Kapitel 14

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• J O N A H •

Eva redet auf dem Weg zum Parkplatz aufgeregt auf mich ein, wie begeistert sie von dem Engagement der Schüler ist, die ganz fasziniert vom ersten Treffen waren. Schweigsam versuche ich, ihren Worten zu folgen, was nicht einfach ist, da sie verdammt schnell redet. Und ich bin mit meinen Gedanken ganz woanders.

"Ich stelle mir das mit den Kindern so gut vor, Jonah!", ruft sie erfreut aus. Ihre Hand in ihrer Ledertasche versunken, scheint sie nach etwas zu suchen. "Wo ist er denn bloß?", höre ich sie leise vor sich hin murmeln, dreht dann aber wieder ihren Kopf zu mir. "Was denkst du über heute?"

"Ähm, also..."

"Wo bist du denn mit deinen Gedanken?"

"Entschuldige. Mir geht gerade etwas im Kopf durch", erwidere ich mit leiser Stimme in der Hoffnung, dass sie es überhört. Und tatsächlich setzt sie fort, wie ein Wasserfall zu reden: "Weißt du, wer mich tatsächlich am meisten überrascht, aber vor allem hingerissen hat? Zachary Walsh!" Bei der Erwähnung seines Namens zucke ich unbemerkt zusammen. "Wie er mit dir auf der Bühne diese Übung durchgeführt hatte, als hätte er nie etwas anderes in seinem Leben getan! Einfach unglaublich."

Ich begleite sie zu ihrem Auto. "Niemals hätte ich gedacht, dass Zach kommen würde", spricht sie ihren Gedanken aus, lächelt dann aber. "Aber es ist gut! Vielleicht wird er somit Kontakt zu anderen Schülern suchen." "Ich war auch überrascht", erwidere ich nur und halte ihr die Autotür auf, damit sie einsteigen kann. "Wir sehen uns dann morgen." "Bis morgen, Jonah. Komm gut nach Hause."

Ich warte, bis sie losgefahren ist, winke ihr noch hinterher, bevor ich mich auf den Weg zur Bushaltestelle mache. In den nächsten Tagen sollte mein Auto aus der Werkstatt kommen. Ich warte nur auf den Anruf. Dann bin ich von keinem mehr abhängig und komme auch schneller von einem Ort zum anderen.

Außerdem vermisse ich es, laut und schräg zu Liedern mitzusingen.

Seufzend überquere ich den Parkplatz Richtung Hauptstraße, krame währenddessen in meiner Jackentasche nach Zigaretten und Feuerzeug.

Eigentlich wollte ich schon längst damit aufhören, zu rauchen. Es ist nicht nur ekelhaft, sondern vor allem schädlich. Ab und zu, wenn ich gestresst bin oder etwas mich zu sehr beschäftigt, rauche ich. Sonst lasse ich die Finger davon.

Gerade brauche ich aber eine Zigarette.

Warum?

Weil ich mich verdammt hilflos meinen Gefühlen gegenüber fühle! Was auch immer vorhin dort auf der Bühne zwischen mir und Zachary geschehen ist, es hat etwas in mir ausgelöst, das mich vollkommen aus dem Konzept gebracht hat.

Es war so intim. Anders intim.

Wie soll man so etwas beschreiben, wenn man es selbst nicht für sich fassen kann?

In dem Moment, als wir uns gegenüber standen und diese Übung machten, da hat sich mein Verstand regelrecht ausgeschaltet. Ich habe über nichts anderes nachgedacht. Nur er war wichtig. So sollte es sein, man sollte sich nur auf seinem Gegenüber fokussieren.

Aber da war noch etwas anderes. Irgendwas stimmte nicht mit mir.

Ihm so nahe zu sein, hat etwas in mir angestellt, das ich bisher noch nicht erlebt habe.

"Verdammt", murmle ich leise vor mich hin und reibe mir über die Stirn, als ich auf einmal wenige Regentropfen abbekomme.

Das kann doch nicht wahr sein! Warum ausgerechnet jetzt, vor allem zu dieser Jahreszeit?

Meine Schritte werden energischer, auch um zu verhindern, dass mich der starke Regen erwischt. Bis zur Haltestelle laufe ich noch ein paar Minuten, bis dahin möchte ich ungern nass werden.

"Kann eigentlich noch etwas schief gehen?", brumme ich und kicke einen Stein weg. Überrascht sehe ich zu, wie er auf die Straße rollt und einen Moment später unter den Reifen eines Autos liegt, das neben mir zu stehen kommt.

Das Fenster auf der Beifahrerseite wird heruntergekurbelt und ein junges Mädchen mit roten Haaren lächelt mich freundlich an. "Hallo." "Ähm, hallo", grüße ich zurück und nicke ihr mit einem zurückhaltenden Lächeln zu. Sie deutet mit einer Handbewegung ins Auto. "Steigen Sie doch ein, sonst erwischt Sie noch der Regen."

Ungläubig beuge ich mich ein wenig näher zum Auto vor und entdecke Benjamin Walsh, Zachs Adoptivvater, hinter dem Lenkrad sitzen. Auch er nickt mir zu. "Kommen Sie, Mr. Campbell. Wir nehmen Sie mit." "Vielen Dank für das Angebot, aber ich kann auch mit dem Bus fahren", winke ich ab und zeige Richtung Busstation.

"Das macht uns gar nichts aus", sagt dann wieder das Mädchen kichernd.

Der Regen wird mit einem Mal stärker, sodass ich nicht lange darüber nachdenke und die hintere Autotür aufreiße. Zachary rutscht im selben Moment auf die andere Seite, um mir Platz zu machen, scheint aber vertieft in seine Musik zu sein.

Sobald ich mich angeschnallt habe, fährt Benjamin los und bittet mich nach meiner Adresse, die ich ihm gleich darauf gebe. Während er sie ins Navigationsgerät eintippt, dreht sich seine Beifahrerin zu mir um und bedenkt mich mit einem neugierigen Blick.

"Ich bin übrigens Sadie, die charmante kleine Schwester von diesem...reizenden jungen Mann", stellt sie sich vor, was mich schmunzeln lässt. "Und Sie sind Zachs neuer Lehrer?" Als ich abermals nicke, seufzt sie theatralisch auf. "Ich habe nicht das Glück, solch gutaussehende Lehrer zu haben." "Sadie!", vernehme ich neben mir.

Mein Schüler packt seine Kopfhörer weg und wirft seiner Schwester einen finsteren Blick zu. "Du kannst auch nicht eine Minute deinen Mund halten oder?" "Nein. Es herrscht Meinungsfreiheit, mein Lieber. Da kann ich sagen, was und wann ich will!" "Nicht, wenn dein Mund gestopft is-" "Ihr beiden, hört augenblicklich auf!", ermahnt deren Vater sie harsch. Direkt ist es still im Auto.

Einige Minuten traut sich keiner, etwas zu sagen. Besonders ich habe nicht das Verlangen, die Ruhe zu stören, schaue deshalb schweigend aus dem Fenster und beobachte, wie die Regentropfen über das Glas wandern.

Mir ist allerdings die Anwesenheit von Zach durchaus bewusst. Ich spüre die Wärme, die von ihm ausgeht.

Irgendwann fällt mir auf, dass wir zur selben Zeit atmen, so wie vorher auf der Bühne. Aus dem Augenwinkel sehe ich, wie unsere Hände nur wenige Zentimeter voneinander liegen. Wenn ich meine Hand nur ein wenig nach links bewegen würde, könnte ich ihn berühren.

Meine Wangen erröten bei diesem Gedanken.

"Papa, schau mal."

Sadie zeigt auf das Navi, ihr Vater seufzt genervt auf, nachdem er einen Blick darauf geworfen hat. "Was ist denn?", höre ich Zach neben mir fragen. Er beugt sich nach vorne, so kann ich sein Seitenprofil unbemerkt betrachten.

Sein Gesicht ist für sein Alter sehr markant ausgeprägt, um seine Nase herum erkenne ich einige Sommersprossen, die aber nur ganz leicht zu sehen sind. Ein kleines Lächeln umspielt meine Lippen.

Ich fand Sommersprossen schon immer wahnsinnig süß.

Nein, stopp!

"Sagen Sie, Mr. Campbell." Ich erwecke aus meiner Träumerei und schaue nach vorne zu der Rothaarigen und ihrem Vater, der uns auf eine neue Spur eingliedert. "Was halten Sie von Chili?" Verwundert zucke ich mit den Achseln. "Gut, dann ist es entschieden!"

"Sadie, was redest du denn jetzt schon wieder?", fragt Zach ebenso verwirrt wie ich. Seine Schwester zwinkert ihm zu. "Er kann ja wohl schlecht nach Hause, wenn die Straßen gesperrt sind-" "Moment", falle ich ihr ins Wort, "Warum sind sie gesperrt?" "Es gab wohl einen Unfall. Und bisher gibt es keine Umleitung, wir können also keinen Umweg fahren", entgegnet Mr. Walsh, der nach rechts biegt und unbekümmert weiterfährt.

Leise seufzend lasse ich mich zurück auf den Sitz fallen und schließe die Augen. Es kann wirklich nicht mehr schlimmer kommen.

"Und das bedeutet?", meint dieses Mal der Teenager neben mir, der ebenso wenig begeistert von dieser aufkommenden Situation zu sein scheint wie ich.

"Mr. Campbell wird bei uns zu Abend essen!"










Jonah scheint nicht mit dem Ganzen umgehen zu können. Weniger hilfreich wird es sein, dann auch noch mit zu Zach nach Hause zu fahren. Aber was bleibt ihm anderes übrig? 😏

Broken Heart [boyxman] | ✔Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt