fry Pan wie immer gepackt hatte, aufhob und sie dann Minho hinhielt.
Er nahm sie und sah mir dabei das erste Mal in die Augen. Ich erschrak, denn ich konnte darin nichts als Verzweiflung sehen und ich wusste, dass er mich jetzt brauchte. Also trat ich mit ihm gemeinsam an den Rand des Labyrinths und wartete.
Jetzt warf er die Tasche ein Stück ins Labyrinth hinein, während Ben die ganze Zeit vor sich hin wimmerte und uns anflehte, wir sollten ihm helfen. Immer wieder sagte er meinen Namen und jedes Mal durchzog es mich wie ein Stich.
Ich sah, wie Chuck und Thomas angelaufen kamen, der Neue sah ziemlich entsetzt aus, als er zu verstehen schien, was hier gerade ablief. Aber keiner von uns konnte es ändern, schließlich mussten wir uns beschützen.
Das Geräusch, das das Schließen der Tore ankündigte, ertönte und Ben schrie immer lauter und verzweifelter. Er sah zu uns hoch und es zerriss mir fast das Herz zu sehen, wie er Minho ansah. Ich spürte, wie dieser meine Hand suchte, ergriff seine, die schweißnass war, und drückte sie.
„Beginnt!", rief Alby und die Hüter richteten ihre Stäbe auf Ben, der sich jetzt, immer noch schreiend zu ihnen umdrehte und voller Entsetzen zu ihnen aufsah.
„Nein, nein, nein!", schrie er immer wieder und Minho drückte meine Hand noch fester, als ich ihn zwischen zwei Schlitzern aus dem Kreis zog. Chuck, der bis gerade neben Thomas gestanden hatte, drehte sich um und ging.
Jetzt war Ben auf den Beinen und versuchte, durch die Vorrichtungen der Hüter zu brechen, aber Newt und Alby drückten immer weiter. So schoben sie ihn mit vereinten Kräften immer weiter Richtung Tor, während er schrie: „Bitte nicht! Bitte nicht! Hört mir doch zu! Bitte! Nein, ihr versteht das nicht!"
„Schiebt ihn rein!", rief Alby und sie drängten ihn immer weiter zurück, bis er zwischen den sich jetzt schließenden Mauern war. Erst, als er sich umdrehte und in das Labyrinth hinein lief, bevor ihn die Mauern zerquetschen konnten, zogen sie ihre Stäbe zurück.
Das letzte, was ich hörte, bevor das Tor völlig verschlossen war, waren Bens letzte Schreie. Dann war alles still.
Keiner sagte etwas, alle starrten zu Boden. Minho nahm mich in den Arm und ich vergrub mein Gesicht an seinem Oberteil, um meine Tränen zu verstecken.
Irgendwann begann Alby wieder zu sprechen, als wolle er Thomas erklären, was gerade passiert war.
„Ben gehört jetzt dem Labyrinth."
Mit diesen Worten lehnte er seinen Stab gegen die Mauer und verließ den Kreis aus Lichtern. Die Anderen taten es ihm gleich und folgten ihm. Auch Minho und ich machten uns auf den Weg zu unserer Hütte, wo wir uns einfach auf unsere Betten legten und die Decke anstarrten.
Nur Thomas blieb zurück und sah die Mauer an, hinter der Ben verschwunden war.
Als es bereits dunkel war, verließen wir die Hütte wieder, immer noch schweigend. Ich wusste nicht, was ich zu Minho sagen sollte und es schien ihm genauso zu gehen. Gally war gerade dabei, Bens Namen an der Wand durchzustreichen und Winston und einer seiner Schlitzer hielten zwei Fackeln, damit er etwas sehen konnte.
Ich sah schnell weg, denn ich wollte nicht schon wieder in Tränen ausbrechen. Ich hatte genug geweint, als ich auf meinem Bett gelegen und die Decke angestarrt hatte. Also holten wir uns nur schnell etwas Brot und Wasser aus der Küche und verschwanden dann wieder in unserer Hütte.
Irgendwann nachts, als ich noch immer nicht schlafen konnte und mich gerade fragte, ob es Minho genauso ging, durchbrach er die Stille zwischen uns zum ersten Mal seit heute Nachmittag.
„Weißt du noch, als Ben seine Aufnahmeprüfung bei uns hatte?"
Bei dem Gedanken daran schossen mir sofort wieder die Tränen in die Augen. „Ja... Er war schneller als du." Das sollte neckend klingen, ging aber gehörig in die Hose.
„Aber nicht schneller als du", meinte Minho und ich musste ein wenig lächeln, auch wenn die Tränen weiterhin meine Wangen herunter liefen.
Jetzt setzte er sich auf und sah mich an, weshalb auch ich mich hinsetzte und die Tränen wegwischte.
„Alle haben dich bejubelt, weil du so schnell warst. Und ich, ich hab da gestanden und kam mir ziemlich bescheuert vor, weil dieser Kerl schneller gewesen war als ich." Er machte eine Pause und sah mich gedankenverloren an. Ich glaubte, eine Träne auf seiner Wange zu erkennen.
„Ich glaube, ich hatte kurz Angst, dass er mir meinen Posten wegnehmen könnte und ich habe mir geschworen, niemals nett zu ihm zu sein... Und dann ist doch alles anders gekommen.
Es war so, als würde er mich kennen und ich war mir manchmal wirklich sicher, dass wir uns vor dem Labyrinth gekannt haben mussten. Und ohne, dass ich es gemerkt habe, war er plötzlich mein bester Freund."
„Ihr habt super zusammen gepasst..." Meine Stimme brach, auch wenn ich mich bemühte, ruhig zu sprechen.
„Er hat immer gewusst, was ich dachte. Manchmal dachte ich wirklich, er könne meine Gedanken lesen."
Jetzt wischte Minho sich mit dem Ärmel über das Gesicht und ich war sicher, dass ich mich eben nicht verguckt hatte.
„Er hat immer zu dir aufgesehen, Minho. Und ich bin sicher, dass euch mehr verbunden hat, als nur das Labyrinth."
„Und dann war ich derjenige, den er angefleht hat, und der ihn trotzdem verbannt hat." Dieses Mal brach seine Stimme und ich stand auf und setzte mich neben ihn, um ihm einen Arm um die Schultern zu legen.
„Hey, er weiß, dass du keine andere Wahl hattest. Wir mussten das tun. Glaub mir, es tut so weh, zu wissen, dass er jetzt da draußen ist, aber ich weiß auch, dass er tief in sich drinnen, wo er noch der Alte ist, weiß, dass wir das tun mussten. Wenn wir es nicht getan hätten, hätten es Gally und Winston gemacht. Es war richtig, ihm diese letzte Ehre zu erweisen."
Minho schluchzte erstickt auf.
„Hast du gesehen, wie er mich angeguckt hat?"
Ja, das hatte ich. Und bei dem Gedanken an Bens verzweifeltes Gesicht, schossen mir die Tränen wieder in die Augen und auch ich konnte einen Schluchzer nicht unterdrücken. Ich wusste nicht, was ich sagen sollte und ich hatte das Gefühl, dass ich auch gar nichts sagen konnte. Deshalb schlang ich meine Arme einfach um Minho und drückte mein Gesicht an seine Schulter. Auch er umarmte mich jetzt und so saßen wir da, beide schluchzend.
Wir hatten nicht unseren Läufer verloren. Wir hatten unseren Freund verloren.

Into The WICKED Maze | A Maze Runner StoryWo Geschichten leben. Entdecke jetzt