30. Verbannung

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Ohne dass Nick oder Alby es ankündigen mussten, waren bereits alle Hüter in der Versammlungshütte versammelt. Wir waren die letzten, die ankamen und setzten uns deshalb in die Nähe der Tür.
„Also gut. Ihr wisst, warum wir hier sind. Alfred wurde von einem Griever gestochen und jetzt liegt es bei uns, zu entscheiden, was mit ihm passieren wird. Irgendwelche Vorschläge?"
Gallys Hand schoss in die Höhe und ich wusste, was er sagen wollte, noch bevor Nick ihn drangenommen hatte.
„Wir müssen ihn verbannen. Das steht doch völlig außer Frage, oder?"
„Hey, er ist immer noch einer von uns, klar? Er ist einer unserer Läufer."
Minho war aufgestanden, bereit seinen Job als Alfreds Hüter zu machen und ihn zu beschützen.
„Jetzt komm aber, Minho, so dumm bist du doch nicht. Nach dem, was damals mit Anna und Stan passiert ist, sollte uns doch wohl allen klar sein, dass es viel zu gefährlich ist, einen Gestochenen bei uns zu behalten. Oder willst du riskieren, dass jemandem etwas passiert?" Er sah ihn mit hochgezogenen Augenbrauen an.
Auch ich war aufgestanden und hielt Minho jetzt fest, um ihn davon abzuhalten auf Gally loszugehen. „Hey, beruhig dich jetzt. Gally macht sich nur Sorgen, so wie wir."
Ich spürte, dass er schneller atmete als normal und seine Muskeln unter meinem Griff angespannt waren, aber er setzte sich nach ein paar Sekunden wieder hin.
„Also, so wie ich das jetzt verstanden habe, haben wir zwei Meinungen, richtig? Dann sollten wir abstimmen. Wer ist dafür, dass Alfred hier bei uns bleibt und wir abwarten, mit dem Risiko, dass etwas Ähnliches wie damals mit Stan passiert?"
Minhos Arm schoss hoch und auch ich meldete mich zögerlich, schließlich war ich Alfreds Hüterin und meine Pflicht war es, auf ihn aufzupassen.
Außer uns meldete sich niemand, so wie ich erwartet hatte. Niemand wollte riskieren, was Nick eben noch beschrieben hatte.
„Okay. Und wer ist im Gegenzug dafür, dass wir Alfred heute noch verbannen und dem Risiko aus dem Weg gehen?"
Dieses Mal meldeten sich alle übrigen Hüter, sowie Nick, Alby und Newt, der die ganze Zeit mit verschränkten Armen an einem Pfeiler gelehnt hatte. Als unsere Blicke sich trafen, sah er mich entschuldigend an, aber ich schüttelte nur beschwichtigend den Kopf. Ich verstand, warum er sich hierbei melden musste.
„Also gut, damit ist es beschlossen, wir werden ihn verbannen, heute Abend, bevor die Tore sich schließen. Clint, du und Jeff bringt ihn ins Loch, da kann er am wenigsten Schaden anrichten."
Nick verließ schnell den Raum, dicht gefolgt von Alby. Ich konnte mir vorstellen, was gerade in ihren Köpfen vor sich ging – sie dachten an George.
Nach und nach verließen die Hüter ebenfalls den Raum, wobei manche uns mitleidig ansahen, andere, wie Gally, rauschten förmlich heraus. Clint stand noch einige Sekunden unschlüssig neben uns und machte sich dann mit hängenden Schultern auf den Weg zur Sanihütte.
Schlussendlich blieben nur Minho, Newt und ich zurück.
„Tut mir leid, aber ich musste mich dafür melden. Die Gefahr ist einfach zu groß, nach dem, was mit Stan passiert ist..."
Ich schüttelte den Kopf und umarmte ihn einfach, glücklich, dass er mich festhielt und alles ein bisschen erträglicher machte mit seiner Anwesenheit. Gemeinsam mit Minho verließen wir nun auch den Raum und machten uns auf den Weg zur Sanihütte, wo Alfred mittlerweile zu sich gekommen war und wirres Zeug redete.
„Er spricht die ganze Zeit von irgendetwas, das 'nicht gut' ist. Wicked oder so." Jeff schüttelte verwirrt den Kopf.
Minho und ich wechselten einen Blick. Wir dachten das Gleiche, so viel stand fest. Ich erinnerte mich an den Moment vor mehr als zwei Jahren, als ich das letzte Mal bewusst an diesen Namen gedacht hatte – W.C.K.D. Damals waren Minho und ich zu dem Entschluss gekommen, dass es irgendetwas zu bedeuten haben musste und vielleicht der Schlüssel zu unserem Ausweg von hier war, aber danach hatten wir es nie wieder gehört, nur immer wieder auf den Wänden im Labyrinth und den Vorräten, die mit der Box zu uns hochkamen, gelesen.
Plötzlich verkrampfte Alfred sich und versuchte im nächsten Moment schreiend und wild um sich schlagend, die Fesseln zu lösen.
„Jeff, wir müssen ihn ruhig stellen!"
Clint hatte gerade irgendetwas zusammen gerührt und sah entsetzt zu, wie der andere Sanitäter mit dem Jungen auf der Liege kämpfte.
Als ich gerade dachte, dass Alfred gleich frei wäre und wir ihn überwältigen müssten, schoss Newt vor, riss ein Holztablett von einem Tischchen und zog es dem Jungen über den Kopf, sodass er bewusstlos auf seine Liege zurücksank.
„Danke", stieß Jeff hervor und sah Newt mit großen Augen an.
„Kein Ding", entgegnete dieser, eine Spur zu ruhig. Ich nahm seine Hand und drückte sie.
„Gut gemacht", flüsterte ich.
Minho stand neben mir und massierte sich den Nasenrücken, anscheinend um sich zu beruhigen.
„Das darf nicht wahr sein", murmelte er. „So ein Klonk."
Ich legte ihm eine Hand auf den Rücken. „Komm, wir können hier eh nichts tun. Lass uns woanders hingehen."
Er nickte zustimmend und wir verließen die Hütte. Newt machte sich wieder auf den Weg zu den Feldern, weshalb wir nur noch zu zweit waren und uns abseits der Anderen auf einen Baumstamm setzten, von wo aus wir nur wenige Minuten später beobachteten, wie Jeff und Clint Alfred zum Loch trugen.
„Hey, wir müssen uns beruhigen. Wir können nichts dafür, dass Alfred gestochen wurde. Wir haben ihnen immer gesagt, dass wir uns im Labyrinth auf keinen Fall aufteilen. Jetzt ist es so passiert. Glaub mir, ich bin genauso entsetzt und traurig wie du, aber wir müssen die Entscheidung der Anderen akzeptieren."
„Du hast ja Recht, aber wenn ich mir vorstelle, dass wir ihn heute Abend da raus schicken werden... Das ist sein Todesurteil, Anna."
Ich wusste, dass er Recht hatte und doch wollte ich mir nicht vorstellen, was mit ihm passieren würde, wenn er nachts im Labyrinth war. Ich kniff die Augen zusammen und schüttelte den Kopf um die Bilder, die mir in den Kopf schossen wegzudrängen.
Nach einer Ewigkeit, die wir einfach nur dagesessen und geschwiegen hatten, fiel mir wieder ein, dass wir heute eigentlich mit Nick und Alby hatten sprechen wollen.
„Ich glaube das Gespräch mit Nick vertagen wir nochmal, oder? Das ist heute vielleicht nicht die beste Idee."
Minho nickte zustimmend. Dann schwiegen wir wieder.
So saßen wir da, bis die Sonne langsam hinter den Mauern zu verschwinden begann. In der Nähe des Tores versammelten die Lichter sich nach und nach, wobei die Hüter und Anführer mit langen Stäben, die an ihren Enden Vorrichtungen hatten, um jemanden einzukreisen und - wenn nötig - voranzutreiben, und der Rest mit Speeren bewaffnet waren. Ich hatte gewusst, dass es sie gab, aber in den Jahren, in denen ich hier war, hatten wir sie noch nicht benutzen müssen. Sie waren wegen George gebaut worden, das hatte Newt mir einmal erzählt.
„Minho? Es ist Zeit."
Er sah auf und erblickte die Lichter ebenfalls. Dann stand er auf und klopfte sich den Dreck von der Hose.
„Na dann, komm. Holen wir ihn."
Gemeinsam liefen wir über die Lichtung zum Loch, unsere einzige Art von Gefängnis, in die normalerweise die Lichter gesperrt wurden, die gegen die Regeln verstoßen hatten. Ich blickte zur Sonne und erkannte, dass das Tor sich in wenigen Minuten schließen würde.
Ich öffnete das Gitter und Minho sprang zu Alfred herunter, um ihn rauszuholen. Er lag einfach nur stumm da und sah uns mit Tränen in den Augen an. Wir stemmten ihn hoch und legten uns jeder einen Arm über die Schultern, um ihn zu stützen. Ich wusste, dass er uns nichts tun würde, denn ich hatte gesehen, wie Stan am Abend nach dem Stich gewesen war. Ruhig, ehrlich. Er hatte sich erinnert.
Und das hatte Alfred auch. Er humpelte zwischen uns her und ich konnte erstickte Schluchzer hören, während er versuchte, nicht zu zeigen, wie er sich fühlte. Es schmerzte, als er sich an mir festkrallte und dabei ein paar Haare ausriss, aber ich beschwerte mich nicht. Ich sah einfach geradeaus und kämpfte innerlich mit mir selbst.
Wir erreichten die Lichter und die Hüter machten uns Platz, damit wir ihn vor dem Tor absetzen konnten.
„Alfred, ab jetzt musst du selber laufen", flüsterte ich, als wir ihn losließen.
Er fiel hin, rappelte sich wieder auf und versuchte gerade zu stehen, wobei er sich den Bauch hielt, wo der Griever ihn erwischt hatte. In seinen Augen sah ich nichts als Angst und Verzweiflung und ich musste den Blick abwenden, um nicht selber zu weinen, als Gally mir einen Stab reichte.
„Bitte", flüsterte er und sah zwischen Minho und mir hin und her. „Bitte, lasst mich bleiben."
Aber er bekam keine Antwort, stattdessen warf Fry Pan ihm eine Tasche mit Vorräten hin, für den Fall, dass er sie brauchen würde. Er hob sie auf und suchte wieder meinen Blick, aber ich konzentrierte mich darauf, auf einen Punkt über ihm zu starren.
„Geh jetzt, Alfred." Nick machte einen Schritt auf ihn zu und wir taten es ihm gleich, die Stäbe auf ihn gerichtet. Das Tor gab ein ohrenbetäubendes Geräusch von sich und begann sich zu schließen, woraufhin wir immer weiter vorrückten und Alfred immer mehr zurück gedrängt wurde. Zwischen den Mauern, die sich auf ihn zubewegten blieb er stehen, weil wir nicht weiter gehen würden.
„Alfred, los, es wird dich zerquetschen!", rief Minho und der Junge schien erst jetzt richtig zu sich zu kommen.
Er rannte los und schaffte es hindurch, bevor das Tor sich völlig schloss. Kurz bevor es mit einem Knall zu ging, drehte er sich auf der anderen Seite noch einmal um und sah Minho und mich direkt an. Anklagend, verängstigt.
Das war es für mich. Ich drehte mich um, drückte Gally meinen Stab in die Hand und lief in Richtung meiner Hütte. Dort schmiss ich mich auf meine Liege und schluchzte laut auf. Nach kurzer Zeit hörte ich, wie die Tür geöffnet wurde und Minho sich auf sein Bett setzte.
Es dauerte, bis ich mich wieder beruhigt hatte und aufsetzte, aber alles, was Minho flüsterte, als ich ihn ansah, war: „So ein Klonk."
27 Monate und 8 Tage.

Into The WICKED Maze | A Maze Runner StoryWhere stories live. Discover now