43. Blankes Entsetzen

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Ich schnappte nach Luft und musste mich beherrschen, um nicht das Rührei wieder auszubrechen. Sofort riss ich Chuck herum, drückte seinen Kopf gegen meinen Hals – denn so groß war er immerhin schon – und kniff die Augen zusammen, wobei ich mein Gesicht in seine Locken drückte. Heiße Tränen des Entsetzens bahnten sich ihren Weg in meine Augen und ich spürte wie ich erstickt aufschluchzte, während der Junge sich an meinem Rücken festkrallte.
Um uns herum war völliges Chaos, die Lichter schrien sich etwas zu, Alby rief immer wieder Newts Namen, alle liefen durcheinander. Ich wusste nicht, was ich tun sollte, traute mich nicht, meine Augen zu öffnen, weil ich viel zu große Angst hatte, Nicks Körper zu sehen.
- Oder das, was davon übrig war. Das, was Alby, Winston und Zart hochgezogen hatten, war nämlich nur die Hälfte von ihm gewesen. Die Beine fehlten einfach, als wären sie abgetrennt worden. Jetzt fiel mir wieder ein, was für ein merkwürdiges Geräusch ich gehört hatte und ich musste mir die Hand vor den Mund halten, um mich erneut nicht zu übergeben, bei dem Gedanken, was dieses Geräusch gewesen war.
Vorsichtig öffnete ich jetzt doch die Augen und sah, dass alle, die bei uns gestanden hatten, in der Menge verschwunden waren. Newt musste bei Alby sein, Minho und Fry Pan versuchten wahrscheinlich irgendwie zu helfen. Ein paar Meter von uns entfernt lag Tim, mein Läufer, auf den Knien und übergab sich unaufhörlich. Normalerweise wäre ich zu ihm gegangen und hätte ihm geholfen, aber Chuck war wichtiger und abgesehen davon war Tim auch nicht der einzige, der sich übergab.
Ich suchte nach einem Ausweg aus der Situation, aber ich zitterte viel zu sehr, um klar denken zu können. Chuck musste hier weg, so viel war klar, aber ich fühlte mich nicht imstande, durch die schreienden und brechenden Lichter zu laufen.
Da schloss plötzlich jemand seine Arme um mich und schob uns vor sich her. Zuerst wusste ich nicht, wer es war, aber dann wurde es mir klar.
Gally führte uns durch die Lichter und brüllte immer wieder jemanden an, er solle aus dem Weg gehen. Ich sah die ganze Zeit zu Boden, Chuck fest im Arm und ließ mich von meinem besten Freund weg führen von dem Chaos und Durcheinander.
Erst als wir eine Hütte betraten, die ich als Gallys erkannte, sah ich wieder auf. Chuck klammerte sich noch immer an mich und ich begann jetzt ihm beruhigend über den Rücken zu streichen, während ich zu Gally aufsah, noch immer Tränen über die Wangen laufend.
„Danke", flüsterte ich.
Er nickte nur und deutete dann zu seinem Bett. Ich schob Chuck vorsichtig darauf zu und bedeutete ihm, dass er sich setzen sollte. Der Junge legte sich hin und rollte sich zu einer Kugel zusammen. Ich setzte mich neben ihn und strich ihm weiter über den Rücken. Das Bett wackelte leicht, weil er jetzt immer mehr schluchzte.
Gally setzte sich neben mich und legte mir einen Arm um die Schultern. Ich lehnte mich dankbar an ihn und schloss die Augen. Niemand sprach, wir saßen einfach nur da und warteten, dass Chuck sich beruhigte.
Irgendwann schlief der Junge, vollkommen erschöpft von den Geschehnissen, ein und ich hörte auf, ihn zu streicheln. Stattdessen drehte ich mich zu Gally und schlang meine Arme um seinen Hals, vergrub mein Gesicht an seiner Schulter und versuchte möglichst ruhig zu atmen.
So saßen wir eine gefühlte Ewigkeit da, ich wusste nicht, auf was wir warteten oder was als nächstes passieren würde, bis jemand an der Tür klopfte.
Minho kam herein, sah den schlafenden Chuck und bedeutete uns, dass wir mit ihm herauskommen sollten. Leise standen wir auf und folgten ihm. Vor der Hütte sah ich mich um und konnte erkennen, dass der Tumult um die Box sich aufgelöst hatte. Alby hockte dort vor etwas, das auf dem Boden lag und Newt stand hinter ihm, mit hängenden Schultern und gesenktem Kopf.
Ich konnte mir vorstellen, was dort im Gras lag und fragte mich, warum sie Nick nicht weggebracht hatten. Aber diese Frage beantwortete Minho im nächsten Moment.
„Alby möchte, dass du Nick einen Sarg baust, Gally", begann er mit belegter Stimme. Er klang, als hätte auch er geweint.
„Warum vergraben wir ihn nicht einfach, so wie alle anderen auch?", fragte Gally kalt.
„Alby will nicht, dass du irgendeinen Sarg baust. Er will einen Sarg, der oben aus Glas besteht. Du sollst alles Glas nehmen, das wir haben. Das sollte ich dir sagen. Tut mir leid, dass ich euch gestört habe."
Mit diesem Worten wollte er sich umdrehen und gehen, aber ich hielt ihn fest, sodass er sich wieder zu mir drehen musste.
„Alles okay, Minho?", fragte ich vorsichtig.
Er nickte, aber im nächsten Moment sah ich, wie die Tränen ihm die Wangen herunter liefen. Ich nahm ihn in den Arm.
„Hast du es gesehen, Anna? Hast du gesehen, was sie mit ihm gemacht haben?", fragte er schniefend, während er sein Gesicht an meine Schulter drückte.
„Ja, ich hab es gesehen. Ich weiß, was sie getan haben", flüsterte ich und strich ihm über den Rücken.
Als er sich wieder ein wenig beruhigt und Gally sich aufgemacht hatte, um seine Baumeister zusammen zu trommeln, damit sie den Sarg schnell fertig machen konnten, stellte ich die Frage, die mir am meisten am Herzen lag.
„Wie geht es Newt?" Ich sah wieder zu ihm herüber, wie er noch immer hinter dem knienden Alby stand.
Minho zuckte mit den Schultern und wischte sich mit dem Arm über das Gesicht.
„Er war die ganze Zeit bei Alby. Ich konnte noch nicht mit ihm sprechen. Aber er sieht ziemlich mitgenommen aus."
Ich wollte nichts mehr, als zu ihm gehen und ihn in den Arm nehmen, aber ich konnte einfach nicht in Nicks Nähe gehen – noch nicht. Also blieb ich mit Minho zusammen und wir suchten uns einen Platz abseits, in der Nähe des Waldes.
Es dauerte nicht lange und unsere Läufer kamen zu uns. Keiner sagte ein Wort und wir saßen einfach nur zusammen und hingen jeder seinen Gedanken nach. Tim war immer noch blass, aber er übergab sich nicht mehr. Ben saß neben Minho und klopfte ihm hin und wieder auf die Schulter, sagte aber auch nichts.
Die Stille, die Nicks Tod hinterlassen hatte, war beinahe unerträglich.

Into The WICKED Maze | A Maze Runner StoryWhere stories live. Discover now