36. Unvorsichtig

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Ich überquerte im Laufschritt die Lichtung, neben mir Minho, hinter uns Ben, Alex, Jackson und Tim. Letzterer war vor einem Monat zu uns hochgeschickt worden und seitdem ein Läufer. Seit Steves Verbannung war niemand mehr gestochen worden. Ich würde nicht behaupten, dass das eine große Leistung war, aber immerhin hatten wir es fast zwei Monate geschafft, ohne jemanden verbannen zu müssen.
Heute war es wieder so weit, ein neuer Frischling würde zu uns hoch kommen. Gerade, als wir das Labyrinth betraten, hörten wir die Sirenen ertönen. Tim zuckte zusammen und Ben klopfte ihm beruhigend auf die Schulter. Wir bogen um eine Ecke und die Geräusche waren beinahe sofort verschwunden, sodass wir uns ganz auf unsere Aufgabe konzentrieren konnten.
Jedes Mal, wenn wir gemeinsam im Labyrinth waren, konnte ich die Blicke sehen, die Minho und Ben wechselten. Sie dachten beide das gleiche wie ich, auch wenn ich mir alle Mühe gab, es ihnen nicht zu zeigen. Keiner von uns dreien glaubte daran, dass wir einen Ausgang finden würden und wir verstanden nicht, warum Nick uns immer wieder hier raus schickte. Ja, ich wusste, dass es einige wortwörtlich umbringen würde, wenn sie wüssten, dass wir bereits alles mehrfach abgesucht hatten, aber trotzdem konnte man sie doch nicht auf ewig anlügen, oder?
Der Tag würde kommen, dann würden Jackson und Alex ebenfalls bemerken, dass sie das gesamte Labyrinth gesehen haben mussten. Was würde dann passieren? Würden wir sie einweihen, in der Hoffnung, dass sie es nicht gleich jedem erzählten? Und wenn sie es doch taten? Was würde Nick dann tun? Sie verbannen.
In letzter Zeit traute ich ihm einiges zu. Er wurde von Monat zu Monat nervöser, aufgebrachter und immer reizbarer. So wie ich seit nun fast drei Jahren hoffte, dass endlich ein zweites Mädchen zu uns hoch kommen würde, so hoffte er auf jemanden, der Antworten auf seine Fragen hatte. Ich wusste, dass er fast ein Jahr länger hier war als ich, aber trotzdem musste er sich als Anführer anders verhalten. Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich meinen, er war dabei, den Verstand zu verlieren.
Ich hatte es mittlerweile aufgegeben, darauf zu warten, dass sie ein anderes Mädchen hier her schicken würden. Anfangs hatte ich immer mal wieder interessiert nach dem Frischling gesehen, wenn wir abends aus dem Labyrinth kamen, aber seit fast zwei Jahren, fragte ich nicht einmal mehr nach, wer hoch gekommen war. Es war sowieso kein Mädchen, warum sollte ich also fragen?
Minho und Gally waren sich einig, dass Nick sich entweder zusammen reißen oder seinen Posten als Anführer an Alby abgeben musste. Schließlich übernahm dieser schon seit Monaten fast alle seine Aufgaben, weil Nick damit beschäftigt war, komische Befehle zu erteilen oder Pläne zu schmieden, die im Nichts endeten.
Die Stimmung auf der Lichtung hingegen war besser denn je. Alle verstanden sich ganz gut, auch wenn mittlerweile Grüppchen gebildet worden waren. Die einzelnen Jobs blieben so ziemlich unter sich und nur die Hüter bildeten Brücken zwischen ihnen, denn ich verstand mich nach wie vor sehr gut mit Winston, Clint und Zart, genauso wie Minho. Über Gally musste ich gar nicht erst sprechen, er war mit der Zeit noch viel mehr als nur mein bester Freund geworden, er war wie mein Bruder und ich spürte, dass er es auch vor dem Labyrinth gewesen war.
Was Newt anging hatte sich zwischen uns absolut nichts verändert. Ich war immer noch überglücklich, wenn ich bei ihm war und er löste in mir auch immer noch dieses Kribbeln aus, wenn er mich berührte. Die letzten drei Jahre hatten uns zusammen geschweißt und ich konnte mir nichts Schlimmeres vorstellen als eine Welt ohne ihn.
Wir joggten durch die Gänge, auf dem Weg in Abschnitt 5, der heute geöffnet sein musste. Den Weg dorthin kannten Minho und ich in und auswendig, weshalb wir nicht viel nachdenken mussten, wo wir abbiegen mussten. Seit Steves Verbannung hatte niemand mehr einen Griever gesehen oder gehört, was uns unvorsichtig machte, als glaubten wir, dass sie einfach verschwunden seien. Wahrscheinlich war das auch der Grund dafür, dass keiner von uns – nicht einmal Minho oder ich – das Klicken und Klackern hörte, das sich uns von links näherte, kurz bevor wir Abschnitt 5 erreicht hatten.
Erst als es schon fast zu spät war, blieb Minho plötzlich wie angewurzelt stehen, weshalb ich beinahe in ihn hinein gerannt wäre, und hob eine Hand, um uns zu bedeuten, dass wir stehen bleiben sollten, während er einen Finger an die Lippen hielt.
Jetzt hörte auch ich es. Der Griever musste ganz in unserer Nähe sein und ich fragte mich entsetzt, ob er uns gehört hatte. Die Antwort auf meine Frage bekam ich relativ schnell, denn das Geräusch kam nun schnell näher und das Ding stieß einen ekelhaften, kreischenden Schrei aus. Einen, den man manchmal nachts auf der Lichtung hören konnte, wenn man auch hörte, wie das Labyrinth sich veränderte.
Ich wusste, dass der Griever auf dem Weg zu uns war und ich wusste auch, dass wir nicht alle schnell genug waren, um vor ihm wegzulaufen und auch, dass es zu spät war, um sich leise zu verdrücken. Uns blieb nichts, außer zu hoffen, dass er uns doch nicht gehört hatte und an dem Gang, in dem wir uns befanden, vorbei laufen würde.
Natürlich wusste ich, dass das Risiko hoch war und auch, dass es garantiert keine gute Idee war, wie auf dem Silbertablett serviert hier herum zu stehen. Hilflos sah ich mich in dem Gang um, in dem wir uns befanden und suchte nach irgendeiner Möglichkeit, um uns zu retten.
Und da kam sie mir, die Idee, die uns vermutlich allen das Leben rettete. An einer Stelle an der Mauer rechts von uns reichte das Efeu, das an so ziemlich allen Wänden wuchs, beinahe bis zum Boden – so tief, dass man es erreichen konnte, wenn man sich gegenseitig half.
Ohne lange nachzudenken deutete ich auf das Gewächs und es dauerte nicht lange, bis meine Läufer verstanden hatten, was ich meinte. Wir sprangen förmlich – auf Zehenspitzen – auf das Efeu zu.
Als erstes halfen Minho und ich Tim hoch, der weiter nach oben kletterte. Ihm folgten Jackson und Alex, dann Ben und zum Schluss wollte Minho mich hochheben, aber ich schüttelte den Kopf. Ich war leichter als er und er würde mich hochziehen können. Also kletterte er über meine Räuberleiter nach oben, bückte sich dann zu mir herunter und zog mich mit Schwung zu sich hoch.
Keine Sekunde zu spät. Das Klicken und Klackern war mittlerweile so laut geworden, dass der Griever nur noch wenige Meter entfernt sein konnte. Minho hielt mich mit einem Arm fest an sich gedrückt, während er sich mit dem anderen im Efeu festklammerte. Es war zum Glück so dicht, dass wir fast völlig darin verschwanden.
Ich konnte hören, wie der Griever jetzt unter uns war. Mit fest zusammen gekniffenen Augen klammerte ich mich mit Armen und Beinen an Minho fest und betete, dass er uns nicht sehen würde. Über mir konnte ich ersticktes Atmen hören, von dem ich glaubte, dass es von Ben kam. Unter uns schien der Griever jetzt zu schnüffeln, zumindest gab er ein merkwürdiges schniefendes Geräusch von sich, als würde er eine Spur aufnehmen.

Into The WICKED Maze | A Maze Runner StoryWhere stories live. Discover now