37. Emptor

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Dort angekommen war ich immer noch etwas bedrückt, ein totes Tier vergaß man nicht so leicht. Und doch war es normal, der ewige Kreislauf der Natur. Es war nun mal die Seniorenweide mit all den alten Tieren, die ihren Ruhestand dort genossen. Das einzige, was sie dort taten war warten. Warten auf den Tod im Herdenverband, in halber Freiheit, nachdem sie ihr ganzes Leben lang schwer gearbeitet hatten. Es war ihr verdienter Feierabend. Nachdem ich meine beiden Hengste versorgt hatte, kümmerte ich mich wieder um die Stute, die sich gelangweilt in der Gegend umsah.

Mit einem genaueren Blick auf sie, entschied ich, sie noch einmal zu putzen und für die Käufer herzurichten. Es dauerte etwas, bis ich ihr dunkelbraunes Fell vollständig von Dreck befreit hatte. Die schwarze, lange Mähne, die ihr ungleichmäßig verwildert an beiden Seiten des Halses hinunter hing stutzte ich erst einmal auf eine gleichmäßige Länge, bevor ich es einflocht. Nach einer knappen Stunde sah sie wieder einigermaßen annehmbar aus und ich warf einen kurzen Blick auf mein Handy. Mario hatte mir die Zeiten geschrieben, wann die Käufer kommen wollten und die Uhr sagte mir, dass ich noch etwa eine halbe Stunde hatte. Also begann ich sie warmzureiten. Felicitas entging dieses merkwürdige Verhalten meinerseits ihr gegenüber nicht. Dass ich mich darum bemühte, sie hübsch aussehen zu lassen und mich so sorgfältig nach ihrem Wohlbefinden erkundigte. Doch sie fragte nicht, sie wechselte die gesamte Zeit, während ich mich mit ihr beschäftigte, kein Wort mit mir. Woran das lag, wusste ich nicht. Vielleicht hatte sie keine Lust auf irgendwelche Provokationen oder war mies drauf, weil ich sie von ihrem entspannten Koppelgang geholt hatte. Die Gefühle der launischen Stute hatte ich noch nie deuten können, doch es war mir auch egal. Hauptsache, sie war einigermaßen kooperativ. Mehr verlange ich gar nicht. Fünf Minuten, bevor ich in der Halle sein sollte, stieg ich wieder von ihrem Rücken und beendete meine lockeren Runden über den Hof. Sie hatte sich auch wirklich artig gezeigt. „Da vorne ist der erste Schritt in deine neue Heimat. Also benimm dich, ja? Wenn du Faxen machst, landest du sofort wieder bei den alten Säcken im hinteren Wald, wo man nichts von der Außenwelt mitbekommt.", warnte ich sie und deutete auf die andere Seite des Hofs, wo sich Mario schon mit einer jungen Dame unterhielt. Ich konnte nicht verstehen, was sie sagten, dafür waren sie zu weit entfernt, doch Mario gestikulierte ausschweifend und zeigte zwischendurch hin und wieder mal in meine Richtung.

Den Ausdruck mit den alten Säcken hatte ich von dem Pferd genommen, ich selbst würde die Senioren auf den zwei großen Weiden nie als wirklich alt bezeichnen, da sie teilweise mehr Feuer hatten, als so mancher Jüngling. Doch Felicitas hatte sich den gesamten Weg zurück über diese Pferde beschwert. Lautstark und nervig. Vito hatte irgendwann auf Durchzug geschalten und sie stumm über sich ergehen lassen und Nevado hatte so getan, als wäre er unheimlich an der Landschaft interessiert. Ich führe die dunkelbraune Stute noch eine Weile in der Halle Schritt, bevor ich endlich die Stimmen von Mario und der Frau ausmachen konnte. „Also, das ist Felicitas.", erklärte mein Meister, sobald er in Sichtweite von uns kam. „Hanna war häufig für sie verantwortlich, sie hat sie quasi erzogen. Von mir hat sie eine solide Grundausbildung bekommen, jedoch noch keinerlei Erfahrungen im Stuntbereich.", fasste er uns zusammen. Felicitas hatte aufmerksam die Ohren gespitzt. „Sie sieht nett aus.", kommentierte sie freundlich den unbekannten Menschen. Beinahe wäre mir die Kinnlade herunter geklappt. Das Wort „nett" klang zum Einen total falsch aus ihrem Mund und zum Anderen kam es noch nie von ihr. „Wie gesagt, benimm dich.", brummte ich leise und warf ihr einen letzten warnenden Blick zu, ehe ich sie der Frau in die Hand drückte. „Und wie ist sie so zum reiten?", wurde ich von ihr gefragt.

Ich zuckte mit den Schultern. „Ansichtsache. Sie braucht auf jeden Fall eine führende Hand, jemand, der ihr klar den Weg zeigt. Ein Anfängerpferd wird sie nie sein und für großartige Lektionen wird man sie auch nie motiviert bekommen. Allerdings ist sie im Gelände ein absolutes Verlasspferd, in der Halle muss man sich gut durchsetzen können. Sie läuft nicht gerne sinnlos im Kreis, sie braucht Beschäftigung.", fasste ich das Wesen des Vierbeiners zusammen. Mit einem prüfenden Blick betrachtete die potentielle Käuferin das Pferd vor ihr und nickte schließlich. „Ich will sie probieren...", verkündete sie und nahm die Zügel auf, um aufzusteigen. Mit einem mulmigen Gefühl betrachtete ich sie. Mario und ich waren die einzigen, die sie je richtig geritten waren, den Rest hatte sie früher entweder hinunter geschmissen oder durch ihren Ruf verängstigt.

Moondancer - Maître des ChevauxWhere stories live. Discover now