Kapitel 58

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• J O N A H •

Meine Beine fühlen sich taub an, als ich die Augen aufschlage.

Es ist mitten in der Nacht. Der Fernseher ist aus, Zach muss ihn ausgeschaltet haben. Die einzige Lichtquelle im Wohnzimmer ist die Stehlampe in der Ecke, die warmes Licht durch den Raum fluten lässt.

Ich versuche mich aufzurichten, doch ein schweres Gewicht macht es mir unmöglich. Als ich nach dem Grunde suche, schaue ich in das entspannte Gesicht meines Freundes. Zach hat es sich mit einem Kissen unter seinem Kopf auf meinem Schoß bequem gemacht und schläft friedlich.

Doch ein ungutes Gefühl breitet sich in mir aus, als ich ihn genauer betrachte, und seine bleiche Haut trotz des wenigen Lichtes sehe. Vorsichtig lasse ich meine Finger über seine Wange streichen, erschrecke aber, als sie sich so kalt und ... hart anfühlt. Sein Mund steht offen, die Lippen sind unnatürlich grau.

Verdammte Schei...

"Zach?"

Ich richte mich verschreckt auf, sodass sein lebloser Körper von mir herunterfällt und nun auf der Couch liegt.

Seine Hand hängt ruhig über die Kante der Couch herunter, sein bleiches Gesicht ist mir zugewandt.

Der Schock durchflutet mich.

Ich fühle nichts mehr. Leere füllt mich aus und es fühlt sich an, als würde ich schweben. Und auf einmal bekomme ich keine Luft mehr, mein Hals ist wie zugeschnürt.

Ich atme schnell, unkontrolliert, während mein ganzer Körper zittert. Ferngesteuert krieche ich über den Boden, presse mich an die Wand, um Abstand zu gewinnen.

Abstand von meinem ... toten Freund.

"Zach ... Nein, bitte. D-das ... Das kann nicht ... sein", gebe ich brüchig von mir, während die heißen Tränen über mein Gesicht fließen. Flehend schaue ich ihn an, wünsche mir, er würde seine wunderschönen Augen aufmachen. Aber das passiert nicht.

Es wird dunkel in meinem Kopf. Dunkel vor meinen Augen. Ein seltsamer Druck lastet an meinem Hinterkopf, das pochende Gefühl macht mich wahnsinnig.

"Mach deine Augen auf, bitte, Zach", schluchze ich. "D-das kannst du mir nicht antun, verdammt!"

Ich will, dass er mich wieder ansieht. Dass er mich neckt und ärgert. Ich will seine Stimme hören. Sein Lachen.

Ich will nicht wahrhaben, dass das hier das Ende sein soll. Ich will weitere gemeinsame Erinnerungen und Momente schaffen.

Das hier haben wir beide nicht verdient. Unsere Liebe hat es nicht verdient. Nicht nachdem wir so gekämpft haben.

Wir konnten uns nicht einmal voneinander verabschieden. Diese Zeit hätten wir doch so viel besser miteinander verbringen können, als einen albernen Film zu schauen. Unser letztes Gespräch - mein Kopf ist wie leergefegt, dass ich mich gerade nicht einmal mehr an unsere Worte erinnern kann.

Ich brauche Ruhe - Ruhe vor dem ganzen Chaos in meinem Kopf. Ruhe, um meine Gedanken zu ordnen. Ruhe, um wieder klar denken zu können. Ruhe, um Kraft zu tanken. Ruhe, um weiter zu machen.

Aber wie soll ich mich beruhigen, wenn mein toter Freund nur wenige Meter neben mir liegt?

"Das ist nicht fair ..."

Schluckend wische ich mir mit der Hand die Tränen aus dem Gesicht. Ich muss stark sein. Für ihn. Für uns beide.

Irgendwie schaffe ich es, all meine Kraft zusammen zu nehmen, und aufzustehen. Meine Knie sind weich, es fühlt sich an, als würde ich auf wackeligen Stelzen auf die Couch zulaufen.

Doch trotz meiner Mühe, mich zusammenzureißen, habe ich das Gefühl, als würde ich ertrinken. Mit jedem Schritt, mit dem ich näherkomme, ist es, als würde ich weniger Luft bekommen. Ich ersticke.

Meine Knie geben schließlich nach und ich lasse mich auf dem Boden sinken, sodass ich vor Zachs Körper hocke. Mein Blick irrt verloren hin und her, auf der Suche nach etwas. Nach den grünen Augen, die mir den Halt gegeben haben, den ich jetzt unbedingt brauche.

Aber ich werde nicht fündig. Nie wieder.

Denn ich habe Zachary verloren. Ich habe uns verloren. Für immer. Und ich werde ihn nie wieder in die Arme schließen können. Ich werde seinen Herzschlag nie wieder lauschen können.

Sein Herz hat aufgehört zu schlagen. Für immer.

Zach ist nicht mehr da.

Ich schluchze.

Mein eigenes Herz ist so leer und doch pocht es schmerzvoll in meiner Brust. Und mein Herz schlägt. Zachs aber nicht mehr.

Je öfter ich darüber nachdenke, desto schlimmer wird die Realität.

"Mein Schatz ...", gebe ich erschüttert von mir und beuge mich vorsichtig über ihn. Als könnte eine zu schnelle Bewegung meinerseits seinen zerbrechlichen Körper kaputtmachen.

Sanft küsse ich ihn und hoffe, noch ein wenig Leben in ihn einflößen zu können. Doch er erwidert nicht den Kuss. Seine Lippen sind kalt. So unendlich kalt.

Und so sehr ich es mir wünsche, ich kann nichts dabei fühlen. Es fühlt sich einfach nur verkehrt an. Ich fühle mich schwach. Zittrig. Alleine.

Allein.

Zach ist im entscheidenden Moment auch allein gewesen, dabei hätte ich ihm Beistand leisten sollte. Und auch seine Familie.

Seine Familie ... Verdammt, wie soll ich ihnen das hier sagen? Wie bringt man es den Eltern bei, dass ihr Sohn verstorben ist? Und seine Geschwister?

Ich habe ihnen allen versprochen, auf Zachary zu achten. Stattdessen habe ich geschlafen, anstatt ihm zu helfen.

Ich bin schuld, dass er tot ist.

Unter Tränen lege ich meinen Kopf auf seine Brust, kann allerdings nicht seinem Herzschlag lauschen. Ich schließe die Augen.

Zögerlich umfasse ich seine Hand. Sie ist wenig warm, was mich zusammenzucken lässt. Trotzdem führe ich den Handrücken zu meinen Lippen und lasse sie über seine Haut wandern.

"Wie soll ich ohne dich leben, Zach? Du ... Du fehlst mir doch jetzt schon", sage ich leise. "Du hast einen so viel ... schöneren Abschied verdient. Im Beisein deiner Familie und nicht, wenn ich schlafend neben dir liege ... Wie albern ist das denn? Warum bin ich derjenige, der dich das letzte Mal im Arm halten durfte, nachdem deine Eltern und deine Geschwister so viel mehr für dich getan haben? Ihr habt ein gemeinsames Ende verdient ..."

"Jonah, du hast mir in den wenigen Monaten mehr geschenkt als jeder andere. Ich habe mich endlich mal lebendig gefühlt! Und dafür bin ich dir so unheimlich dankbar."

Seine Worte dringen wieder in mein Ohr.

Meine Lippen berühren seine Hand, als ich sage: "Ich bin dir auch so unendlich dankbar, dass du mir diese wertvolle Zeit mit dir geschenkt hast, Zach."

Und als ich schließlich nach meinem Handy krame, ist meine Sicht durch die vielen Tränen verschwommen. Mit zitternden Fingern suche ich Benjamins Nummer und wähle seinen Kontakt aus, bevor ich es mir nochmal anders überlege.

Bereits als ich das Handy an mein Ohr führe, höre ich seine müde Stimme.

"Jonah?"

Ich öffne den Mund, doch es verlässt kein Wort meinen Mund.

Ben zählt wohl sofort eins und eins zusammen. "Was ist los?"

Wieder schweige ich. Stattdessen schluchze ich laut auf.

"Jonah ... bitte-"

"E-es tut mir ... so leid", bringe ich schließlich hervor. Meine Stimme ist heißer von dem ständigen Weinen. "Zach, er ... er ist ..."

"Jonah-"

"Er ist ... eingeschlafen." Mehr muss ich nicht sagen, er versteht es.

Ich höre, wie Ben am anderen Ende der Leitung tief Luft holt und versucht, stark zu sein. Doch im Hintergrund höre ich Elijah laut aufschluchzen.

Der Schmerz, der sich in meinem Körper breit macht, ist nicht in Worte zu fassen.

Broken Heart [boyxman] | ✔Where stories live. Discover now