28. Ben

956 67 0
                                    

„Ich bin gespannt, was für einer später hoch kommt", meinte Gally, als wir gemeinsam mit Minho und zwei seiner Baumeister beim Frühstück saßen. Newt war bereits zu den Feldern gegangen, wo er sich das Kommando mittlerweile mit Zart – so hieß der Neue, der nach Minho und mir hochgekommen war –  teilte, der von uns zum Hüter der Hackenhauer ernannt worden war, wenige Wochen, nachdem er mit der Box hochgekommen war. So wie wir erwartet hatten, hatte er sich als Baumeister schrecklich gemacht und man hatte schnell gemerkt, dass er sich perfekt zum Hackenhauer eignete, besser als alle anderen, die wir hatten. Also war es nur eine Frage der Zeit gewesen, bis Newt ihn als Hüter vorgeschlagen hatte.
Einer der beiden Baumeister, Rob, lachte dümmlich bei allem, was Gally sagte. Auch jetzt gluckste er wieder vor sich hin und erntete einen verständnislosen Blick von Minho, der ihm nicht einmal auffiel. Alle, die Gally seine Untergebenen nennen durfte, waren nicht gerade die hellsten, aber Rob war nicht zu übertreffen. Der andere der noch bei uns saß, Adam, war allerdings auch nicht viel mehr mit Intelligenz gesegnet.
„Vielleicht noch einer für uns, Gally", nuschelte er mit vollem Mund.
Gally beachtete ihn gar nicht. Er genoss es, dass sie ihm alles nach dem Mund redeten, aber manchmal hatte ich auch das Gefühl, dass er ziemlich genervt war von ihnen.
„Na hoffentlich nicht, wir brauchen mal wieder jemanden mit Gehirn." Minho sagte das wie einen Scherz, aber ich wusste, dass er es ernst meinte. Traurig aber wahr.
„Ich tippe auf einen Läufer. Aber einen, der wirklich gut ist. Die Paar die ihr da habt taugen doch nichts." Gally deutete in Richtung des geöffneten Tors, vor dem sich gerade drei Jungen dehnten. „Muss doch wie Urlaub sein, wenn ihr hier bleibt und die alleine da raus gehen."
Ich sah ihn tadelnd an, wusste aber nichts einzuwenden. Er hatte Recht, die drei Läufer, die wir mittlerweile hatten – Alfred, Jackson und Alex – waren, wenn wir alle gemeinsam ins Labyrinth gingen, eher eine Bremse als eine Hilfe, auch wenn wir natürlich keinerlei Zeitdruck mehr hatten. Denn wir hatten noch immer, auch ein Jahr nach unserer Erkenntnis in der Hütte der Läufer, keinen Anhaltspunkt für einen Ausgang gefunden.
Ich zuckte zusammen, als die Sirene ertönte, die einen neuen Frischling ankündigte, auch wenn ich sie schon unzählige Male gehört hatte. Als wir uns auf den Weg zur Box machten, sah ich, wie die Läufer vorm Tor zögerten und aus Neugierde da bleiben wollten.
„Denkt gar nicht dran, raus da mit euch!", rief ich und die drei drehten sich sofort um und liefen los.
An der Box angekommen öffneten Gally und Minho die Gitter, bevor ersterer in die Box sprang und nach kurzer Zeit mit einem blonden, muskulösen Jungen wieder hoch kam. Dieser sah sich verwirrt um und wurde sofort von Alby empfangen, der ihm, wie jedem bisher, die Lichtung zeigen würde.
Wir verstreuten uns wieder, mittlerweile waren wir mehr als doppelt so viel wie am Anfang und nur Justin war in der Zeit, in der ich nun hier war, von uns gegangen. Eines Tages, vor ein paar Monaten, hatte er es geschafft, sich selber so tief ins Bein zu hacken, dass er nur wenige Tage später an einer Blutvergiftung, gegen die Clint und sein neuer Kollege Jeff nichts hatten tun können, gestorben war.
Der Tag, an dem wir ihn neben Stan beerdigt hatten, war mit Abstand einer der traurigsten, die ich auf der Lichtung erlebt hatte. Keiner hatte an diesem Tag gearbeitet und wir hatten die Stunden damit verbracht, schweigend dazusitzen und um ihn zu trauern. Justin war ein netter Kerl gewesen, mit dem ich mich bei unserem ein oder anderen gemeinsamen Aufenthalt in der Sanihütte immer gut verstanden hatte. Umso trauriger war ich gewesen, als Clint ihm nicht mehr hatte helfen können.
„Also wenn du mich fragst, könnte der Neue wirklich ein Läufer sein. Seine Statur sah vielversprechend aus."
Minho sah nachdenklich auf den Boden vor sich, in den er mit einem Stock Muster zeichnete. Wir saßen zu zweit am See und hatten bis gerade unseren Gedanken hinterher gehangen.
„Dann lass uns doch mal schauen, ob Alby mit ihm durch ist, und ihn fragen, ob er uns mal zeigen will, wie schnell er ist", schlug ich vor.
Also machten wir uns auf den Weg zur Lichtung und suchten den Frischling, den wir relativ schnell bei Fry Pan fanden.
Wir stellten uns vor ihn und ich hielt ihm meine rechte Hand hin. „Hi, ich bin Anna und das ist Minho. Wir sind –"
„– die Hüter der Läufer, hat Alby mir schon erzählt", unterbrach er mich.
„Ganz genau. Wir haben dich gesehen und finden, du siehst aus, als könntest du einen ganz guten Läufer abgeben. Hast du Lust es mal zu versuchen? Ein kleines Wettrennen gegen uns?", fragte Minho.
Ohne zu zögern willigte er ein. Also suchten wir uns eine Stelle nahe der Mauer, wo niemand uns in die Quere kam und wir ein Wettrennen veranstalten konnten. Das hatten wir bisher mit jedem unserer Läufer gemacht und immer gewonnen, was Minho ziemlich selbstsicher wirken ließ, während ich bei dem Neuen das Gefühl hatte, dass er ziemlich schnell sein könnte.
Wir erklärten ihm, bis wohin wir rennen würden und Minho und er fingen an. Ich gab das Startsignal und sie sprinteten los, wobei Minho von Anfang an einen Vorsprung hatte, den der Andere allerdings immer kleiner werden ließ, bis sie gleichauf waren. Ich stand erstarrt da und beobachtete, wie er Minho kurz vor dem Ziel überholte – und gegen ihn gewann.
Als sie wieder zu mir zurück gejoggt kamen, schüttelten sie sich zwar die Hände, aber Minho war offensichtlich ziemlich überrascht, dass der Neue so schnell war. Genau wie ich, ich hatte beinahe ein wenig Angst, jetzt gegen ihn anzutreten. Ich war immer die Schnellste gewesen.
Aber ohne etwas zu sagen stellte ich mich neben ihm auf und sah mich kurz um, bevor Minho das Signal gab. Jedes Augenpaar auf der Lichtung war auf uns gerichtet.
Oh Mann, jetzt sieht es auch noch jeder, wenn ich verliere.
Ich konnte Newt bei den Feldern erkennen, der sich auf eine Harke stützte und Gally, der gerade auf dem Dach der Versammlungshütte stand, weil er dort etwas ausbesserte, die Hand über den Augen um besser gegen die Sonne sehen zu können.
Ich wandte meinen Blick wieder ab und ließ meine gesamte Konzentration in meine Beine fließen, sodass ich jeden Muskel darin spürte. Mit geschlossenen Augen wartete ich auf Minhos Signal und öffnete sie erst wieder, als es ertönte.
Und dann gab es nur noch eins für mich: Rennen. Meine Beine trugen mich über das Gras und ich fühlte das, was ich immer fühlte, wenn ich so schnell rannte. Es fühlte sich an, als gehörten meine Beine nicht zu meinem Körper und als könnten sie mich überall hin tragen.
Zuerst konnte ich den Neuen neben mir spüren und kurz hatte ich sogar das Gefühl, dass er mich überholen könnte, doch dann, zehn Meter vor dem Ziel, ließ ich noch einmal alle Energie, die ich noch hatte, in meine Beine fließen und wurde noch schneller.
Als ich das Ziel erreichte, das durch eine Reihe aus Steinen markiert war, stoppte ich und wirbelte herum. Und tatsächlich, der Neue war einige Meter hinter mir und erreichte erst jetzt das Ziel.
Von überall ertönte Klatschen und Pfeifen und ich sah mich um und erkannte, dass - einschließlich Nick und Alby - alle dastanden und mir zujubelten. Ein breites Grinsen breitete sich auf meinem Gesicht aus und das Gefühl von Familie, das ich zum ersten Mal nach Stans Tod im Versammlungsraum gespürt hatte, stieg wieder in mir hoch.
Ich sah, wie Gally von dem Dach sprang und klatschend auf mich zukam und sah auch Newt jetzt in meine Richtung laufen – nicht humpeln.
Die beiden klatschten noch immer, als sie mich erreichten und Gally nahm mich auf die Schultern. Die taten ja fast so, als hätte ich einen Marathon gewonnen.
„Leute", lachte ich, als Gally mich zu den anderen Lichtern trug. „Ich habe doch nur ein Rennen gewonnen. Jetzt hört aber auf."
„Nur ein Rennen gewonnen? Hast du überhaupt eine Ahnung, wie schnell du warst? So schnell warst du garantiert noch nie." Gally setzte mich bei der Küche ab.
„Ihr seid doch verrückt." Ich musste immer noch lachen.
„Meine Herren, hier sehen Sie die mit Abstand schnellste Läuferin dieser Lichtung. Autogramme gibt es später!" Ich boxte ihn in die Seite.
„Du spinnst, Gally."
Nach und nach löste sich die Traube aus Menschen wieder auf und alle gingen zurück an ihre Arbeit, ein Lächeln auf den Lippen wegen Gallys Witzen. Allein Minho, der Neue und ich blieben zurück.
Und damit war es beschlossen – der Junge der sich in ein paar Tagen daran erinnern würde, dass sein Name Ben war, war ein Läufer. Und bald Minhos bester Freund.
23 Monate.

Into The WICKED Maze | A Maze Runner StoryWhere stories live. Discover now