16. Auf nach Paris!

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Obwohl ich frei hatte, stand ich am nächsten Morgen wahnsinnig früh auf. Marion hatte mir gesagt, sie würde mich um neun abholen. Und ich wollte mich vorher noch schön machen. Paris war bekanntlich eine exklusive Stadt, der Platz, an dem die Schönen und Reichen zusammentrafen. Also nahm ich mir ein wenig Zeit, um mich noch etwas zu schminken. Normalerweise tat ich das nie, aber meine Freundin sah immer so schön aus und wenn ich mich nicht wenigstens ein bisschen hübsch machte, wirkte ich wie ein hässliches Entlein neben ihr. Manchmal beneidete ich sie schon für ihre grünen Augen und dem blond gefärbten Haar mit den naturbraunen Strähnen, das ihr so unglaublich gut stand. Ich war einfach nur gewöhnlich braunhaarig mit rehbraunen Augen, denen ich gerade eine leichte, schwarze Hervorhebung verpasste.

Meine Wangen bekamen einen leichten Rougeton, der fast nicht sichtbar war. Und meine rückenlange Haare ließ ich offen, flocht jedoch meinen vorderen Haare nach hinten. Anschließend ging ich zwei Schritte nach hinten und betrachtete mein Kunstwerk. Sehr gut. Ich sah soweit noch ganz natürlich aus, aber nicht zu unauffällig für Paris. Als Kleidung wählte ich eine schwarze Jeans im used-look und einen figurbetonenden Rolling Stones Pullover. So weit, so gut. Ich war aussehenstechnisch fertig für Paris. Also begab ich mich nach unten, um noch etwas zu essen, bevor Marion mich abholen würde. Ich erwartete, allein zu sein, was jedoch nicht der Fall war. Marco saß auf seinem Stuhl am Tisch und starrte, wie immer, müde vor sich hin. Morgenmuffel, kommentierte ich in meinen Gedanken nur trocken und gab eine handvoll Müsli in die Schale, die ich anschließend mit Milch füllte. Ich erwartete nicht, dass mein Gegenüber am Tisch irgendetwas sagte und hielt so ebenfalls meinen Mund. Eine bedrückte Stille breitete sich in der Küche aus, die nur hin und wieder von dem Ton meines Löffels, der gegen die Porzellanschale schlug, unterbrochen wurde.

"Und? Küsst er gut?", fragte Marco plötzlich. Seine Stimme klang bitter, als würde er mich dafür hassen, was gestern mit Sylvain passiert war. Anstatt sauer auf ihn zu sein, da er sich in mein Liebesleben einmischte, hatte ich fast ein wenig Verständnis für ihn. Ich wusste nicht genau warum, aber die Eifersucht, die in sein Gesicht gemeißelt war, ließ mein Herz warm werden. Denn das hieß, dass ihm etwas an mir lag und das freute mich. "Ich weiß es nicht. Leider habe ich keine Vergleiche.", antwortete ich schließlich auf seine Frage. Das entlockte meinem Gesprächspartner doch tatsächlich ein leichtes, schadenfrohes Grinsen. "Du bist 18 und fast noch ungeküsst, oder was?", schmunzelte er. "Ja, und? Das kann dir doch egal sein.", erwiderte ich ausweichend. Ich war nicht stolz auf diese Tatsache. "Ich hab ja nur gefragt...", entschuldigte er sich. "Aber falls es dich ernsthaft interessiert, er hat mich geküsst. Nicht ich ihn. Nur damit du es weißt.", klärte ich ihn endlich auf. Marco versuchte, seine Reaktion darauf so gut wie möglich zu verbergen, doch er schien sichtlich erleichert. "Dann... läuft da also nichts zwischen euch?", fragte er vorsichtig. Ich schüttelte den Kopf. "Also von meiner Seite nicht." "Na dann... wenn das so ist...", druckste er nervös herum. "Hat er dich gefragt, ob du mit ihm auf die Silvesterparty gehen willst?", kam er endlich auf den Punkt. "Welche Party", gab ich verdutzt von mir. "Übermorgen ist Silvester. Und Paris verwandelt sich dann in eine riesige Partymeile. Und... ich habe noch keine Begleitung... Willst du mit mir dorthin gehen?" Ich grinste. Er war so süß, wenn er nervös wurde. Um ihn ein bisschen zu ärgern, tat ich so, als müsste ich schwer überlegen. Dabei stand meine Entscheidung sofort fest. "Ok, ich habe an dem Abend sowieso nichts zu tun.", nahm ich seine Einladung an. Mein Gesprächspartner strahlte über das ganze Gesicht, was mir ebenfalls ein kleines Lächeln ins Gesicht zauberte.

Unser kleiner, persönlicher Moment, wurde jedoch plötzlich von einem Klopfen an die Tür unterbrochen. Ein kurzer Blick aus dem Küchenfenster bestätigte mir, dass es Marion war, denn ihr blauer Renault stand auf dem Hof. Ich stand schnell auf und lief eilig zur Tür. "Ich komme heute Abend wieder!", rief ich Marco noch zu, der allerdings schon wieder in seinen Halbschlaf gefallen war. Im Laufen schlüpfte ich noch hüpfend in meine hellbraunen Fellstiefel und nahm anschließend meine Jacke vom Haken, um gleichzeitig die Tür aufzumachen. Wie erwartet stand meine blonde Freundin davor. Zur Begrüßung umarmte ich sie stürmisch, was sie zum Lachen brachte. "Du bist immer noch die Gleiche. Stürmisch und unüberlegt!", grinste sie und wehrte meine Attacke mit den Armen ab, die sie schützend vor sich verschränkte. "Ich bin halt aufgeregt!", erklärte ich schmunzelnd meine gute Laune. "Bist du noch nie in Paris gewesen, oder was?", kam es nun verwundert von meiner Kollegin, die sich bei mir einhakte, um die Stahltreppe wieder hinunter zum Hof zu laufen. Die Treppe an Marios Haus störte mich schon länger. Warum musste er sein Haus auch ausgerechnet über den großen Schuppen bauen, in dem die LKWs für den Pferdetransport untergebracht wurden? "Doch, aber da war ich noch so klein, dass ich mich kaum daran erinnern kann.", antwortete ich auf ihre Frage. "Also willst du alles sehen?" "Denke schon. Den Eiffelturm, die Seine, den Triumphbogen, den Champs -Elysées, Notre Dame, vielleicht auch Sacré-Coeur, das-" "Stop!", unterbrach mich Marion lachend. "Ich hab's schon verstanden. Eine typische Touristen Führung eben. Sonst noch Wünsche?" Wir waren mittlerweile am Auto angekommen und sie öffnete mir eine Hintertür. "Magali fährt noch mit.", erklärte sie kurz. Ich ließ mich hinter den Fahrersitz fallen und begrüßte die Andere kurz mit den Bises. "Das ist Hanna, eine Freundin aus der Arena. Sie hat einen ziemlich guten Draht zu Pferden.", stellte Marion mich vor und drehte sich dann zu mir um. "Das ist Magali, eine alte Schulfreundin von mir. Und man kann sagen, wir sind gute Freundinnen geblieben." "Hi.", begrüßte ich Magali, die eindeutig von südländischer Abstammung war. Sie hatte schwarze Locken, die ihr bis über die Schulter gingen und eine gut gebräunte Haut, obwohl es Winter war. Ihre Mundwinkel gingen bei meiner Begrüßung ein wenig nach oben. "Hallo.", grüßte sie mich ebenfalls.

Marion hatte inzwischen ihren Renault gestartet und fuhr nun vom Hof. "Wo ist eigentlich dein Freund?", wollte ich irgendwann wissen und unterbrach so die aktuelle Unterhaltung der beiden Älteren über Make-Up. Durch den Rückspiegel warf mir meine Freundin einen schelmischen Blick zu. "Mädelstag!", verkündete sie grinsend. "Das heißt auch, wir können ungestört shoppen gehen?" Meine Stimme war voller Hoffnung. "Und wie!", jubelte Magali und wie auf Kommando lachten alle beide los, was mich ebenfalls zum lächeln brachte. "Ich brauche nämlich dringend noch ein Party Outfit für Silvester.", meinte ich fröhlich. "Keine Sorge, da finden wir auf jeden Fall etwas.", kam es von der Schwarzhaarigen. "Hat Marco dich etwa zur Party eingeladen?", Marion zwinkerte mir zu. Ich verdrehte die Augen. "Ja. Aber nur freunschaftlich. Auch wenn du es noch so gerne hättest, Amor, wir sind nicht zusammen!", betitelte ich meine Freundin scherzhaft. Seit sie zum ersten Mal Marco in meiner Nähe gesehen hatte, hatte sie angefangen, mich regelrecht verkuppeln zu wollen. "Da ist mehr als Freundschaft.", grinste die Blonde. "Nein!", versuchte ich mich vergeblich zu verteidigen. "Oh, doch! Dem schießen jedes Mal, wenn er dich sieht, regelrecht die Herzchen aus den Augen. Sieh's endlich ein Hanna, du hast einen Verehrer!", sie begann wie ein Schulmädchen zu kichern, das irgendwelche Stars shippte. "Na dann wären das ja schon zwei.", murmelte ich trocken. Entgegen meiner Hoffnungen hatte es Marion jedoch nicht überhört. "Wer denn noch?", wollte sie neugierig wissen. "Sylvain hat mich gestern geküsst.", meinte ich immer noch im selben, missmutigen Tonfall. Der Fahrerin klappte die Kinnlade nach unten. "Ernsthaft?! Dann ist der Eiskönig endlich von seinem Thron gestiegen und hat sich mal mit dem Volk abgegeben, oder was?" Ich nickte. "Er ist ein Magier.", flüsterte ich in ihr Ohr, damit Magali es nicht hörte, die sowieso damit beschäftigt war, aus dem Fenster zu schauen und den Anfang von Champs Elysses mitsummte. "Echt jetzt?" Marion war immer noch erstaunt. "PSST", zischte ich in ihr Ohr. "Das erkläre ich dir ein anderes Mal, wenn wir allein sind." Durch den unbedachten Ausruf der Blonden war auch die Südländerin hellhörig geworden. "Was gibt es denn für Geheimnisse?", fragte sie schmunzelnd. Ich warf Marion einen warnenden Blick zu, die nur lachend den Kopf schüttelte. "Eigentlich keine!", sie hielt für einen Moment inne und drehte das Radio lauter. Dann sah sie kurz bedeutungsvoll in die Runde. Und gleichzeitig stimmten wir ein: "Auuuuuuuuux Champs-Elysées, aux Champs-Elysées. Au soleil, sous la pluie, à midi ou à minuit. Il y a tout ce que vous voules aux Champs-Elysées."

Moondancer - Maître des ChevauxWhere stories live. Discover now