49. Wenn alles schief geht

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Am nächsten Morgen klopfte jemand an unserer Tür. Ich schreckte hoch und stellte fest, dass ich schräg über Minhos Bett lag, er neben mir. Mein Nacken tat weh und meine Beine kribbelten, weil sie die ganze Nacht aus dem Bett gehangen hatten.
Verschlafen öffnete ich die Tür und erkannte erstaunt, dass Alby und Newt vor mir standen.
„Was ist los?", fragte ich und fuhr mir durch die Haare, die in alle Richtungen abstanden. Auch wenn ich sie mir immer wieder abschnitt, sie waren trotzdem noch immer brustlang und guckten gerade aus meinem Zopf heraus, der sich beim Schlafen gelöst hatte.
„Ich komme heute mit euch. Ich will sehen, wo Ben gestochen wurde. Ist Minho wach?"
Ich schüttelte den Kopf.
„Dann weck ihn. Macht euch frisch, holt euch euer Essen von Fry Pan und dann kommt zu mir. Beeilt euch, ich will genug Zeit haben." Damit ging Alby wieder.
Newt stand vor mir und sah mich an. Er wirkte so, als wolle er irgendetwas sagen, aber wisse nicht, wie.
„Wegen Ben... Ich..."
„Ist schon gut. Wir werden drüber weg kommen." Ich versuchte ein Lächeln, aber es wollte mir noch nicht so recht gelingen.
Er nickte erleichtert.
„Lasst ihr eure Läufer heute hier?", fragte er, als ich meine Hose wechselte, mir ein frisches Oberteil anzog und meine Haare wieder zusammenband, nachdem ich sie mit dem Kamm, den Gally mir gemacht hatte, gekämmt hatte.
„Die werden die Lichtung nie wieder verlassen." Wir drehten uns beide um und sahen, dass Minho ebenfalls aufgewacht war und gerade aufstand.
Ich wusste, dass er Recht hatte.
„Ich glaube, der Neue wäre gerne ein Läufer." Newt beobachtete mich, während ich meinen Zopf noch einmal öffnete und neu band.
„Die Frage ist nur, ob er ein guter wäre", meinte Minho, bevor er die Hütte verließ und sich schon auf den Weg zur Küche machte.
Wir folgten ihm und irgendwie wollte kein richtiges Gespräch zwischen uns entstehen. Bens Verbannung hing in der Luft und konnte nicht einfach so ignoriert werden.
Als wir uns vor dem Tor, das sich gerade erst öffnete, von Newt verabschiedeten und ich ihm einen Kuss gab, schliefen die anderen Lichter noch und ich stellte fest, dass wir schon lange nicht mehr so früh ins Labyrinth gegangen waren.
Wir begannen, die Strecke abzulaufen, die wir am Vortag zurückgelegt hatten, bevor Ben verschwunden war. Dann liefen wir wieder ein Stück zurück und suchten die Gänge ab, in die er hatte abbiegen können. Noch immer hatte Alby uns nicht gesagt, warum er herausfinden wollte, wo Ben gestochen worden war, doch ich traute mich auch nicht zu fragen. Er würde schon seine Gründe haben, anders als bei Nick hatte ich noch nie an ihm gezweifelt.
Irgendwann gegen Nachmittag entschied er, dass wir uns aufteilen sollten, denn er schien zu bemerken, dass Minho und ich alleine viel schneller wären. Die Idee, alleine durch die Gänge zu laufen gefiel mir nicht und ich musste sofort an Steve denken, aber ich sagte nichts, sondern wechselte nur einen kurzen Blick mit Minho. Der nickte mir zu und wir gehorchten Alby und teilten uns auf.
Eine Zeit lang ging das Ganze gut und ich dachte schon, dass wirklich nichts passieren würde, als ich jemanden schreien hörte. Ich wusste sofort, dass es Alby war, ohne, dass ich eine Stimme erkennen konnte.
Und ich hatte Recht. Als ich so schnell ich konnte dahin rannte, woher der Schrei gekommen war, stieß ich beinahe mit Minho zusammen. Wir näherten uns dem Gang, in dem Alby sich befinden musste an und hörten, wie das Klicken und Klacken langsam leiser wurde. Vorsichtig lugte ich um die Ecke und sah – zu meiner Erleichterung – einen leeren Gang.
Das hieß, er war fast leer, zumindest war kein Griever darin. Nur eine zusammen gekauerte Gestalt lag auf dem Boden. Wir stürzten auf Alby zu und erkannten sofort, dass er gestochen worden war.
„Wir müssen ihn hier raus schaffen, Minho."
Das war eigentlich eine unnötige Information, denn Minho hatte bereits begonnen, sich Albys rechten Arm um die Schultern zu legen. Ich nahm seinen linken und wir machten uns auf den Weg zurück zur Lichtung.
„In dem Tempo werden wir es nicht schaffen", rief ich, als es in Strömen regnete und wir noch einen viel zu weiten Weg vor uns hatten.
Minho hielt an und wir ließen Alby kurz herunter. „Okay, du rennst jetzt los und holst Hilfe, ja? Hol Newt oder Gally, irgendwen der mit anpacken kann. Für Alby sollten sie sich überwinden und das Labyrinth betreten."
„Nein, Minho! Ich lasse euch nicht alleine!"
„Du musst. Jetzt lauf los und hol Hilfe!"
„Nein!" Jetzt brüllte ich, denn der Regen wurde immer lauter. Um meine Antwort zu unterstreichen, legte ich mir wieder Albys Arm um die Schultern und sah Minho auffordernd an.
Wir liefen weiter und der Regen ließ langsam wieder nach. Es wurde immer später und auch, wenn ich nicht genau wusste, wie spät es war, ich war sicher, dass wir es nicht pünktlich schaffen würden.
Ich hatte das Gefühl, dass Alby immer schwerer wurde und fragte mich, wann er wohl zu sich kommen würde, als er plötzlich begann sich zu regen und mich beinahe umriss, als er zu Boden stürzte.
„Er wird wach, Minho, er wird wach!", rief ich entsetzt und wusste nicht, was ich tun sollte.
„Das sehe ich", entgegnete Minho und holte aus.
Er schlug Alby wieder k.o. und ich sah ihn entsetzt an.
„Was hättest du vorgeschlagen? Hättest du dich gerne umbringen lassen?", maulte er mich an.
Er nahm es mir wirklich übel, dass ich mich nicht in Sicherheit gebracht hatte.
Wir schwiegen wieder und schleppten unseren bewusstlosen Anführer weiter.
Irgendwann, als ich die Hoffnung schon aufgegeben hatte, sagte Minho: „Wir sind gleich da!" Ich sah auf und erkannte ebenfalls, dass es nur noch zwei Abzweigungen waren, bis wir die Lichtung sehen konnten.
Als wir nur noch eine Abzweigung vor uns hatten, hörten wir es – die Tore begannen sich zu schließen.
Wir bogen um die Ecke und ich sah, dass die Lichter sich vor dem Tor versammelt hatten. Thomas zeigte auf uns, als er uns sah und ich konnte Newts entsetztes Gesicht sehen.
Minho warf sich Alby über den Rücken und schrie mich über das Getöse der Tore an: „Jetzt lauf! Los, raus!"
„Nein!", schrie ich wieder und stützte jetzt Minho, der unter Albys Gewicht umzukippen drohte.
„Warum rennst du nicht einfach? Du kannst es noch schaffen!"
„Würdest du es machen? Würdest du mich mit ihm zurück lassen?", brüllte ich, während ich unter dem Gewicht der beiden taumelte.
Minho sah mich an, unsere Blicke trafen sich und er nickte.
„Dann los! Gib alles, Anna!", schrie er und versuchte, noch schneller zu laufen.
Ich spürte, wie Alby von seinem Rücken rutschte und ich konnte nichts tun, um ihn festzuhalten. Der Junge schlug auf dem Boden auf und blieb wieder reglos liegen. Wir packten jeder eines seiner Beine und zogen ihn so schnell es ging in Richtung des Ausgangs, wo die Lichter standen und uns anbrüllten, wir sollten uns beeilen.
„Minho, Anna, lasst ihn liegen, Mann, kapiert?", hörte ich Gally rufen, aber ich schüttelte mit den Kopf und biss mir auf die Unterlippe. Niemals würde ich irgendjemanden hier zurück lassen und ich wusste, dass Minho genauso dachte.
„Ihr müsst ihn zurücklassen!" Gallys Stimme klang verzweifelt.
Minho schrie vor Anstrengung und in diesem Moment war mir klar, dass wir es nicht schaffen würden. Ich sah zu den Lichtern, zu meinen Freunden, zu Chuck, der wie am Spieß schrie und mit den Armen ruderte, zu Gally, der mich panisch ansah und immer wieder schrie, wir sollten Alby liegen lassen.
Und ich sah Newt, der als einziger nicht wie wild herum schrie und konnte in seinen Augen pures Entsetzen und Angst sehen. Sein Anblick zerriss mich innerlich und ich spürte, wie mir die Tränen in die Augen schossen, als ich realisierte, dass ich ihn gerade zum letzten Mal sah.
Ich würde nie wieder in seine braunen Augen schauen, nie wieder seine Wärme spüren, seinen Geruch einatmen, ihn nie wieder küssen.

Into The WICKED Maze | A Maze Runner StoryWhere stories live. Discover now