17. Eiffelturm

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Marion suchte sich einen Parkplatz relativ weit außerhalb, denn sie wusste, dass es innerhalb der Hauptstadt keine freien Plätze mehr gab. Anschließend nahmen wir die Metro in die Innenstadt, die relativ leer war, da es noch ziemlich früh war, aber der Berufspendlerverkehr schon vorbei war. Ich hatte bereits nach zwei Haltestellen keine Ahnung mehr, wo wir uns befanden und so verließ ich mich voll und ganz auf Marion, die uns auch rechtzeitig informierte, sobald wir aussteigen mussten. Sobald wir wieder das Tageslicht sehen konnten, realisierte ich auch, wo wir waren. Wir waren auf einem großen Platz, der etwas höher lag, als der Park darunter. Dieser langgezogene Garten wurde bewacht vom Eiffelturm, der kalt in den Himmel ragte. Mit großen Augen sah ich mich um. Schön war es nicht gerade, da die Stadt sich in ihren grauen, öden Wintermantel gehüllt hatte. Doch ich sah den berüchtigten Eiffelturm zum ersten Mal aus solcher Nähe, also war es für mich trotzdem aufregend. "Ich dachte, wir besuchen das Wahrzeichen zuerst, bevor die ganzen anderen Touristenströme ebenfalls hier aufkreuzen und man keine Chance mehr hat, hinauf zu gehen, ohne drei Stunden warten zu müssen.", erklärte Marion mir ihre Wahl.

Begeistert folgte ich ihr. Das Stahlgerüst war wirklich riesig. Als ich darunter stand, bekam ich schon bald eine Genickstarre vom nach-oben-schauen. Meine Freundin bestand sogar darauf, mich auf eine Fahrt nach ganz oben einzuladen. Immerhin hatte sie ja kein Geburtstagsgeschenk für mich gehabt und das wollte sie jetzt mit Paris nachholen. Magali kam allerdings nicht mit, denn sie war schon oft genug oben gewesen, um nochmal den überteuerten Preis zu zahlen. Sie hatte in der Nähe einen Starbucks entdeckt und wartete nun dort auf uns. Also fuhren Marion und ich allein nach oben. Während der ganzen Fahrt mit dem Aufzug in die oberste Etage, klebte ich an der Scheibe dessen und starrte fasziniert nach unten. Zwar war die Luft etwas nebelig, aber man konnte trotzdem weit genug sehen. Die Aussicht war gigantisch. Man konnte wunderbar den Grundriss der Stadt mit ihren Straßen, die sich gleichmäßig an die einzelnen Viertel der grauen Häuser schmiegten, erkennen. Die sternförmige Art, wie sie vom Stadtkern ausgingen und die großen Ringstraßen außerhalb der Innenstadt. Oben auf der Plattform konnte ich mich gar nicht so recht entscheiden, wo ich zuerst hinschauen sollte, während Marion, die über mein Verhalten schmunzelte, ein paar Bilder mit ihrem Handy machte. Nach zehn Minuten war dann auch meine Aufregung über die Sicht über Paris vergangen und ich lehnte neben meiner Kollegin am Geländer und genoss nur noch still die Aussicht.

"Wenn es so kalt ist, im Winter und die Häuser so grau sind und keine einzige Blume blüht... dann denkt man gar nicht, dass Paris die Stadt der Liebe ist.", begann sie irgendwann das Gespräch. "Es ist auch so aufregend genug.", lächelte ich. "Außerdem bin ich nicht hier, um wie ein verliebtes Turteltäubchen umher zu fliegen." Marions grüne Augen betrachteten mich für einen kurzen Moment, ehe sie sich wieder der Stadt vor ihr zuwandten. "Wie gesagt: Ich bin immer noch dafür, dass du Marco zumindest eine Chance gibst. Er hat es verdient. Du weißt gar nicht, wie unglaublich nett er ist. Er würde so gut zu dir passen!", begann sie wieder den Liebesgott zu spielen. "Na, dann schieß mir mal deinen Pfeil ins Herz, Amor.", grinste ich. "Ach was. Lass dich doch mal drauf ein! Du glaubst ziemlich fest an die Tatsache, dass du nicht lieben kannst, oder?", sprach Marion das aus, was mich die ganze Zeit schon im Hinterkopf beschäftigt hatte. Das brachte mich zum Nachdenken. Vielleicht hatte Sylvia ja eine Lüge erzählt? Vielleicht stimmte es gar nicht? Wie wollte sie es mir auch beweisen? Abgesehen von der Tatsache, dass ich immer noch nicht meine Tage bekommen hatte und so, laut ihrer Angabe, unfruchtbar war. Wie alle anderen Moondancer vor mir auch schon.

Langsam nickte ich als Antwort auf Marions Frage. "Ich habe ja nicht einmal eine Ahnung, wie sich Liebe überhaupt anfühlen soll. Also woher soll ich denn wissen, was das überhaupt ist und wie das geht?", gab ich schließlich zurück. Diesmal legte sich ein Lächeln auf das Gesicht der Person neben mir. "Das merkt man normalerweise immer sofort. Wenn man jemanden unglaublich gern hat, denkt man nur noch an diese eine Person." "So wie du damals ständig von Chris geschwärmt hast.", bestätigte ich. Ein leises Lachen ertönte von ihrer Seite. "Kann schon sein... Magst du Marco denn auch, oder nicht?", lenkte sie direkt wieder das Thema auf mich. "Mehr als Sylvain.", gab ich eine knappe Antwort. "Aber woran merke ich, dass ich jemanden so mag?" Meine Betonung lag auf dem so. Doch ich bekam ein Schulterzucken als Antwort. Es dauerte einige Minuten, bis ich eine Antwort erhielt. "Du willst in seiner Gegenwart alles richtig machen.", begann sie schließlich leise. Ihr Blick war nachdenklich in die Ferne gerichtet. "Du denkst oft an ihn. Öfters als an andere Menschen. Und du wirst nervös, wenn er da ist, da du nicht weißt, wie er auf deine nächste Handlung reagieren wird. Dann bekommst du auch ganz weiche Knie. Du kannst dich nicht an ihm satt sehen, da er in deinen Augen perfekt aussieht. Dir wird ganz warm, wenn er mit dir redet und du magst es, wenn er mit dir Zeit verbringt. Und wenn er dich mal umarmt, willst du ihn nie wieder loslassen. Und da ist noch dieses Kribbeln im Bauch, wenn er irgendetwas mit dir macht, ihr zusammen seid oder du ihn einfach nur siehst.", endete meine Freundin mit einem seligen Lächeln im Gesicht. Wahrscheinlich dachte sie gerade an ihren Freund.

Ich antwortete nichts mehr, denn ich musste nachdenken. Also bei Sylvain stimmte das überhaupt nicht. Nichts von dem, was Marion beschrieben hatte, fühlte ich, wenn er in der Nähe war. Bei Marco war ich mir nicht so sicher, ich brauchte mehr Zeit zum Nachdenken. Unbedingt. Fast schon Gedankenverloren, warf ich einen kurzen Blick auf die Uhr. "Shit! Marion, wir müssen wieder runter! Magali wartet schon seit einer Dreiviertelstunde auf uns!", rief ich entsetz aus und auch die blonde Stuntreiterin schien wieder aus ihren kleinen schwärmenden Träumen zu erwachen. "Stimmt. Mist", bestätigte sie noch halb abwesend und so fuhren wir gemeinsam wieder hinunter, wo uns auch schon Magali grinsend erwartete. "Habt ihr dort oben Wurzeln geschlagen, oder was?", fragte sie schmunzelnd. "Nein, aber ein bisschen philosophiert und nachgedacht.", erklärte ich genauso freudig. Die Braunhaarige lachte nur. "Also... Wo geht es als nächstes hin?", wollte sie von der Blonden wissen. "Ich würde sagen, wir laufen jetzt zum Champs-Elysée und gehen unterwegs noch ein wenig Schaufenstershopping machen. Bei den Pariser Preisen kann man sich eigentlich nicht wirklich viel leisten.", erklärte sie unsere nächste Route und führte uns zu einer Anzeigetafel, auf der ein großer Stadtplan von der Innenstadt aufgemalt war. Sie fuhr mit dem Finger die Straßen entlang, über den Platz Kléber, bis hin zum Triumphbogen. "Wenn wir einen kleinen Umweg machen," Sie zeigte auf eine Seitenstraße. "kommen wir an dem einen Laden vorbei, der wunderbare Klamotten für geringere Preise produziert. Das ist einer meiner Lieblingsläden in Paris... Da haben sie unter anderem Desigual für einen ganz annehmbaren Preis.", erklärte sie die Alternative. "Dann lass uns dorthin gehen. Ich brauche noch etwas für Silvester.", gab ich mich einverstanden und auch Magali nickte. "Perfekt, dann mal los.", gab Marion das Startzeichen und zu Fuß liefen wir in die Richtung, in die sie vorher auf dem Plan gezeigt hatte.

Durch den grauen Park, die grauen Viertel der Hauptstadt, bis hin zu dem kleinen Laden, der wie ein verlorener Farbklecks in der tristen Straße wirkte. Das Schaufenster war dicht ausgelegt mit bunten Klamotten der französischen Marke. Als ich Marions leuchtende Augen sah, die sich nicht mehr von dem Anblick dieser Klamotten lösen konnte, ahnte ich schon, dass wir eine Weile in dem Laden brauchen würden. Doch selbst ich wurde zwischen all den auffälligen, blumigen Kleidern fündig. Ein schlichtes, schwarzes Kleid, das nur mit den Blumen Muster bestickt worden war, in verschiedenen dunklen Tönen. Über dunkelblau bis hin zu dem dunklen schwarz, welches den Grundstoff des Stückes ausmachte. Und sehr zu meiner Freude war es sogar reduziert, sodass ich nur 60 Euro hinlegen musste. Auch meine zwei Begleiterinnen waren hellauf begeistert von dem schlichten Stück Stoff. "Und das mit einer farbigen Leggins kombiniert, sieht bestimmt richtig gut aus.", kommentierte Magali, als ich aus der Umkleide kam und mich einmal um mich selbst drehte. Selbst Marion, die sich gerade nicht zwischen zwei Handtaschen entscheiden konnte, von denen eine auffälliger war als die andere, sah kurz zu mir und nickte anerkennend. "Steht dir.", lobte sie nur kurz, ehe sie sich wieder den Taschen zuwandte. Ich bedankte mich bei beiden und verschwand wieder in der Umkleide, um wieder zu meiner normalen Kleidung zurückzukehren. Der graue Rolling Stones Pullover und die schwarze, ausgewaschene Jeans.

Insgesamt hatten wir wirklich eine ganze Stunden in dem kleinen Laden verbracht. Für eine Handtasche hatte sich Marion am Ende doch nicht entscheiden können und so hatte sie schweren Herzens den Laden ohne eine verlassen müssen. Unterwegs zum Triumphbogen hielten wir noch an einer Bäckerei, um uns etwas zu essen zu kaufen. Doch dann liefen wir endlich direkt zu dem riesigen Kreisverkehr.

Moondancer - Maître des ChevauxWo Geschichten leben. Entdecke jetzt