41. Im Bau

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Es dauerte nicht lange, bis Minho wieder auftauchte. Noch immer hielt ich das Brot in der Hand und stand am Gitter, frierend und zitternd.
Zuerst wusste ich nicht, wen er da bei sich hatte, doch dann erkannte ich zu meinem Entsetzen Newt, Chuck im Schlepptau und noch jemanden – Alby.
Nick konnte ich nicht sehen und war froh darüber, denn ich hatte keine Lust auf eine weitere Auseinandersetzung.
Die vier Jungen hockten sich vor das Gitter und Newt streckte sofort seine Hände nach mir aus. Als ich meine in seine legte zuckte er zusammen und sah mich entsetzt an.
„Du bist ja wirklich eiskalt! Verdammt, ich bringe diesen Strunk um, ist mir ganz egal, ob er unser Anführer ist oder nicht!"
Alby legte ihm eine Hand auf die Schulter, wandte seinen Blick aber nicht von mir, die Stirn in Sorgenfalten gelegt. „Newt, hör auf, du bist schlau genug, um das nicht zu tun. Das würde nur damit enden, dass du als dritter im Bau landest." Newt sah resigniert zu Boden.
„Und was sollen wir dann machen? Alby, du musst irgendetwas tun!" Jetzt sah Newt ihn durchdringend an. „Wir können sie doch nicht die ganze Nacht frieren lassen. Bis morgen früh sind es noch Stunden!" Er drückte meine kalten Hände und rieb sie, in dem Versuch, sie zu wärmen.
„Ich hab schon versucht sie zu wärmen. Aber wenn ich nur ihre Arme wärmen kann, hilft das auch nicht." Ich konnte mir bildlich vorstellen, wie Gally gerade mit verschränkten Armen auf der anderen Seite der Wand stand und Alby auffordernd ansah.
„Alby, wir müssen irgendetwas machen. Kann ich nicht anstatt ihr die Strafe absitzen?" Der kleine Chuck war aufgestanden und hatte sich mutig vor dem schwarzen Jungen aufgebaut.
„Chuck, red' keinen Unsinn. Du bleibst schön da, wo du bist. Außerdem würde Nick das nicht erlauben." Ich bemühte mich so gut es ging vernünftig zu reden, auch wenn ich zitterte. Ich wollte mir nicht anmerken lassen, wie kalt mir wirklich war.
„Und wenn wir sie zu Gally rüber lassen? Der könnte sie doch wärmen..." Erst jetzt meldete sich Minho wieder zu Wort. Ich konnte sehen, wie Newts Gesicht sich zu einer Grimasse verzog, als er sich das vorstellte, aber genauso schnell, wie seine Abneigung dagegen zu sehen gewesen war, hatte er sie auch schon wieder versteckt.
„Ja... Ja, Alby, das müsste doch gehen. Was soll Nick dagegen haben?" Auch er war nun aufgestanden. Den Anderen fiel es bestimmt nicht auf, aber ich konnte förmlich hören, wie er mit sich rang, sich dafür auszusprechen.
Alby kratzte sich am Kopf und überlegte. Er sah abwechselnd von mir zu Gally. „Na schön. Ich werde sagen, dass es meine Idee war, nachdem ich einen Rundgang gemacht und gesehen habe, dass Anna halb am Erfrieren ist. Von euch war niemand hier, klar?" Er erhob sich ebenfalls und sah von einem zum anderen.
Ohne eine Antwort der Anderen abzuwarten, machte Minho, der noch immer vor meiner Zelle hockte, sich an meinem Gitter zu schaffen. Als es aufschwang war Newt sofort da um mir aus dem Loch herauszuhelfen, nur damit Alby mich sofort rüber zu Gallys Zelle schieben konnte, dessen Tor Chuck zu öffnen versuchte.
„Nun mach schon, Frischling", motzte Gally und Chuck wurde immer nervöser und hantierte zitternd an dem Riegel herum, bis Newt ihn sachte zur Seite schob und das Tor öffnete. Alby schob mich weiter vor und ich sprang in das Loch hinunter, wo Gally mich auffing. Sofort schloss Newt das Tor wieder und verschloss es, bevor er mit verzogenem Gesicht zu uns herunter sah.
„Fass sie ja nicht an, Gally." Er wollte witzig klingen, aber es gelang ihm nur halb.
„Das wird sich nicht vermeiden lassen, Kumpel. Es sei denn, du willst dass sie doch noch erfriert." Er legte mir demonstrativ einen Arm um die Schultern und ich merkte sofort, wie seine Wärme mich umschloss. Trotzdem löste ich mich noch einmal von ihm und trat an das Gitter zu Newt.
„Mach dir keine Sorgen. Wir sehen uns morgen früh." Ich nahm seine Hand und gab ihm einen Kuss auf den Handrücken.
„Genau, und jetzt geh schlafen, Newty."
Ich warf Gally einen strafenden Blick zu.
„Ich liebe dich", flüsterte ich.
„Und ich liebe dich." Mit diesen Worten ließ er meine Hand los, drehte sich um, wobei er Gally noch einen warnenden Blick zuwarf und verschwand mit Alby, Minho und Chuck in der Dunkelheit.
„Ich denke wir sollten auch versuchen zu schlafen, was meinst du?", fragte Gally jetzt und verzog sich tiefer in unsere Zelle. Ich folgte ihm, wobei ich mich immer mehr bücken musste. Es war so dunkel, dass ich kaum etwas sah und mir den Kopf stieß. Langsam tastete ich mich voran, bis ich ihn fand und mich neben ihn legte.
„Jetzt stell dich nicht so an, komm her." Gally zog mich zu sich heran, sodass ich halb auf ihm lag. Zuerst wollte ich mich wehren, doch dann umschloss mich seine Wärme so angenehm, dass ich nicht anders konnte als liegen zu bleiben.
Ich schloss die Augen und flüsterte: „Danke."
„Kein Problem, Kleine."
Plötzlich sah ich ein Bild vor meinem inneren Auge, auf dem ich und Gally zusammen in einem Bett lagen, in dem Raum, in dem ich mich schon einmal mit Newt gesehen hatte. Ein Gefühl von Verzweiflung überkam mich und ich fühlte mich schrecklich alleine.
Sie würden ihn mir wegnehmen, den Menschen, den ich am meisten brauchte. Sie würden ihn einfach mitnehmen.
Ich schreckte hoch und stieß mir dabei den Kopf. Gally musste eingenickt gewesen sein, denn er stieß ein entsetztes Keuchen aus und schreckte ebenfalls hoch, wobei er mir mit der Schulter einen Kinnhaken verpasste.
Benommen von dem Schlag saß ich kurz verwirrt da, bis ich wieder wusste, wo ich war.
„Was ist passiert?", fragte Gally müde.
„Nichts, nichts. Ich hab nur geträumt, entschuldige." Sofort merkte ich, dass mir wieder kalt wurde und schlang meine Arme um meinen Oberkörper.
„Na komm schon wieder her. Bevor du wieder zitterst."
Ich konnte erahnen, dass er seine Arme ausbreitete und ließ mich hinein gleiten.
Den Kopf auf seiner Brust und fest an ihn gekuschelt lauschte ich seinem ruhigen Herzschlag und dachte an meinen Traum. War es denn ein Traum gewesen? Es hatte sich eher wie eine Erinnerung angefühlt.
Plötzlich hatte ich das starke Bedürfnis, Gally davon zu erzählen.
„Ich hab von dir geträumt."
„Hmm?", machte er.
„Eben. Ich habe von dir geträumt."
Jetzt wurde er wieder munter. „Und was?", fragte er neugierig.
„Es war eigentlich gar nicht wie ein Traum, eher, als hätte ich mich an etwas von früher erinnert. Wir lagen auf einem Bett, und du hast geschlafen und hattest mich im Arm, aber ich war wach. Und ich habe geweint. Ich wusste von irgendetwas und alles was ich gedacht habe, war, dass man dich mir wegnehmen würde. Und das hat sich angefühlt wie das Ende der Welt."
Der letzte Satz war eine Feststellung und ich sagte das ganz nüchtern, auch wenn ich innerlich wieder das schreckliche Gefühl aus meinem Traum fühlte.
Gallys Umarmung wurde noch ein wenig fester. „Vielleicht werden wir eines Tages herausfinden, ob das nur ein Traum oder eine Erinnerung war. Aber eins weiß ich. Ich bin vor dir hierher gekommen und du hast mir eine Nachricht geschickt. Also warst du irgendwo da draußen, als ich schon hier drinnen war. Vielleicht ist das, was du da geträumt hast, gar nicht so abwegig."
Als er von der Nachricht sprach bekam ich noch mehr das Gefühl, dass es tatsächlich kein Traum, sondern eine Erinnerung gewesen war. Ich schob meine noch immer kalte Hand unter seinen Pullover und merkte, dass er zusammen zuckte bei der Berührung meiner kalten Haut, aber er beschwerte sich nicht und die Wärme tat unheimlich gut, also ließ ich meine Hand auf seinem Bauch ruhen und stellte einmal mehr fest, dass Newt nun wirklich nicht der einzige mit Bauchmuskeln war. Aber was hatte ich auch erwartet? Wenn man Gally ansah, sah man sofort, dass er muskulös war.
Irgendwie brachte mich der Gedanke daran zum Lächeln und ich schloss nun endgültig die Augen um zu schlafen.
„Gute Nacht, Kleine."
„Gute Nacht", murmelte ich und dachte noch einmal an die Nachricht, die ich ihm vor mehr als drei Jahren geschrieben haben musste.
Da fiel mir noch etwas anderes ein. Damals, als ich hier angekommen war, hatte auch ich einen Zettel in meiner Hose gefunden.
Erinnere dich.
Mehr hatte nicht darauf gestanden. Bevor ich einschlief, fragte ich mich, wer diesen Zettel geschrieben hatte. War es jemand, der jetzt hier bei uns war? Ich konnte es mir nicht vorstellen. Die Schrift hatte nicht ausgesehen, als wäre sie die eines Jungen und ich hatte sie auch nie wieder bei jemandem erkannt.
Mit dem Gedanken an jemanden, der da draußen war, vielleicht immer noch manchmal an mich dachte und wollte, dass ich mich erinnerte, schlief ich ein.
Und ahnte nicht, dass Teresa, meine Freundin, das Mädchen, das mir diesen Zettel zugesteckt hatte, als man Minho und mich in die Box gelegt hatte, nur einige hundert Meter Luftlinie von mir entfernt in ihrem Bett lag und ebenfalls an mich dachte, die sie seit über drei Jahren jeden Tag dabei beobachtete, wie sie versuchte einen Ausgang zu finden.
Ich wusste nicht, dass sie und ein Junge namens Thomas, der auch einmal mein Freund gewesen war, jeden Tag zusammen mit einem anderen Mädchen – das ich in gar nicht allzu langer Zeit, unter Umständen die für mich in dieser Nacht unvorstellbar waren, kennenlernen würde – jeden Tag um unser Leben bangten und jedes Mal, wenn ich in Gefahr war, wie erstarrt auf ihren Stühlen saßen und sich erst wieder regten, wenn Minho mich einmal mehr gerettet hatte.
Und genauso wenig wie all das ahnte ich, dass dieser Thomas gerade in einem kleinen Raum saß, vor sich ein Funkgerät und eine Liste mit den Koordinaten von allen Labyrinthen, sich die Haare raufte und dann murmelte: „Sie hätte es auch gemacht, komm schon Thomas, jetzt tu es endlich."
Endlich drückte er einen Knopf und drehte an ein paar Rädchen, als eine Stimme ertönte. „Thomas, bist du das?"
„Ja, Mary, ich bin es."
„Hast du die Koordinaten?"
Der Junge schluckte noch einmal laut, bevor er begann der Frau am anderen Ende die Daten von seinem Zettel durchzugeben.
Als er geendet hatte verabschiedeten sie sich schnell wieder und das letzte, was die Frau namens Mary zu ihm sagte, war: „Sie wäre stolz auf dich – unsere Anna. Jetzt holen wir sie und deine anderen Freunde da raus. Glaub mir, Thomas, du hast das Richtige getan. Bis bald, ich hoffe wir sehen uns dann endlich persönlich."
Damit brach das Gespräch ab und Thomas blieb in der Stille noch ein wenig sitzen, wissend, dass sie ihn jetzt auch in eines der Labyrinthe schicken würden. Er musste mit Teresa sprechen und es ihr erklären, bevor WICKED es tun würde.

Into The WICKED Maze | A Maze Runner StoryWhere stories live. Discover now