50. Mut

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Die Tränen der Verzweiflung trübten meinen Blick, aber trotzdem sah ich, wie der Neue, Thomas, plötzlich in das Labyrinth stürzte. Newt versuchte, ihn festzuhalten, aber er bekam ihn nicht zu packen und der Junge stürzte weiter auf uns zu. Ich dachte, dass die Mauern ihn zerquetschen würden und machte mich schon auf den schrecklichen Anblick gefasst, aber irgendwie schaffte er es hindurch, bevor sie sich völlig schlossen. Er fiel hin, rollte sich ab und kniete sich dann hin, bevor er sich zu uns umdrehte.
Er sah uns mit großen Augen an, wie wir neben dem bewusstlosen Alby knieten, dreckig und vollkommen außer Atem.
„Gut gemacht", keuchte Minho. „Du hast grad dein Todesurteil unterzeichnet."
„Warum hast du das gemacht?", fragte ich ihn mit matter Stimme.
Thomas sah verwirrt von ihm zu mir. „Was?"
Minho ließ sich auf den Hintern fallen und ich lehnte mich gegen die Mauer, noch immer geschockt von dem, was gerade passiert war.
Thomas stand auf und lief auf Alby zu, kniete sich neben ihn und fragte: „Was ist passiert?"
„Nach was sieht's denn aus?" Minho klang genervt. „Er wurde gestochen."
„Und was ist mit seinem Kopf?"
„Ich hab getan, was nötig war."
Thomas sah ihn entsetzt an, dann zu mir herüber und ich zuckte nur mit den Schultern.
Plötzlich ertönte ein schrecklicher Schrei und ich zuckte zusammen.
„Scheiße", fluchte ich leise.
Minho stand auf und half mir hoch. Als ich zu ihm aufsah flüsterte er: „Wenn du heute Nacht stirbst, nehme ich dir das auf ewig übel, das weißt du, ja?"
Ich nickte und lächelte schwach über diesen Witz.
„Okay, in Ordnung, helft mir ihn hochzuheben." Thomas versuchte, Alby hochzuhieven, aber Minho wollte einfach gehen. Er packte mich am Arm und zog mich mit sich, aber ich wehrte mich.
„Minho, hey, wir müssen ihm helfen!"
„Wir müssen hier weg, das Labyrinth verändert sich schon." Wieder griff er nach meiner Hand, dieses Mal bestimmender.
„Hey, Minho! Wir können ihn nicht einfach liegen lassen!" Jetzt blieb Minho stehen und drehte sich zu Thomas um.
„Komm schon, helfen wir ihm. Das ist Alby, Mann!" Dieses Mal war ich diejenige, die an ihm zog.
„Los, wir müssen ihn hochheben!" Thomas griff nach Albys linken Arm und legte ihn sich um die Schultern.
Ohne ein Wort ließ Minho mich los, griff nach Albys rechtem Arm und legte ihn sich ebenfalls um die Schultern. Gemeinsam stemmten sie den bewusstlosen Jungen hoch. Ich hob seine Beine hoch und zu dritt war es schon etwas leichter, ihn zu tragen.
Wortlos machten wir uns auf den Weg durch die Gänge, ich lief vorweg, ohne wirklich zu wissen, wo ich hinging. Wir erreichten eine Gabelung und ich wusste nicht mehr genau wo wir waren. Minho schien es ähnlich zu gehen, denn er fluchte leise vor sich hin. Wir waren einfach nur blind weggelaufen.
„Wo jetzt hin?", fragte Thomas.
„Okay, setzen wir ihn ab." Minho deutete in Richtung der Mauer. Wir setzten Alby vorsichtig ab und lehnten ihn gegen die Mauer.
Völlig außer Atem hockten wir vor ihm, als wieder ein Schrei ertönte, dieses Mal zwar weiter weg, aber definitiv da. Wir sahen alle entsetzt in die Richtung, aus der das Geräusch gekommen war.
„Das wird nicht funktionieren. Wir müssen weg!" Minho stand auf und sah sich panisch um, auf der Suche nach einem Fluchtweg.
„Was?" fragte Thomas entsetzt und sah mich fragend an.
„Wir müssen gehen!", sagte Minho, jetzt energischer. Wieder wollte er mich packen und wieder wehrte ich mich, indem ich meinen Arm dieses Mal früh genug weg zog.
„Warte, wovon redest du? Wir müssen was unternehmen, ihn verstecken!" Thomas sah entgeistert zu ihm hoch. Ich schloss die Augen, trommelte mir mit den Fingern gegen die Schläfen und dachte nach. Was konnten wir machen? Wo konnten wir Alby verstecken, damit ihn der Griever nicht fand?
„Wo?", fauchte Minho und lief auf und ab.
„Weiß ich nicht! Minho, denk nach! Willst du sagen, es gibt hier nicht einen Ort, wo wir ihn verstecken können?"
Jetzt stürzte Minho sich auf Thomas und drückte ihn gegen die Wand.
„Minho, stopp!", rief ich entsetzt aus und versuchte, ihn zurückzuhalten, aber er stieß mich zur Seite.
„Jetzt hör mir mal ganz genau zu! Sieh dich hier mal um, du Strunk! Wir können nirgendwo hin." Er ließ ihn wieder los, stand auf und sah ihn verständnislos an. „Du checkst das einfach nicht. Wir sind schon längst tot." Bei diesen Worten sah er mich schmerzverzerrt an.
„Sag das nicht", flüsterte ich, machte einen Schritt auf ihn zu und griff nach seiner Hand. Er sah traurig zu mir herunter, als gäbe es keine Hoffnung mehr.
Anstatt Minho zu antworten, stand Thomas auf, sah irgendetwas im Gang hinter uns an und trat an uns vorbei. Wir drehten uns ebenfalls um und ich hielt immer noch Minhos Hand, als der Andere vor einer Mauer stehen blieb, die bis zum Boden mit Efeu bewachsen war. Er drehte sich zu uns um und sah uns auffordernd an.
„Na schön, wenn wir Alby hier lassen müssen, dann wenigstens nicht wie auf dem Silbertablett. Helft mir, eine von diesen Ranken abzureißen und ihm um den Bauch zu binden. Wir verstecken ihn im Efeu."
Minho sah ihn verständnislos an, aber ich hatte verstanden. Sofort trat ich neben Thomas und begann, eine der Ranken zu einem Seil umzufunktionieren, das wir dann um Albys Taille banden und begannen ihn hochzuziehen.
Als wir damit begannen, war es bereits fast vollkommen dunkel und ich fühlte mich zunehmend unwohl. Bei Nacht wirkte das Labyrinth fremd und bedrohlich und man hatte das Gefühl, dass jeden Moment ein Griever um die Ecke kommen könnte.
Mit vereinten Kräften stemmten wir uns in das Seil und zogen Alby Stück für Stück höher. Als er fast oben angekommen war, hörten wir wieder den Schrei eines Grievers, dieses Mal viel näher. Minho lugte um die Ecke, verzog somit das Seil und uns gleich mit.
„Was machst du? Was soll das?", fragte Thomas, als er und ich uns dagegen stemmten.
„Wir müssen weg", sagte Minho leise.
„Was machst du denn?", fragte Thomas noch einmal.
Jetzt hörte auch ich es. Das Klicken und Klacken kam näher und Minho schien den Griever von seiner Position aus sehen zu können.
„Wir müssen weg! Wir müssen weg, sofort!"
„Nein, nein, nein! Okay, nur noch 'nen Stück, dann binden wir ihn fest!"
Wieder lugte Minho um die Ecke und dieses Mal musste er den Griever wirklich gesehen haben, denn jetzt überkam ihn die pure Panik.
„Minho, bleib bei uns, okay? Bleib hier Minho, okay? Noch ein kleines Stückchen, wir haben es fast geschafft!"
Doch Minho verließ sein Mut genau in dem Moment, in dem er ihn wirklich gebraucht hätte. Ich hatte ihn immer für den mutigsten Menschen gehalten, den ich kannte, doch jetzt wurde mir klar, dass er es nicht war.
Thomas, der Alby erst seit zwei Tagen kannte, der zu uns ins Labyrinth gerannt war, obwohl er wusste, dass es gefährlich war und der bereit war, sein Leben für uns zu riskieren – er war wahrhaft mutig.
„Tut mir Leid, Frischling!", rief Minho und ließ das Seil los.
„Wa-?" Thomas verschluckte seine Frage, denn jetzt wurde uns beiden von Albys Gewicht der Boden unter den Füßen weggezogen.
Dann ging alles ganz schnell. Ich wollte gerade Minhos Namen rufen und ihm sagen, er solle bei uns bleiben, als mich jemand von hinten packte und weg zog. Die Ranke rutschte mir aus den Händen und Albys Gewicht fiel jetzt nur noch auf Thomas, der es kaum noch halten konnte. Entsetzt sah er mich an und unsere Blicke trafen sich, aber ich konnte mich gegen Minhos Griff nicht wehren.
„Hey, wir müssen ihm helfen!", rief ich, aber er packte mich an der Taille und warf sich mich über die Schulter, als wäre es nichts. Ich versuchte, mich von ihm wegzudrücken, aber er war zu stark und hielt mich so fest, als hinge sein Leben davon ab.
Und das tat es auch. Als Minho mit mir um die nächste Ecke bog und ich Thomas, der jetzt halb im Efeu hing, aus den Augen verlor, hörte ich den Griever wieder und stellte fest, dass er nur noch wenige Meter von ihm entfernt sein konnte. Ich wollte schreien und ihm helfen, auch wenn ich wusste, dass es für ihn zu spät war, aber kein Laut kam aus meiner Kehle. Viel zu entsetzt war ich über das, was gerade passierte.
Minho rannte und rannte, wobei ich bei jedem Schritt ordentlich durchgeschüttelt wurde, und stoppte erst, als er einen guten Abstand zwischen uns und Thomas gebracht hatte. Keuchend setzte er mich ab und sah mich mit großen Augen an.
Ich boxte ihm gegen die Brust, wütend, dass er mich nicht hatte tun lassen, was ich wollte.
„Warum hast du mich ihm nicht helfen lassen und bist alleine abgehauen, du Feigling?", schrie ich erstickt. „Es war meine Entscheidung!"
„Ich konnte dich nicht sterben lassen! Wir lassen uns nicht zurück, weißt du noch?", fragte er und ich dachte an vorhin, als ich ihn und Alby nicht alleine lassen wollte.
„Aber wir haben Alby und Thomas zurück gelassen!" Jetzt schluchzte ich auf, hörte auf ihn zu schlagen und schlang meine Arme um ihn. Er erwiderte die Umarmung und so standen wir da, ich weinte in sein Oberteil und er vergrub sein Gesicht in meinen Haaren.
„Was sollen wir jetzt tun?", fragte ich leise, als ich mich ein wenig beruhigt hatte.
„Ich weiß es nicht. Ich würde vorschlagen, wir versuchen, nicht zu sterben, was meinst du?"
Er strich mir vorsichtig eine Haarsträhne aus dem Gesicht, die aus meinem Zopf gerutscht und von den Tränen ganz nass war.
Ich nickte stumm und wischte mir mit dem Ärmel das Gesicht trocken.
Wir machten uns also langsam auf den Weg durch das Labyrinth. Immer wieder hörte ich, wie sich Mauern verschoben und Tore öffneten und schlossen.
Plötzlich blieb ich wie angewurzelt stehen. Ich hatte etwas gehört, da war ich mir sicher. Etwas, das menschlich gewesen war.
„Was-?", begann Minho, aber ich hielt mir nur den Zeigefinger vor den Mund. Jetzt hörte ich es wieder und auch er schien es zu hören, denn seine Augen wurden immer größer.
Schreie.

Into The WICKED Maze | A Maze Runner StoryWhere stories live. Discover now