Kapitel 29

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• Z A C H A R Y •

"Setzt euch doch bitte hin. Wir würden gerne mit unserem ersten Werk beginnen." Mrs. Graham hält ein Manuskript in die Höhe und schaut lächelnd in die Runde. "Ihr seht es schon, was wir zuerst studieren werden. Ein Klassiker der Literatur. Die tragische Liebesgeschichte von 'Romeo und Julia'."

Ein begeistertes Raunen geht in der Gruppe durch. Die Jungs neben mir beißen sich beide schmunzelnd auf die Unterlippe, um sich das Lachen zu verkneifen. Augenverdrehend stupse ich sie an der Seite an, grinse aber selbst vor mich hin. "Ihr seid solche Idioten, ehrlich", zische ich ihnen zu. "Wir können doch auch nichts dafür. Es überkommt uns einfach." "Das hier ist eine ernste Sache, also benehmt euch auch dementsprechend."

"Und wir haben uns auch schon für einen Romeo entschieden." Unsere Lehrerin deutet auf mich. "Zachary Walsh wird in die Rolle von unserem charmanten Romeo schlüpfen." Um uns herum beginnen die Schüler zu klatschen. Meine Freunde können sich währenddessen nicht mehr zurückhalten und verfallen in lautes Gelächter.

"Ich kann euch manchmal echt nicht leiden", brumme ich und blättere im Manuskript herum, welches man mir zuvor schon gegeben hat. Dabei behalte ich Jonah im Auge, der auf der Bühne sitzt und sich irgendwelche Notizen macht. Seit unserer Unterhaltung vorhin weicht er meinen Blicken aus, als könne er es nicht ertragen, mich anzusehen.

Wäre ich vernünftig, würde ich mich zurückziehen. Auch, um mein ohnehin kaputtes Herz zu beschützen. Das will ich aber nicht.

Ist es nicht ein wenig ironisch, dass ausgerechnet ich diese Rolle bekommen habe? Ist es nicht immerhin so, dass wir genauso wenig zusammen sein sollten, wie es Romeo und Julia sollten? Ihr Umfeld hätte ihre Beziehung niemals zugelassen und das steht auch zwischen uns.

Doch könnte Jonah uns nicht genauso eine Chance geben, wie es die beiden getan haben? Sie waren glücklich, wenn auch nur kurz. Und das deshalb, weil sie sich gegen die Gesellschaft gestellt haben und zu sich gestanden haben.

Jonahs Worte dringen in meine Ohren durch: "Wie ihr wisst, mussten Romeo und Julia sterben, weil sie nicht anders zusammen sein konnten. Vielleicht war es auch die einzige Möglichkeit, um beide Häuser zu versöhnen. Der Tod der liebsten Familienmitglieder aus verschiedenen Familien, die nicht in Frieden miteinander leben konnten."

Er will mich ja wohl verarschen...

Jemand aus der vorderen Reihe meldet sich. "Eine Frage. Wie werden die weiteren Rollen vergeben?", fragt ein Mädchen und dreht sich in meine Richtung um. "Zach hat seine schon zugeteilt bekommen. Wenn wir...die weibliche Hauptrolle haben wollen, führen wir Szenen mit ihm vor?" Einige Mädchen kichern.

Sollte ich Angst haben?

Landon legt seinen Arm auf meine Schulter und lehnt sich zu mir herüber. "Wärst du nicht nur an Typen interessiert, hättest du definitiv auch ein wenig Spaß in diesem Kurs, Kumpel." "Ich glaube, auf diese Art von Spaß kann ich verzichten. Außerdem seid ihr doch deshalb hierhergekommen, oder nicht?" Er zwinkert mir grinsend zu.

"Es wird eine Art Casting geben. Ihr werdet euch bis nächste Woche auf eine Szene für eure Wunschrolle vorbereiten, gerne auch in Gruppen, und dann werden wir sehen, wer welche Rolle bekommt", erklärt der junge Lehrer weiter und nippt dann an seinem Kaffee, den er vorhin neben sich gestellt hatte.

Ein heikles Aufregen entsteht im Proberaum. Jeder spricht darüber, welche Rolle er ergattern möchte. Zu meinem Erschüttern freuen sich viele der anwesenden Mädchen darauf, Julia zu spielen.

"Also dafür, dass du anfangs gar nicht dabei sein wolltest, hast du ziemlich Glück, deine erste große Rolle gleich am Anfang zu bekommen", beglückwünscht mich Henry und reißt mir das Manuskriptbuch aus der Hand. "Vielleicht sollte ich für die Rolle des Grafen Montagues vorsprechen. Dann musst du meine Anweisungen befolgen." "Wie kommst du denn darauf?", hinterfrage ich es belustigt, er grinst daraufhin bloß. "Naja, ich bin dann dein Papi." "Du spinnst doch."

"Zachary, würdest du bitte kurz zu uns auf die Bühne kommen?", bittet mich Mrs. Graham über die Lautstärke hinweg. Sie und Jonah unterhalten sich über irgendwas, doch sie winkt mich zu sich. Ihr Kollege macht sich nicht einmal die Mühe, in meine Richtung zu schauen, als ich durch die Sitzreihen gehe und die Bühne ansteuere.

"Was gibt es?", frage ich, als ich die Treppen aufsteige. Die Lehrerin kommt mir mit einem freundlichen Lächeln entgegen. "Hör mal, ich kann verstehen, falls du wegen dieser Rolle ein wenig aufgeregt bist. Aber wirklich, wären wir nicht so von deinen Fähigkeiten überzeugt, hätten wir dir die Rolle des Romeos nicht gegeben."

Ich schaue über ihre Schulter zu Jonah, der uns beobachtet. Augenscheinlich nervös kaut er auf seiner Unterlippe herum. Tief einatmend straffe ich meine Schultern und wende mich ihr wieder zu. "Daran liegt es nicht, Mrs. Graham. Es ist eher, dass ich nicht das Gefühl habe, der Rolle gerecht zu werden. Romeo und ich sind charakterlich sehr verschieden. Und ich bin mir nicht sicher, ob ich einen überzeugenden Romantiker darstellen könnte."

Sie berührt meinen Arm. "Ich bin mir sicher, dass du das großartig machen wirst, Zach. Und auch wenn es eine Herausforderung sein sollte, dann nimm sie an. Es ist doch spannend, in eine vollkommen andere Rolle zu schlüpfen, die unterschiedlicher von deinem wahren Wesen kaum sein könnte."

Wenn Jonah mir nur so gut zusprechen würde, anstatt mich immer wieder von sich wegzustoßen. Ich bin es leid. Wenn er denkt, ich würde so einfach nachgeben, dann schätzt er mich falsch ein.

Mich haben diese Gefühle mindestens genauso überrumpelt wie ihn. Und ich war auch nicht sonderlich begeistert davon. Aber etwas muss an ihm sein, dass ich mich ihm hingezogen fühle. Er hat etwas an sich, dass mein Herz schneller schlagen lässt.

Kaum zu glauben, dass ich es jemals toll finden würde, so etwas für jemanden zu fühlen.

"Wir werden gleich reinlesen, und nach und nach die Rollen besprechen. Ist das in Ordnung? Wenn ihr Probleme habt, könnt ihr natürlich immer damit zu uns kommen." Ich nicke meiner Lehrerin zu und trete dann zur Seite, um ihr Platz zu machen. Sie geht die kleine Treppe herunter und beginnt damit, die Manuskripte auszuteilen. Ihr junger Kollege bleibt mit mir auf der Bühne und sieht mich aus für ihn sichere Entfernung an. Doch nicht mit mir.

Ich nehme all meinen Mut zusammen und gehe auf ihn zu. Ein leicht panischer Ausdruck blitzt in seinen Augen auf, was mich aber nicht zurückhält. Von einer plötzlichen Müdigkeit erfasst, reibe ich mir über die Stirn. "Weißt du, Jonah", sage ich leise, so dass nur er meine Worte hört. "Du könntest dir mal ein Beispiel an Mrs. Graham nehmen. Sie gibt mir wenigstens das Gefühl, hier gewollt zu werden, und würde mich nicht wegstoßen."

Sein Mund öffnet sich und es sieht aus, als wolle er etwas erwidern. Doch dazu kommt es nicht. Ehrlich verletzt über sein Verhalten schüttle ich den Kopf und wende mich von ihm ab. "Zach, bitte", höre ich ihn murmeln, ignoriere es aber und lasse ihn stehen. So wie er es mir gegenüber schon so oft getan hat.





Zachary hat durchaus Verehrer...oder sollte ich eher Verehrerinnen sagen? Aber von ihnen möchte er nichts wissen. Bei ihm dreht sich alles um Jonah.

Broken Heart [boyxman] | ✔Where stories live. Discover now