Kapitel 16

3K 295 97
                                    

• Z A C H A R Y •

Aus dem Augenwinkel beobachte ich meinen Lehrer dabei, wie er die Baguettes klein schneidet. Dabei wirkt er ziemlich konzentriert.

Schmunzelnd stelle ich fest, wie ein paar Haarsträhnen ihm ins Gesicht fallen, Mr. Campbell sich davon aber offenbar nicht ablenken lässt.

Gut gelaunt schnappe ich mir die Tortilla Chips vom Küchentisch und suche nach zwei großen Schüsseln. Ezra ist dabei, sich um den Reis zu kümmern, scheint aber ebenfalls mit den Gedanken woanders zu sein.

Dass er und unser Gast, der zufälligerweise mein Lehrer ist, sich von nun beim Vornamen nennen würden, bereitet mir eine Art Unwohlsein. Ich kann das Gefühl nicht ganz begründen. Es sollte mich schließlich nicht stören - wann würden die beiden sich schon wiedersehen? Und außerdem habe ich sie dazu gebracht, sich zu duzen.

Aber ich hätte auch nicht damit gerechnet, dass Mr. Campbell zustimmen würde. Erwartet hatte ich, dass er sich womöglich peinlich berührt wegdreht und nichts weiter dazu sagen würde.

Doch es verlief anders. Der junge Mann hat mich wieder einmal überrascht. Wie schon heute Nachmittag in der Schule. Als er und ich diesen Moment miteinander geteilt haben. Ich wüsste zu gerne, wie er davon denkt.

Hat er es so aufgefasst wie ich?

Es ist unmöglich, dass er nichts gefühlt hat. Warum sonst hat er die Übung mittendrin so abrupt beendet? Und danach konnte er mir kaum in die Augen schauen.

Über die Schulter werfe ich einen Blick in Richtung meines Bruders, der das Avocado-Joghurt Topping abschmeckt. Mit den Schüsseln in der Hand bewaffnet, schleiche ich mich hinter Mr. Campbell, der im Moment am zweiten Baguette schneidet. Vorsichtig lehne ich mich an ihn und flüstere: "Ich warte darauf, dass Sie mir auch das Du anbieten, Jonah."

Der Dunkelhaarige zuckt unter meinen Worten zusammen, zischt dann im nächsten Moment schmerzvoll auf. Gespielt unschuldig schaue ich ihm zu, wie er seinen Finger an die Lippen führt.

"Was ist passiert?", fragt Ezra verwundert und macht Anstalten, auf uns zuzukommen, doch er winkt schnell ab. "Es ist nur ein kleiner Schnitt. Nichts Dramatisches." "Kann schon möglich sein. Man sollte dennoch nicht damit scherzen. Zach, hilf ihm."

Seine Proteste ignorierend führe ich meinen Lehrer aus der Küche nach oben ins Badezimmer. Auf dem Weg dorthin entgeht mir nicht, dass er sich umschaut und am liebsten jedes Bild, das an der Wand hängt, einzeln studieren würde.

Unser Haus gleicht einer Fotogalerie unserer Familie, vor allem von uns Kindern.

"Setzen Sie sich dorthin", fordere ich ihn auf und deute an den Wannenrand, bevor ich mich zum Badeschrank wende und nach den Verbandkasten suche. "Es hört schon auf, zu bluten." "Es dauert nur ein paar Minuten, Mr. Campbell", erwidere ich und öffne eine der Türen. Hinter dieser werde ich nicht fündig. "Sie wollen doch nicht, dass sich dieser kleine Schnitt wegen ein wenig Dreck entzündet oder?"

Im Unterschrank finde ich schließlich das, was ich gesucht habe, und gehe auf ihn zu. Während ich den Koffer öffne, zappelt er neben mir herum. "I-ich kann das auch selbst machen. Also...d-du musst mir nicht helfen, wirklich nicht", gibt er nervös von sich, ich lasse mich aber nicht abschütteln: "Ist schon okay. Mir macht das nichts."

Als ich nach seiner Hand greifen will, entzieht er sie mir. Seufzend ziehe ich den Hocker unter dem Waschbecken zu uns heran und lasse mich darauf sinken, bin somit ungefähr mit ihm auf gleicher Augenhöhe.

"Lassen Sie sich doch einfach von mir helfen. Glauben Sie mir, ich würde das sicherlich nicht bei jedem machen." "Warum dann bei mir?", entgegnet er sofort. "Warum beharrst du darauf, mir zu helfen?" Meine Antwort reduziert sich auf ein Schulternzucken. "Brauche ich denn eine Erklärung? Vielleicht weil ich es einfach möchte?"

Broken Heart [boyxman] | ✔Where stories live. Discover now