21. Der See im Mondlicht

1K 72 12
                                    

Jemand berührte mich vorsichtig an der Wange und ich schreckte hoch. Ich musste eingeschlafen sein, denn ich lehnte noch immer etwas krumm an Gally, der quer über dem Baumstamm lag, weshalb mein Rücken schmerzte. Das Feuer war mittlerweile herunter gebrannt und bis auf Gally, Minho, der ebenfalls schlief, und mir war niemand mehr hier, außer der Person, die mich geweckt hatte – Newt.
Er stand herunter gebeugt vor mir und lächelte mich an.
„Hey", flüsterte er, um die anderen beiden nicht zu wecken.
„Hey", entgegnete ich, ebenfalls leise.
„Ich hab mich gefragt, ob du Lust hast einen Spaziergang zu machen?", fragte er und hielt mir eine Hand hin, um mir hoch zu helfen.
Ich griff danach und er zog mich auf die Füße.
„Sehr gerne", sagte ich und gähnte.
Wir liefen quer über die Lichtung, an Fry Pans Küche vorbei, bis zum Wald. Dort angekommen nahm er meine Hand und führte mich zwischen den Bäumen durch, als wisse er genau, wo er hin wollte.
Und das schien er wirklich zu wissen, denn es dauerte nicht lange, bis ich den See zwischen den Bäumen erkannte. Er glitzerte – genau wie vor zwei Tagen – im Mondlicht und sein Anblick verschlug mir beinahe den Atem.
Ich dachte gerade daran, was für eine herrliche Ruhe er ausstrahlte, als Newt mich vollkommen unvermittelt von den Füßen riss und in Richtung des Sees rannte. Ich hatte nicht einmal die Zeit, mich zu wehren, geschweige denn irgendein Geräusch zu machen, denn nur Sekunden später tauchte ich in das kühle Wasser ein, ohne vorher Luft geholt zu haben, und musste zurück an die Oberfläche schwimmen.
Ich schnappte laut nach Luft und sah mich empört nach Newt um. Es dauerte nicht lange und er tauchte ein paar Meter von mir entfernt auf und begann laut zu lachen, als er meinen Gesichtsausdruck entdeckte. Das war es wohl gewesen, was er erreichen wollte.
Jetzt selber lachend spritzte ich ihm so viel Wasser entgegen, wie ich konnte und bekam eine doppelte Ladung zurück, bevor er untertauchte. Mit einer Mischung aus Lachen und Panik – weil ich wusste, dass er mich garantiert gleich unter Wasser ziehen würde – sah ich mich um, aber konnte ihn in der Dunkelheit natürlich nicht entdecken.
Und da passierte es – er zog mich an der Taille unter Wasser. Und anstatt mich zu wehren, was ich eigentlich gewollt hatte, ließ ich mich von ihm – noch immer unter Wasser – näher an sich heranziehen, schlang meine Arme um seinen Hals und küsste ihn. Wir verweilten ein paar Sekunden so, bis wir beide keine Luft mehr übrig hatten und auftauchen mussten.
Wieder schnappte ich nach Luft, aber dieses Mal nicht so laut wie beim ersten Mal, denn ich hatte vorher ja meine Lungen füllen können. Ich öffnete meine Augen und sah in Newts, die im Mondlicht dunkler aussahen als sonst. Er war nur wenige Zentimeter von mir entfernt und zog mich jetzt noch näher an sich heran, bis unsere Körper sich völlig berührten und unsere Gesichter sich so nah waren, dass unsere Nasenspitzen sich streiften.
So schwammen wir in diesem wunderschönen See, in diesem Wald auf der Lichtung, umgeben von einem riesigen Labyrinth und ich vergaß all das. Alles, was ich sah, waren diese Augen, an die ich mich sofort erinnert hatte und ich war völlig benebelt von diesem Anblick.
Newt riss mich aus meiner Trance, indem er die letzte Distanz überwand und seine Lippen auf meine legte, wobei er die Augen schloss und ich es ihm gleich tat. Vorsichtig fuhr er mir unter Wasser über den Rücken, wobei seine Finger ein Kribbeln auslösten, überall wo sie mich berührten. Ich vergrub meine Hand in seinen nassen Haaren, während ich mich mit dem anderen Arm über Wasser hielt.
Nach einer gefühlten, wunderschönen Ewigkeit, lösten wir uns voneinander und er sagte: „Vielleicht sollten wir aus dem Wasser raus gehen, was meinst du?"
Ich nickte. Es war wirklich ein wenig anstrengend, sich die ganze Zeit über Wasser zu halten.
Wir ließen einander los und ich begann, Richtung Ufer zu schwimmen und dachte, dass Newt es mir gleichtun würde, aber da hatte ich die Rechnung ohne ihn gemacht. Als ich ihm den Rücken zugewandt hatte, tauchte er wieder unter und zog mich ein weiteres Mal unter Wasser, bis auf den Grund des Sees, bevor er schnell wegschwamm. Wieder tauchte ich auf und hustete, denn ich hatte eine Ladung Wasser geschluckt. Trotzdem musste ich lachen und sah mich nach ihm um.
Zuerst konnte ich ihn nicht sehen, denn er war noch unter Wasser, aber als er auftauchte, schwamm ich so schnell ich konnte hinter ihm her. Er hatte zwar einen Vorsprung, aber ich war schnell.
Am Ufer angekommen musste er erst mit seinem noch immer verletzten Bein kämpfen, weshalb ich aufholte und es schaffte, ihn zu Fall zu bringen. Durch den Schwung, den ich gehabt hatte, überschlugen wir uns zweimal zusammen und am Ende war ich diejenige, die unten lag. Da hatte ich mir wohl ein Eigentor geschossen.
Newt grinste zu mir herunter und schien gar nicht daran zu denken, sein Gewicht von mir zu nehmen.
„Hab dich – schon wieder."
Ich drückte gegen seine Brust, aber er machte sich nur noch schwerer und ich gab auf.
„Okay, du hast gewonnen. Darf ich jetzt bitte wieder aufstehen?", fragte ich, denn ich fühlte mich plötzlich an den leblosen Körper von Stan erinnert.
Newt schien zu merken, dass ich mich unwohl fühlte und stützte sich auf den Unterarmen auf, sodass das beklemmende Gefühl sofort verschwand.
„Besser so?", fragte er, wartete aber meine Antwort nicht ab, sondern küsste mich, dieses Mal drängender.
Sofort kamen Erinnerungen in mir hoch, an eine Nacht auf irgendeinem Dach, wo auch immer. Alles, an was ich mich erinnern konnte, war der harte Boden unter mir, der Himmel über mir und Newt, der mich küsste, so wie er es gerade tat. Und dann war da ein anderes Gefühl, das in mir aufstieg, zuerst langsam und dann immer schneller. Als mir der Ursprung des Gefühls gewahr wurde, musste ich nach Luft schnappen, wofür ich meinen Kopf nach rechts drehte.
„Alles okay?", fragte Newt verwirrt und sah mich besorgt an. „Hab ich was falsch gemacht?" Er stützte sich noch ein wenig höher ab, um mir genug Platz zu geben.
„Nein, nein, hast du nicht", keuchte ich und merkte sofort, dass ich nicht sehr überzeugend klang.
„Sicher?" Jetzt ging er ganz von mir runter und setzte sich neben mich, wobei er mich nicht eine Sekunde aus den Augen ließ.
Auch ich setzte mich auf. „Ja, ich bin ganz sicher. Es war nicht deine Schuld. Ich – da kam einfach eine sehr intensive Erinnerung in mir hoch."
„An mich?"
„An uns", versuchte ich zu erklären. Ich hoffte, dass er es schnell verstehen würde, denn um es ihm zu erklären war es mir viel zu unangenehm.
Aber er sah mich nur verwirrt an. Ich schloss kurz die Augen und betete, dass es ihm doch noch einfallen würde, aber wie es aussah, wusste er überhaupt nicht, auf was ich hinaus wollte.
„Ich kann dir nicht ganz folgen, tut mir leid..." Er klang wirklich bedrückt.
„Es – es ist mir einfach ein wenig unangenehm gerade, verstehst du? Ich weiß, eigentlich sollte es das nicht, aber es kommt mir immer noch so vor, als wäre das zwischen uns alles so frisch... Und dann solche Erinnerungen zu haben haut mich immer wieder um."
Jetzt schien er endlich zu verstehen. Seine Augen wurden größer und es dauerte nicht lange, da strahlte er mich an. Ich spürte, wie meine Wangen zu glühen begannen und war dankbar, dass es dunkel war und er es nicht sehen konnte.
In der nächsten Sekunde war er wieder ganz nah bei mir und legte seine Lippen auf meine, wobei er mir einen Arm um die Schultern legte.
„Ich weiß, was du meinst und auch, wie du dich fühlst. Aber du kannst dir sicher sein, dass wir jetzt alle Zeit der Welt haben. Buchstäblich."
Wieder küsste er mich. Mein Herz machte einen Hüpfer bei seinen Worten und ich war in diesem Moment überglücklich, dass es zwischen uns so war, wie es war. Newt war nicht so, wie ich mir Gally oder andere Jungen vorgestellt hätte, wenn sie in der gleichen Situation wären. Er schien es wirklich ernst zu meinen, dass wir Zeit hatten und das fühlte sich richtig an. Denn auch wenn ich wusste, was früher schon alles zwischen uns gewesen war, hatte ich nicht gelogen, als ich sagte, dass es sich für mich trotzdem noch so frisch anfühlte und ich ganz sicher noch nicht so weit war.
Wir saßen noch eine Zeit lang so da und niemand sagte etwas, als ich laut gähnen musste.
„Möchtest du schlafen gehen?", fragte er mich und ich nickte.
Er wollte aufstehen, aber ich hielt ihn fest.
„Können wir nicht einfach hier schlafen?"
Newt nickte nur und ließ sich ins Gras sinken, wobei er mich mit sich runter zog. Ich legte meinen Kopf auf seine Brust und er schlang seine Arme um mich, was mich herrlich wärmte.
Ich spürte, wie mir die Augen zufielen und das letzte, was ich hörte, war: „Ich liebe dich."
„Und ich liebe dich", nuschelte ich.
Dann sank ich in einen traumlosen Schlaf.

Into The WICKED Maze | A Maze Runner StoryWhere stories live. Discover now