44. Nicks letzte Reise

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Ich konnte sehen, dass nicht nur wir Läufer zusammen saßen, auch die Schlitzer und die Hackenhauer waren zusammen gekommen. Die Baumeister waren alle gemeinsam dabei, den Sarg zu bauen und Fry Pan, Clint und Jeff setzten sich nach ein paar Minuten zu uns.
Nur Chuck fehlte, denn er schlief noch in Gallys Hütte. Irgendwann musste auch er wieder aufgewacht sein, denn er ließ sich stumm neben mir auf den Boden plumpsen und starrte leer vor sich hin. Auf seinem Gesicht konnte ich lesen, dass er in der kurzen Sekunde, bevor ich ihn weggedreht hatte, so viel gesehen hatte, dass auch er es nicht mehr aus dem Kopf bekam. Ich wollte ihm eine Hand auf die Schulter legen, wollte irgendetwas sagen, aber mir fiel nichts ein.
Wir saßen einfach nur da, während die Sonne über den Himmel wanderte, ihren Zenit erreichte, ihn wieder verließ und auf die Mauern zuwanderte, hinter denen sie bald verschwinden würde, so, wie Newt es liebte.
Ich sah zu ihm herüber, er saß mittlerweile neben Alby, noch immer mit hängenden Schultern und ausdruckslos. Noch immer wollte ich am liebsten zu ihm gehen, aber irgendetwas in mir hielt mich davon ab. Viel zu groß war die Angst vor Nicks Anblick, die in mir herumspukte.
„Ich werde dann mal Abendessen machen..." Fry Pan stand unentschlossen auf und sah gedankenverloren Richtung Küche. Er wollte gerade los laufen, da sprang Chuck auf.
„Darf ich dir helfen, Pan?", fragte er und ich glaubte in Fry Pans Augen ein Strahlen aufleuchten zu sehen. Er war wahrscheinlich einfach glücklich, dass er nicht alleine sein musste, auch wenn Chuck nicht die größte Hilfe in der Küche war.
Die beiden machten sich also auf den Weg zur Küche und liefen so weit wie möglich von dem Schacht der Box entfernt.
Nach einer weiteren gefühlten Ewigkeit sah ich mich in der Runde um, mit der ich hier schon seit Stunden saß und traf Minhos Blick.
„Ich glaube, Gally und seine Jungs sind fast fertig. Vielleicht sollten wir langsam zu Alby und Newt gehen?"
Seine Stimme klang noch immer belegt und brüchig, aber sein Ausdruck war wieder fast der alte. Ich nickte, auch wenn mein Körper sich dagegen sträubte, dort hinzugehen.
Wir standen auf, Clint tat es uns gleich und als wir die Lichtung überquerten, dauerte es nicht lange, bis auch Zart, Winston und Fry Pan, der Chuck anscheinend in der Küche alleine gelassen hatte, sich uns anschlossen. Während wir durch die Gruppen aus Lichtern liefen, konnte ich in ihren Gesichtern noch immer Entsetzen und Trauer sehen. Auf einigen sah ich außerdem Enttäuschung, ja fast Resignation. In diesem Moment fragte ich mich, ob Nick nicht vielleicht doch Recht damit gehabt hatte, dass wir es den Anderen nicht sagen durften, dass da draußen kein Ausgang war.
Als wir an den Baumeistern vorbeiliefen, die mittlerweile einen ganzen Sarg mit Glas, so wie Alby es gewollt hatte, zustande gebracht hatten, überließ Gally seinen Jungs die letzten Handgriffe und schloss sich uns an, wobei er neben mich trat und mir einen Arm um die Schultern legte. Erst jetzt bemerkte ich, dass ich vor Aufregung und Angst zitterte.
Wir erreichten Newt und Alby – und das was von Nick übrig war. Dieses Mal war ich vorbereitet und achtete darauf, nicht zu genau hinzusehen. Stattdessen sah ich nur Newt an, dessen Gesicht ich jetzt das erste Mal seit dem Vorfall sehen konnte – und ich erschrak.
Ich war mir sicher, dass ich ihn in den letzten drei Jahren noch nie so gesehen hatte und ich war nun wirklich diejenige, der er sich am meisten öffnete. Seine Augen waren leer und starrten stumpf vor sich hin. Vom Weinen hatten sich Augenringe darunter gebildet und geschwollen waren sie auch. Er saß einfach nur so da und es war, als bemerkte er uns zuerst gar nicht, weil er so in Gedanken war.
Auch Alby schien uns gar nicht zu bemerken, auch nicht, als wir direkt neben ihnen standen. Newt regte sich etwas, aber auch er sah nicht auf.
Erst als ich mich von Gally löste und vor ihm auf die Knie ging, ohne daran zu denken, dass nur einen Meter oder weniger von mir entfernt Nicks lebloser Körper lag, nahm er seinen Blick das erste Mal vom Boden. Die Leere in seinen Augen wich einer anderen Emotion, die ich nicht genau betiteln konnte, denn als ich sie sah, überwand ich die letzten paar Zentimeter zwischen uns und schlang meine Arme um seinen Hals. Er erwiderte die Umarmung und drückte mich fest an sich. Ich spürte, wie er sein Gesicht an meinem Hals vergrub und wie warme Tränen mein Oberteil tränkten. Beruhigend strich ich ihm über den Rücken und musste selber mit den Tränen kämpfen.
Und ich verlor den Kampf. Es dauerte nicht lange, bis auch ich wieder weinte. So saßen wir da, neben Nicks Leiche, neben dem regungslosen Alby und umringt von den anderen Hütern. Als ich eine Bewegung neben mir wahrnahm, öffnete ich die Augen und erkannte, dass Minho sich zwischen uns und Alby gehockt und dem schwarzen Jungen eine Hand auf die Schulter gelegt hatte. Als dieser nicht reagierte zog er ihn, ohne lange nachzudenken, näher zu sich und klopfte ihm ein wenig unbeholfen auf den Rücken.
Ich löste mich ein wenig von Newt und kroch zu den beiden herüber, legte ebenfalls einen Arm um Alby und zog Newt mit zu uns herüber. Nach kurzem Zögern hockten sich Fry Pan und Clint zu uns und auch Gally kam dazu und legte seine Arme um Newt und mich. Zuletzt kam Zart zu uns und legte seine Arme um Alby und Newt.
So saßen wir da und hielten uns gegenseitig fest. In diesem Moment erinnerte ich mich an den Moment in der Versammlungshütte vor über drei Jahren, als plötzlich alle Lichter um mich herum standen und wir uns einfach umarmt hatten. Noch nie zuvor – und da war ich mir sicher, auch wenn ich mich an mein Leben davor nicht erinnern konnte – hatte ich mich so mit anderen Menschen verbunden gefühlt. Und auch jetzt kam dieses Gefühl wieder auf, diese Gemeinschaft und Verbundenheit.
Erst, als ein Scheppern zu hören war, weil die Baumeister den Sarg neben uns abstellten, öffnete ich wieder meine Augen und sah mich vorsichtig um. Als ich sah, dass alle Lichter um uns herumstanden, wurde mir erst bewusst, wie viele wir eigentlich waren. Der Anblick dieser Mauer aus teils weinenden, teils völlig verwirrten Jungen um uns herum überwältigte mich ein weiteres Mal und ich musste mich beherrschen, um nicht schon wieder anzufangen zu weinen.
Alby, der anscheinend wieder etwas Kraft getankt hatte, erhob sich aus unserer Traube aus Hütern und auch wir anderen standen langsam auf.
Ab diesem Moment war es, als passierte alles wie in Zeitlupe. Gally öffnete den Sargdeckel, der wirklich ausschließlich aus Glas bestand, und er, Minho, Clint und Winston hoben Nick vorsichtig hinein. Die übrigen Hüter standen schweigend da, ich zwischen Alby und Newt, der mich noch immer fest an sich drückte.
Gally schloss den Deckel und ich erkannte erst jetzt, dass sie etwas darauf geschrieben hatten. Ich konnte es zuerst nicht entziffern, las dann aber etwas wie 'Als Erinnerung daran, dass dies hier ein Gefängnis und wir die Gefangenen sind' und fragte mich, wer von den Baumeistern auf diesen poetischen Spruch gekommen war. Ich tippte auf Gally.
Minho, Winston, Gally, Clint, Fry Pan und Zart hoben nun den Sarg an und trugen ihn in Richtung Wald, während der Rest wie bei einem Leichenzug – und das war es ja auch – folgten, angeführt von Alby, Newt und mir.
Wir brachten Nick zu den anderen Lichtern, die hier ihre letzte Ruhe oder Erinnerung gefunden hatten und die Hüter setzten ihn ab. Stumm standen alle um den Sarg herum, bis Alby sich irgendwann räusperte und zu sprechen begann.
„Was heute passiert ist, war schrecklich. Und es zeigt uns, dass die, die uns hier eingesperrt haben, die, die wir die 'Schöpfer' nennen, nicht gut sein können. Einige von euch mögen die gleichen Träume haben wie ich, wo man euch immer wieder sagt 'WICKED ist gut'. Glaubt nicht daran. Wenn sie gut wären, dann hätten sie uns nicht hier eingesperrt, hätten uns nicht alle unsere Erinnerungen genommen, irgendwelche Viecher, die wir Griever nennen, erschaffen, die uns töten wollen und vor allem hätten sie Nick heute nicht getötet. Denn das ist es, was heute passiert ist – sie haben ihn umgebracht. Und er wusste, dass das passieren könnte. Die meisten von euch glaubten wahrscheinlich, ihn zu kennen und einige taten das auch." Bei diesen Worten blieb sein Blick an Newt hängen, bevor er zu mir wanderte. „Aber wenn ihr glaubt, dass Nick verrückt war, weil er schon so lange hier eingesperrt war, dann habt ihr Unrecht. Er mag vielleicht manchmal so gewirkt haben, aber in Wirklichkeit war er wahrscheinlich der Einzige, der wirklich verstanden hatte, dass wir nichts weiter als Gefangene sind. Er wollte euch nur nicht den Mut nehmen, dass wir es doch noch eines Tages hier heraus schaffen werden. Er wollte nicht einfach aufhören daran zu glauben, dass er euch hier irgendwann heraus bringen würde. Er wollte, dass ihr weiter macht, dass ihr nicht aufhört, an das Gute zu glauben, denn er wusste, dann wäre der Kampf verloren." Jetzt sah er wieder mich an, dann Minho. Ich spürte, wie der Kloß in meinem Hals wieder größer wurde, weil ich wusste, dass seine Worte direkt an uns gerichtet gewesen waren.
„Alles, was ich euch sagen will, ist, dass ihr niemals aufhören dürft, daran zu glauben, dass wir hier eines Tages herauskommen werden. Denn wenn wir die Hoffnung aufgeben, ist sie verloren und wir werden wahrscheinlich wirklich niemals einen Weg hier heraus finden. Ich weiß nicht, wo dieser Ausgang ist, an den Nick glaubte, ob er hier ist oder im Labyrinth, aber ich weiß, dass ich nicht aufhören werde, daran zu glauben und ich möchte, dass auch ihr nicht damit aufhört.
Nick ist in diesen Schacht gestiegen, weil er Hoffnung hatte, aber auch, weil er misstrauisch war und es nicht riskieren wollte, einen von uns dort hinunter zu schicken. Und jetzt wissen wir, dass sein Misstrauen berechtig war. Also, hört niemals auf zu hoffen, aber vergesst auch nicht, wer unser Feind ist und was sie uns angetan haben. Bleibt wachsam, macht weiter so wie ihr immer weiter gemacht habt und gebt euer Bestes."
Er nickte, als Zeichen dafür, dass er fertig war und ein zwar trauriger, aber lauter Beifall brach los. Auch wir klatschten, hatten Tränen in den Augen und einen dicken Kloß im Hals, weil unser Anführer, der, der immer da gewesen war, seit wir hier waren, tot war. Weil WICKED oder wer auch immer ihn umgebracht hatte.
Aber Albys Worte hatten uns wieder Hoffnung gegeben. Ich wusste, dass wir morgen wieder raus ins Labyrinth gehen und einen Ausgang suchen würden, auch wenn wir wussten, dass wir eigentlich schon überall gewesen waren. Wir würden weiter machen, bis Alby sagte, wir sollen aufhören oder bis wir alle von einem Griever geschnappt wurden.
36 Monate und 7 Tage.

Into The WICKED Maze | A Maze Runner StoryWhere stories live. Discover now