14. Eigentlich war es nur eine Berührung

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Als er mich entdeckte, verzog sich sein Mund zu einem schmalen Lächeln. "Hallo.", murmelte er leise. "Ähm... hi?", gab ich nervös zurück. Was wollte er von mir? "Ich würde gerne ein paar Worte mit dir wechseln.", erklärte er mir sein Anliegen. Ich wurde nicht aus ihm schlau. Gestern noch bedrohte er mich und heute fragte er freundlich, ob er mit mir reden könne. "Ok.", brachte ich nur heraus, als ich bemerkte, dass er auf eine Antwort wartete. "Lass uns ein Stück gehen.", bot Sylvain mi nur an und ich nickte nur verwirrt.

Im gemütlichen Schlendertempo liefen wir also los. Er blieb stets auf gleicher Höhe mit mir, obwohl ich immer wieder probierte, ein Stück nach hinten auszuweichen, um ihn in Ruhe mustern zu können. Vielleicht kam ich dann endlich mal dahinter, was er so gründlich vor mir verbarg. "Also, worüber willst du reden?", fragte ich irgendwann, als eine unangenehme Stille zwischen uns eingetreten war. "Eigentlich nichts Besonderes. Nur... mal so ein Gespräch zwischen zwei übernatürlichen Wesen.", begann er. Also hatte ich in dieser Hinsicht doch Recht gehabt. "Darf ich dich daran erinnern, dass ich immer noch nicht weiß, wer du bist?", fiel ich ihm ins Wort, als er gerade fortfahren wollte. "Weißt du das immer noch nicht?" Er begann zu lachen. Ein rauer, trockener Laut. "Ihr seid so dumm! Jämmerlich, dass Ajax euch immer noch nicht aufgeklärt hat. So schwach, so verletzlich. So unwissend! Das ist einfach nur noch armselig..." Sylvain unterbrach kurz seine Rage, indem er Luft holte. "Ich bin ein Magier, kleines Pferdemädchen. Jemand, der die absolute Kontrolle über die Energieströme besitzt. Jemand, der die Natur zu seinem Untertan macht. Jemand, vor dem sich selbst deine Götter verneigen... Ja. Das bin ich." Ich sah in seine dunklen Augen, die das widerspiegelten, was er gerade gesagt hat. Macht. Überheblichkeit. Und vielleicht eine Prise Verrücktheit. Wahnsinn.

Ein Magier also... Ich ließ das Wort auf meiner Zunge zergehen. Es passte wie die Faust aufs Auge. Jetzt, wo er es gesagt hatte, ergab alles einen Sinn. Ein Bild erschien in meinen Gedanken. Er, in einer tiefschwarzen Robe, die Kapuze tief ins Gesicht gezogen. Im Schatten stehend und von einer eisigen Kälte umgeben. Seine Art und sein Auftreten, der leichte Wahnsinn in den Augen, führten zu dieser Erscheinung in meinem Kopf, die alles andere als gut war. Jemand, der ohne nachzudenken tötete. Ich dachte nicht nach, als ich die nächste Frage stellte. Sie rutschte mir einfach raus.

"Bist du gut oder böse?"

Schon eine Sekunde später bereute ich diese Frage. Was war in mich gefahren? Man konnte Menschen doch nicht nach gut und böse beurteilen. Dieses schwarz-weiße Denken passte einfach nicht zu mir. Denn ob jemand gut oder böse war, das war eine einzige Frage der Perspektive. "Das ist ganz deine Entscheidung.", antwortete Sylvain schließlich und lächelte schwach. Seine dunklen Augen musterten mich aufmerksam. "Tut mir Leid... Ich... ich wollte das nicht fragen. Es ist... einfach passiert.", murmelte ich entschuldigend. Er lächelte. "Schon gut. Ich verstehe dich. Weißt du, Magier haben allgemein den Ruf, böse zu sein. Weil wir uns hinter einer Fassade aus Ignoranz und Kälte verstecken. Weil wir uns geheim halten. Weil wir nicht wollen, dass man uns erkennt..." Er stieß seufzend den Atem aus seiner Lunge und hinterließ weiße Wölkchen in der kalten Winterluft. Und auf einmal schien eine Veränderung in ihm stattzufinden. Seine schwarzen Haare hingen unordentlich in seine Stirn und es wirkte, als würde seine aufgebaute Mauer auf einmal fallen. Er schien verletzlich und... müde? Als würde diese Maske, die er stets aufrecht hielt, unglaublich viel Energie ziehen.

"Und... warum erzählst du mir das alles? Dass du ein Magier bist und so. Ich meine, du kennst mich ja kaum..." Den letzten Satz flüsterte ich nur. Der junge Zauberer blieb stehen und drehte sich zu mir um. Er hob seine Hand und ich spürte, wie er zwei Finger an meine Wange legte und sanft darüber fuhr. "Du bist anders...", murmelte er. "Nicht so wie sie. So unschuldig, so rein. Jung.", er hielt inne und ich war mir nicht sicher, ob ich sein letztes Wort richtig verstanden hatten, da er so leise sprach. Hatte er wirklich "schön" gesagt? Erstaunt sah ich ihn an. Ich wurde einfach nicht schlau aus dem Typen. Erst war er mir gegenüber total misstrauisch und geheimnisvoll, bedrohte mich sogar, und jetzt verhielt er sich auf einmal so... sanft und... liebevoll? Als ich weiterhin nichts sagte, wandte er sich ab und lief wieder los. Ich folgte ihm mit einigen Schritten Abstand.

Moondancer - Maître des ChevauxWhere stories live. Discover now