38. Der Kleine

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Einige Minuten später machten wir uns auf den Weg zu Fry Pan. Erst jetzt fiel mir wieder ein, dass ich den Frischling noch gar nicht gesehen hatte. Als wir in die Nähe der Küche kamen, war seine Anwesenheit allerdings nicht zu überhören. Lautes Gelächter war zu hören und ich konnte Gallys Stimme erkennen.
Zuerst erschloss sich mir nicht, was genau dort vor sich ging, aber als wir die Traube aus Lichtern erreichten, die sich gebildet hatte, und ein paar von ihnen uns Platz machten, bot sich uns ein unglaublicher Anblick.
Ich konnte nicht anders, als mir die Hand vor den Mund zu schlagen, um nicht sofort laut loszulachen und ich konnte Newt hören, der ein ersticktes Prusten von sich gab. Vor uns saß ein rundlicher Junge, der nicht älter als 12 sein konnte, inmitten eines Haufens aus Tellern und Essen, das offensichtlich eigentlich noch zum Essen gedacht gewesen war. Fry Pan stand mit offenem Mund da und starrte den Jungen völlig perplex an. Gally schien derjenige zu sein, der von allen am lautesten lachte, denn er stand vorgebeugt und die Hände auf die Knie gestützt da und war knallrot angelaufen. Seine allesamt dummen Baumeister standen bei ihm und schienen nur zu lachen, weil ihr Hüter lachte, denn in ihren Gesichtern war nichts als Leere zu lesen.
Sind die wirklich so blöd wie sie immer aussehen?
Als niemand auch nur Anstalten machte, etwas zu tun, entschied ich mich, dem Jungen zu helfen, der in wenigen Sekunden in Tränen ausbrechen würde, soviel war sicher. Ich kniete mich neben ihn und versuchte, immer noch unter dem Gelächter der Baumeister – die anderen, die ein bisschen mehr Grips hatten, hatten sich mittlerweile zusammen gerissen – so viel zu retten, wie möglich. Auch Fry Pan begann zu helfen, aber an seinem Blick konnte ich sehen, dass man das nicht mehr essen konnte.
Es dauerte nicht lange und auch Newt sammelte Teller auf und versuchte die Matsche, die noch vor wenigen Minuten unser Abendessen gewesen war, zu retten. Der kleine Junge versuchte aufgeregt und mit zitternden Händen uns zu helfen. Minho und Ben, die anscheinend aus dem Wald zurückgekehrt waren, hockten sich neben mich und halfen ebenfalls mit und bald waren auch Clint und Jeff bei uns. Gally hatte sich noch immer nicht beruhigt und die anderen Lichter, die noch um uns herumstanden waren welche, mit denen ich so gut wie nie redete. Nick, Alby, Winston oder auch Zart konnte ich gar nicht sehen und unsere Läufer waren auch nicht da.
„Lasst es, das können wir nicht mehr retten", sagte Fry Pan nach wenigen Minuten und ließ resigniert einen Teller in die Pampe aus Essen fallen. Ich konnte mir gut vorstellen, wie er sich fühlte, schließlich hatte er das ganze zubereitet und sich garantiert Mühe gegeben.
„Also so viel steht fest, Kleiner, in der Küche hast du nichts zu suchen." Gally prustete noch immer und langsam reichte es mir.
„Es ist langsam genug, findest du nicht, Gally? Er hat das sicherlich nicht mit Absicht gemacht."
„Na, das wäre ja auch noch schöner." Er hörte einfach nicht auf den Jungen auszulachen, in dessen Augen ich nun Tränen erkennen konnte.
Ich überlegte nicht lange, sondern stand auf, befreite meine Sachen so gut es ging von Essensresten und hielt ihm dann eine Hand hin, um ihm aufzuhelfen. Er ergriff sie und sah mich dankbar an. Ich warf Newt einen auffordernden Blick zu und auch er klopfte sich das Essen ab, bevor wir mit dem Jungen verschwanden. Als wir an Gally vorbei liefen warf ich ihm einen wütenden Blick zu, der ihn zum Verstummen brachte.
„Denk dir nichts dabei, Gally denkt manchmal nicht darüber nach, bevor er Sachen sagt. Und seine Baumeister haben nichts als Stroh im Kopf. Na komm, wir gehen uns erst einmal sauber machen, was meinst du?", fragte ich und lächelte ihn an.
Er strahlte bewundernd zu mir hoch und nickte mit glänzenden Augen.
„Danke, dass ihr mir geholfen habt." Seine Stimme klang kindlich und brachte mich kurz durcheinander, schließlich hatte ich in den letzten drei Jahren nichts als Jungen im oder nach dem Stimmbruch gehört.
Da wurde mir plötzlich bewusst, dass Minho und ich heute auf den Tag genau seit drei Jahren hier waren. Ich fragte mich, ob er heute auch schon daran gedacht hatte, aber es war keine Zeit, um jetzt philosophisch darüber nachzudenken.
Wir erreichten den See und ich begann, mein Oberteil und meine Hose auszuziehen, um sie zu waschen, bevor ich selber ins Wasser ging. Newt tat es mir gleich und wir machten uns keine Gedanken darum, schließlich war das ganze Routine für uns, auch wenn wir normalerweise nicht irgendwelche Essensreste von uns waschen mussten.
Als ich schon dabei war, meine Haare zu waschen, fiel mir auf, dass der kleine Junge unschlüssig am Ufer stand und uns zusah.
„Worauf wartest du?", rief ich und er schien aus einer Art Trance zu erwachen, als er sich schüchtern umsah.
„Es guckt keiner, keine Sorge", meinte Newt und der Junge begann nun auch, seine Sachen und sich selbst vom Dreck zu befreien.
„Ich bin übrigens Anna."
Wir hatten uns zum Trocknen auf die Wiese gelegt und sahen in den mittlerweile fast dunklen Himmel, an dem die ersten Sterne aufgingen.
„Ich weiß, Alby hat es mir erzählt. Du bist die Hüterin der Läufer, genau wie Minho, der asiatische Junge. Ich glaube ich wäre nicht gerne ein Läufer. Das Labyrinth sieht gefährlich aus."
Er klang bewundernd, aber auch ängstlich. Ich konnte nicht anders, als ihn süß zu finden. Mein Beschützerinstinkt war geweckt, seit er dort inmitten des Essens gesessen hatte und von den Jungen rund um Gally ausgelacht worden war. Noch immer war ich sauer auf meinen besten Freund, wenn ich daran dachte, wie verängstigt der Kleine dort gehockt hatte.
„Das musst du ja auch nicht. Vielleicht kannst du auf den Feldern helfen, oder Clint und Jeff..."
„Bestimmt nicht. Ich glaube, ich bin nicht gut in solchen Sachen..." Er klang traurig.
„Bestimmt. Nur weil die Küche vielleicht nicht unbedingt etwas für dich ist, heißt das nicht, dass du nichts anderes gut kannst, außerdem arbeitet Fry Pan sowieso am liebsten allein, richtig, Newt?"
Mein Freund grunzte neben mir als Zustimmung.
„Schlitzer musst du ja nicht werden, das ist wirklich kein schöner Job. Aber du kannst dich bestimmt gut um die Tiere kümmern oder so."
Der Junge wirkte nicht überzeugt. „Alby hat heute gesagt, dass ich vielleicht einfach überall mal helfen kann, Sachen tragen und so. Einen Schwapper hat er es genannt. So jemanden habt ihr noch nicht und ich glaube, das kann ich am besten. Leider kann ich mich ja an nichts erinnern, aber ich bin auch bestimmt kein guter Bauarbeiter."
Ich drehte mich auf die Seite und lächelte ihn an. „Das werden wir sehen. Du findest bestimmt das Richtige, was dir Spaß machen wird."
Er nickte, mehr oder weniger überzeugt. Wir lagen noch eine Weile einfach so da und sahen uns den Himmel an, an dem jetzt tausende von Sternen zu sehen waren. Irgendwann, als unsere Sachen schon wieder trocken und der Junge eingeschlafen war, wobei er leise schnarchte, entschieden Newt und ich, dass es Zeit war, zu Bett zu gehen. Wir zogen uns an, auch wenn wir uns gleich sowieso wieder umziehen würden, und ich weckte den Kleinen vorsichtig.
Gemeinsam machten wir uns auf den Weg zu den Hängematten, wo jedoch noch niemand schlief. Erst jetzt fiel mir das allmonatliche Fest ein, das immer zur Ankunft eines Frischlings stattfand. Entfernt, am Lagerfeuer konnte man die Silhouetten der Lichter sehen und ich konnte wie immer erkennen, wie Gally gegen irgendeinen anderen Jungen kämpfte.
Newt zeigte dem Jungen noch einmal seine Hängematte, die er alleine nicht wieder fand, bevor wir ihm eine gute Nacht wünschten und in Newts Hütte verschwanden.
„Ich mache mir echt Sorgen, dass er hier untergeht. Er ist mit Abstand der Jüngste...", begann ich besorgt, während ich mir meine Schlafsachen überzog.
Newt saß bereits oberkörperfrei auf seinem Bett und beobachtete mich. Ich konnte ihm ansehen, dass das jetzt das letzte war, an das er dachte, aber ich musste meine Gedanken einfach loswerden, vorher konnte ich mich auf nichts anderes konzentrieren.
„Er wird seinen Platz schon finden. Alby hat Recht, einen Helfer brauchen wir immer mal überall. Solange er nicht viel mit Gally zu tun bekommt, wird er damit garantiert glücklich."
„Aber er ist noch so jung. Viel jünger als wir, bevor wir hier ankamen."
„Steve zum Beispiel war auch nicht älter als 15, das hast du selber gesagt, genau wie Stan damals. Und Jack ist auch noch keine 16, da bin ich sicher." Newt zuckte mit den Schultern und breitete seine Arme aus, damit ich endlich zu ihm herüber kam.
„So jung war noch keiner, Newt. Das weißt du. Und ich mache mir wirklich Sorgen, dass er hier keinen Anschluss findet..." Ich setzte mich neben ihn und lehnte mich an ihn.
Er schlang seine Arme um mich.
„Na, dann hat er immer noch dich, richtig?"
Und als ich ihn durchdringend ansah fügte er hinzu: „Und mich natürlich, wenn du nicht hier bist. Wir passen schon auf ihn auf. Gally wird sich hüten noch einmal was über ihn zu sagen, nach dem Blick von dir heute."
Er grinste und zwinkerte mir zu.
Der Blick, mit dem er mich jetzt ansah, erreichte genau das, was er sollte, denn endlich schob ich die Gedanken an den noch namenlosen Jungen beiseite und legte meine Arme um seinen Hals, bevor ich ihn küsste.
36 Monate.

Into The WICKED Maze | A Maze Runner StoryWhere stories live. Discover now