Kapitel 18

3K 284 31
                                    

* Vorsicht - das Kapitel könnte an einigen Stellen triggernd wirken *

• Z A C H A R Y •

Meine Finger spielen an einem losen Faden an meinem T-Shirt, während ich aus dem Fenster starre. Wie so oft beobachtet Dr. Huxley lediglich mein Verhalten, als könnte er dadurch wissen, was in mir vorgeht.

"Gibt es etwas, worüber du mit mir heute sprechen möchtest?", hat er mich am Anfang der Stunde gefragt. Und ich habe den Kopf geschüttelt. Worüber würde ich schon gerne reden wollen?

In einigen Tagen muss ich zu einer Vorsorge ins Herzzentrum. Mein Herz wird auf seiner Funktion untersucht. Es soll festgestellt werden, wie lange ich noch zu leben habe.

Meine Väter drücken sich zwar anders aus, aber so ist es eigentlich. Um Klarheit zu bekommen, wie lange das Spenderherz noch durchhält.

Eine Transplantation dieser Art wird bevorzugt im Teenageralter vollzogen, um einem Kranken wenigstens noch ein Leben als Erwachsener zu ermöglichen. Da ich mein Spenderherz allerdings bereits als Kleinkind bekam, läuft meine Zeit langsam aber sicher ab.

Das weiß auch meine Familie. Sie wollen es sich nur nicht eingestehen. Meine Ärzte setzen auf gute Medikamente, in der Hoffnung, noch ein paar Jahre hinauszuzögern.

Bisher habe ich noch keinem erzählt, dass ich seit einiger Zeit Brustschmerzen habe. Ich sollte meinen Eltern davon erzählen, immerhin könnte es Anzeichen für etwas sein. Aber ich möchte ihnen keine Sorgen bereiten.

Mein Leben hängt seit meiner Geburt am seidenen Faden. Und die nächsten Monate könnten genug Aufregung bereiten.

"Was geht gerade in deinem Kopf vor, Zachary?", höre ich meinen Therapeuten fragen. Seufzend wende ich meinen Blick vom bewölkten Himmel und schaue den älteren Mann an. "Es tobt darin ein Kampf zwischen zwei Stimmen. Die eine ruft nach Hilfe, die andere ruft den Tod."

"Redest du mit jemandem darüber?" "Sie kennen mich. Ich bin ein Mensch, der nicht gerne über das spricht, was wirklich in seinem Inneren vorgeht. Mir fällt es schon schwer, Ihnen etwas zu verraten", erwidere ich und beuge mich vor, um nach meinem Glas Wasser zu greifen.

"Was löst die bevorstehende Untersuchung in dir aus?"

"Ich bin mit dem Gedanken aufgewachsen, irgendwann zu sterben. Es war nur eine Frage der Zeit. Allerdings beschränke ich es nicht auf meine Krankheit, wie es andere tun. Es könnte auch durchaus passieren, dass im nächsten Moment ein Flugzeug in Ihr Bürogebäude crasht und wir sterben werden. Oder ich gehe nach draußen und ein Auto erwischt mich. Mich macht nicht die Tatsache verrückt, dass mein Herz plötzlich stehen bleiben könnte. Sondern, dass der Tod so einen großen Anteil meines Lebens ausmacht. Dass ich immer ihn sehe, wenn ich die Augen schließe. Er definiert mich wie meine Krankheit selbst. Und das obwohl es total schwachsinnig sein sollte."

Dr. Huxley macht sich ein paar Notizen, ich lausche dem Geräusch, wie sein Kugelschreiber über das Papier kratzt.

Er hat mich schon an meinem tiefsten Punkt gesehen, verletzlich, und meine Angst vor dem wissenden Blick in seinen Augen ist zu groß und überwältigend. Es ist seine Berufung, solche Worte aus mir herauszukitzeln, wenn sie mich beschäftigen. Und doch hat er eine so viel größere Macht über mich, was mich jedes Mal ein wenig zurückweichen lässt.

Bevor er den Kopf heben kann, sprudeln die Worte nur so aus meinem Munde heraus: "Es ist eigenartig, dass ich mir mehr Gedanken über meine Familie mache, wie sie damit umgehen werden, wenn ich eines Tages nicht mehr da sind. Meine Väter sind stark, besonders vor meinen Geschwistern, aber auch sie sind von ihren Emotionen bestimmt. Und sie würden brechen. Ein Teil ihres guten Wesens würde in dem Moment brechen, wenn ich die Augen für die Ewigkeit schließe."

"Dir macht es zu schaffen, dass dich immer wieder nur diese Dunkelheit einholt, nicht wahr?" Ich führe das Glas, das ich nun die ganze Zeit in der Hand halte, an meine Lippen und nicke. Die kühle Flüssigkeit rinnt meinen Hals herunter.

"Und wenn du versuchst, dich auf die schönen Dinge zu konzentrieren? Es klingt einfacher, als es sein mag. Aber siehe es als eine Art Übung an. Du würdest dich so sehr darauf fokussieren, dass dich nichts anderes erreichen könnte. Für negative Empfindungen wäre eine Mauer um dich herum gebaut. Und sie lässt nichts durch, das dich ansatzweise in die Dunkelheit ziehen könnte."

Mich überkommt das plötzliche Verlangen, mich aus den Fängen des Sessels zu befreien, und richte mich langsam auf. Ich stelle mich vor das Fenster und blicke hinunter auf das Geschehen.

Vor Dr. Huxleys Büro erstreckt sich ein kleiner Park, in welchem er auch schon mit mir spazieren war, wenn er der Ansicht war, das täte mir gut. In diesem Augenblick genießen viele Menschen, unter anderem vor allem Familien, die warmen Temperaturen an diesem sommerlichen Tag und lassen ihre Kinder über die Wiesen toben.

Leise öffne ich das Fenster und lasse die frische Luft in unser Zimmer. Mein Therapeut beobachtet mich währenddessen neugierig und wartet, was ich als nächstes tun würde.

Gerade fühle ich mich so verloren wie jemand, der im wilden, tosenden Meer treibt - ohne Festland zu entdecken. Ich schlinge die Arme um mich, als würde dies mir Halt geben.

"Wie soll ich das anstellen?", frage ich schließlich, nachdem wir uns weitere Minuten angeschwiegen haben. "Fangen wir doch in kleinen Schritten an, indem du dich auf eine Sache festlegst. Nur für den Anfang reicht das aus", meint er und legt seinen Schreibblock beiseite. Ich sehe ihm zu, wie er sein eines Bein über das andere überschlägt und seinen Zeigefinger an den Mund führt, als würde er überlegen.

"Du hast mir doch in unserer letzten Sitzung von dieser neuen Theatergruppe erzählt. Bist du hingegangen?"

Als er sie erwähnt, überkommt mich das Gefühl von Nervosität. Wie ich auf der Bühne stand, gegenüber von mir stand Mr. Campbell - Jonah - und wir haben diesen einen Moment erlebt. So oft habe ich daran zurückgedacht und trotzdem kommt es mir noch immer so surreal vor, was passiert ist.

"Zach?"

"Ähm, ja. Ich war dort."

"Und wie war es für dich?"

Berauschend. Intensiv. Als wäre ich in eine andere Dimension. Und an meiner Seite war er. Der schüchterne Lehrer, der am gestrigen Abend einiges über sich preisgab.

"Die anderen schienen...beeindruckt von meiner Darstellung, glaube ich", erzähle ich. "Und auf der Bühne zu stehen, war, naja, ich weiß nicht, wie ich es beschreiben soll." "Hat es dir denn gefallen?"

Ein zufriedenes Lächeln umspielt seine Lippen, als ich zögerlich nicke. "Könntest du dir vorstellen, dort nochmal hinzugehen? Wer war es nochmal? Du hast von einem Lehrer erzählt, der dich doch erst darauf brachte."

"Mr. Campbell."

"Dieser Mr. Campbell schien einen guten Riecher zu haben, wenn er dich in seinem Kurs haben wollte. Findest du nicht?"








Zach möchte sich von seinen bösen Dämonen befreien und wird deshalb den Rat von Dr. Huxley sicherlich folgen.

Dass es aber nicht die Schauspielgruppe, sondern ein gewisser Kursleiter ihn aus der Dunkelheit ziehen wird...wird unser Boy schon noch bemerken 😏

Broken Heart [boyxman] | ✔Where stories live. Discover now