19. Sentiments

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"Wer hat sich eigentlich heute um Vito gekümmert? Er wurde doch bewegt, oder?", fragte ich, nachdem mein Essen fertig war und ich mich neben Marco an den Tisch gesetzt hatte. "Ich.", gab er einsilbig zurück. "Danke... und... was hast du mit ihm gemacht?", versuchte ich ein Gespräch zu beginnen, während ich den, etwas zu heiß geratene Gemüseeintopf, geduldig wieder ein wenig abkühlen ließ. Mein Gegenüber zuckte die Schultern. "Nichts besonderes. Ich habe ihn ein paar Minuten durch die Halle gescheucht, damit er sich austoben kann. Und anschließend bin ich im Schritt mit ihm für eine Stunde ins Gelände und habe dabei noch zwei Handpferde dabei. Der schwarze Jährling und die verrückte Stute. Einfach nur um zu testen, wie sich die Gelassenheit deines Falben auf zwei durchgeknallte Tiere auswirkt. Es hat dann sogar überraschend gut funktioniert, obwohl die Stute noch nicht allzu lange kastriert ist und deswegen gerade noch eine leichte, rossige Phase hat. Aber dafür waren alle beide Hengste total brav." Im Laufe seiner Rede war Marco immer mehr aufgetaut und allmählich schien seine normale Verhaltensweise wieder zurückzukehren. "Ihr habt eine Stute kastriert?", fragte ich verwundert nach. Normalerweise machte man so etwas ja nur bei Hengsten oder wenn überhaupt, dann sterilisiert man die weiblichen Tieren lieber, da das billiger war. Der junge Mann nickte. "Nachdem es endgültig feststand, dass wir sie behalten werden und sie nicht mehr an ihren alten Besitzer zurückgeht, hat mein Vater es notgedrungen machen müssen. Wir haben ja sonst nur Hengste hier, aber verkaufen wollte er Felicitas ja auch nicht, da sie eigentlich schon ziemlich viel Potenziel hat und eine wunderbare Grundausbildung durchlaufen ist." "Felicitas?!", unterbrach ich ihn überrascht. Das war doch das Pferd, welches mir letzten Sommer als ersten Fall gegeben wurde. Die Braune, die gemeint hat, sie müsste die Menschen als Untiere bezeichnen und die unbedingt in Freiheit leben wollte. Die Geschichte mit ihr vergaß ich ganz sicher nicht so schnell.

"Genau. Hattest du die nicht im Sommer erst zur Vernunft gebracht?", sprach Marco das aus, was ich gedacht hatte. "Stimmt. Ist sie wirklich immer noch so schlimm?", wollte ich wissen, denn eigentlich sollte sie ja brav sein... "Also wenn man es vergleicht, dann überhaupt nicht. Aber sie ist sehr frech geworden und nutzt jede Möglichkeit aus, Menschen irgendwie zu ärgern. Allerdings ist sie nicht mehr darauf aus, jemanden absichtlich zu verletzen oder ihren Persönlichkeitsbereich um ihr Leben zu verteidigen. Wenn du willst, dann zeige ich dir morgen, wo sie steht. Sie wohnt mit den Senioren zusammen, da sie dort ihre Ruhe vor den Hengsten hat. Falls doch mal einer von den alten meint, er müsse sie begatten, dann zeigt sie ihm kurz, wer stärker ist und die Sache ist gegessen. Die Alten haben doch keine Kraft mehr, um sich groß über eine Stute aufzuregen. Und sie haben einfach keine Lust mehr, sich darum zu kümmern. Vor allem die Pferde auf ihrer Weide sind eher die Ruhigeren.", erklärte er mir das System. "Ihr habt also zwei Weiden für die Alten, oder wie?", bohrte ich nach und pickte mit der Gabel einige Erbsen auf. "Ja. Eine für die Junggebliebenen, die noch ganz schön Power haben und eine für die, die eher entspannt sind und zu viel Bewegung vermeiden. Würden wir die zusammenstellen, dann könnte es nicht nur Konflikte geben, sonder im schlimmsten Fall auch zu starken Verletzungen kommen, da einige der ganz Alten keine Kraft mehr haben, sich bei kleinen Auseinandersetzungen zu verteidigen. Deswegen stehen die getrennt in zwei kleinen Herden, auf einer riesigen Weide. Da kommt manchmal sogar tagelang keine Menschenseele vorbei.", er machte eine kleine Pause. "Also... soll ich morgen mit dir dahin reiten? Das ist ein kleines Stück vom Hof weg.", fuhr er dann fort.

Begeistert nickte ich. Felicitas wiederzusehen, ließ ich mir nicht entgehen. Nach all der Zeit, die wir gemeinsam verbracht hatten, war sie mir ziemlich ans Herz gewachsen. Zudem forderte sie mich und zwang mich dazu, auch mal die "normalen" Hilfen einzusetzen und nicht nur meine Stimme. Das war eine gute Abwechslung, die ich vermisste. Marco lächelte zum ersten Mal an diesem Abend wieder. "Sehr gut. Dann gehen wir gleich morgen früh los, ok? Am Nachmittag muss ich nämlich noch kurz etwas in der Stadt besorgen...", erklärte er. "Alles klar.", bestätigte ich und stand auf, um meinen leeren Teller wegzuräumen. "Wie war Paris eigentlich?", hielt er mich auf, ehe ich in mein Zimmer verschwinden konnte. Täuschte ich mich, oder war er heute besonders gesprächig? Nicht dass es mich störte, aber es war schon etwas merkwürdig. Eigentlich mochte ich es sogar, dass er das Gespräch mit mir suchte. Es gab mir ein wenig das Gefühl, interessant zu sein. Vor allem bei Marco fühlte es sich so... gut an. Es war angenehm, mit ihm zu plaudern.

"Naja, ich bin Marion ordentlich auf die Nerven gegangen, indem sie mir alles Typische für Paris zeigen musste. Aber es hatte unglaublich viel Spaß gemacht. Natürlich waren wir sogar auf dem Eiffelturm. Und wir haben Notre-Dame und das Louvre gesehen!", schwärmte ich. "Dann noch den Triumphbogen, den Champs-Elysées... Die Seine natürlich auch." Ich hielt kurz inne und dachte zurück. Dann seufzte ich verträumt. Paris war echt schön. "Aber es war ein wenig grau und trostlos, so im Winter. Und von der Stadt der Liebe hat man nicht viel gespürt." Ein Grinsen huschte kurz über das Gesicht meines Gegenüber. "Das glaube ich dir gerne. Es ist Winter. Und ihr habt einen Frauentag gemacht. Als ob man da groß etwas von dem Charme mitbekommt." "Es war trotzdem schön.", gab ich schmunzelnd zurück. Aber eigentlich hatte er Recht. Vielleicht kam es ja ganz anders herüber, wenn man mit seiner Liebe dort war... "Das sieht man dir an. Du strahlst regelrecht bei der Erinnerung daran.", erklärte Marco und sah mich lächelnd an. "Und das schönste ist: Deine Fröhlichkeit ist ansteckend.", fügte er hinzu. "Ist das so?", grinste ich. "Ja... vor allem, wenn man schlecht drauf ist.", gab er zurück. "Warum warst du eigentlich so depressiv vorhin?", nutzte ich das Thema direkt aus, um ihn zu fragen, was mich schon einige Zeit beschäftigt. Jedoch bereute ich das sofort, denn sein gut gelaunter Gesichtsausdruck, verfinsterte sich.

"Du kennst doch meinen Vater. Er meint, er muss mir meine Zukunft komplett vorpredigen. Ich habe absolut kein Mitspracherecht mehr! Dabei habe ich eigentlich nichts dagegen, den Hof in Zukunft zu übernehmen. Aber was ist, wenn ich auch andere Berufe ausprobieren will? Dann heißt es sofort, ich soll lieber wieder im Stall mithelfen, anstatt mich darum zu kümmern, obwohl ich am Ende doch nur auf dem Hof bleiben werde. Aber es kommt ihm ja nicht in den Sinn, dass ich vielleicht etwas anderes machen will. Er denkt nur an sich! Nur an sich und seinen Hof! Da habe ich kein Mitspracherecht mehr! Manchmal kann er so eingebildet sein!!!", ärgerte sich Marco laut. Statt etwas zu sagen, stand ich auf, lief um den Tisch herum und legte meine Arme um seine Schultern, um ihn ein wenig zu trösten. Denn diese Sache, die zwischen ihm und seinem Vater stand, schien ihn echt mitzunehmen. "Versetz dich doch mal ihn in hinein. Was würdest du machen? Du hast zwei Söhne. Einer scheint nicht wirklich begabt darin zu sein. Der andere jedoch versteht die Pferde genauso gut, wie du es tust. Du führst einen großen Hof, bist berühmt geworden und stolz darauf, was du aufgebaut hast. Stuntreiten ist deine Spezialität und die bekanntesten Filmemacher kommen zu dir, wenn sie Pferde brauchen, die auf Kommando hören müssen. Würdest du es einfach so aufgeben? Du würdest doch bestimmt auch alles dafür tun, damit dein Sohn den Betrieb übernimmt...", erklärte ich ihn die Situation. Marco seufzte niedergeschlagen. "Er hat doch dich. Du willst das doch viel mehr als ich. Ich kann kein Hof führen...", murmelte er. Ich schüttelte bedrückt den Kopf. "Ich kann meine Methoden nicht weitergeben. Du kannst viel besser unterrichten. Das habe ich doch gemerkt, als du mir beigebracht hast, zu fallen!", widersprach ich. "Ach, Hanna. Du verstehst es doch auch nicht...", grummelte der junge Mann. Dann schob er meine Arme zur Seite und stand auf. Er machte Anstalten, die Küche zu verlassen, als ich ihn noch kurz aufhielt. "Nein, Marco. Ich verstehe es wirklich nicht. Aber ich kann dich wenigstens unterstützen. Denn du kannst viel mehr, als du dir zugestehst... Gib's doch zu. Der Druck, so gut zu sein, wie dein Vater, lastet doch viel mehr auf dir, als das, was du mir die ganze Zeit erklären zu versuchst. Lass dich einfach nicht von ihm zerstören und ziehe dein Ding durch. Mach, was du am besten kannst.", versuchte ich es weiter. Diesmal zog er mich in seine Arme. Ich erwiderte die Umarmung, denn die Wärme, die von ihm ausging, gefiel mir und löste ein angenehmes Kribbeln in mir aus, welches sich in meinem gesamten Körper ausbreitete.

"Danke.", flüsterte er leise an meinem Ohr und ich schmunzelte. "Bitte.", gab ich zurück und schob ihn dann von mir, damit man mir nicht anmerkte, wie sehr ich es liebte, wenn er mich umarmte. Ein leichter Schauer lief mir den Rücken hinunter, als mich seine Wärme verließ. "Gute Nacht.", meinte Marco noch, bevor er die Treppe hinauf ging. Ich sah ihm kurz nach und genoss die schöne Nachwirkung seiner Umarmung, die er hinterlassen hatte. Am liebsten wäre ich ihm jetzt gerade hinterhergerannt, hätte ihn an mich gezogen und nie mehr losgelassen. Innerlich vor mich hin träumend, ging ich schließlich langsam ebenfalls die Treppe nach oben, um mich dann nach dem anstrengenden Tag endlich schlafen zu legen.


Moondancer - Maître des ChevauxDonde viven las historias. Descúbrelo ahora