34. Tjosten

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Charles wartete am anderen Ende und verfolgte gespannt die Bewegungen seiner Kollegen. Er schien regelrecht fokussiert darauf und so entschied ich mich, drei Meter vor ihm, wieder die Richtung zu wechseln und ihn in Ruhe zu lassen. Ihn zu fragen, was sein Shampoo war, passte gerade irgendwie nicht in die Situation. Außerdem kannte er mich nicht wirklich und ich wusste nicht, wie merkwürdig er es finden würde, wenn jemand Fremdes ihn auf sein Haarshampoo ansprechen würde. Also ließ ich seine Haare sein, auch wenn ich regelrecht bei dem Anblick der voluminösen, glänzenden Haarpracht dahinschmolz.

Also schlug ich eine andere Richtung ein, die, wie sollte es anders sein, mich direkt zu meinem Freund führte. Marco ritt im Schritt auf und ab, um sein Pferd warmzuhalten, bis er dran kam. „Hallo, Hanna.", begrüßte er mich, sobald ich in Hörweite war. „Hi.", lächelte ich und sah zu ihm auf. Diabolos Rücken war auf meiner Augenhöhe und so musste ich schon den Kopf in den Nacken legen, wenn ich direkt vor ihm stand und Marco in die Augen schauen wollte.

„Alles klar, ma Belle?", fragte er und sprach das „ma Belle" extra leise aus, damit es niemand mitbekam. „Ma Belle?", wiederholte ich seinen Kosenamen lächelnd. „Das ist die schönste Bezeichnung, die von dir je für mich bestimmt war." „Ich wusste nicht, was dir gefällt, also habe ich zuerst alle Namen probieren müssen..." Er griff nach meiner Hand, die auf Diabolos Mähnenkamm ruhte und führte sie zu seinem Mund, um ihr ganz altmodisch einen Kuss darauf zu hauchen. Wahrscheinlich traute er sich nicht vor allen Leuten unsere Beziehung öffentlich zu machen.

„Aber wie ich sehe, gefällt dir Belle am Besten.", lächelte er zu mir hinunter. Damit hatte er Recht. Obwohl es einfach nur ‚Schöne' hieß, faszinierte mich der Klang des französischen Wortes aus seinem Mund und jagte einen angenehmen Schauer über meinen Rücken. Es klang so perfekt aus seinem Mund. Nicht so plump wie Cherie oder Jolie. Aber solange er nicht das deutsche ‚Schatz' verwendete, war mir sowieso alles Recht. Es gab keinen Kosenamen, den ich mehr verabscheute als ‚Schatz'.

„Stimmt.", fasste ich schließlich meine Gedanken zusammen und sah ihn verliebt an. „Aber kannst du mir noch ganz kurz erklären, was man beim Lanzenstechen beachten muss?", wechselte ich dann das Thema und deutete hinter mich, um meine Frage zu unterstreichen. Hinter mir war der Kampf nämlich noch in vollem Gange und mir schwante bereits, dass Mario nicht scheute, mich auch einmal dranzunehmen. „Eigentlich ist das ganz einfach. Du musst nur das Schild des Anderen treffen und währenddessen die Augen schließen, damit du keine Splitter abbekommst. Um die Lanze musst du dir keine Sorgen machen, die zerbricht richtig leicht. Pass eher darauf auf, dass du die Lanze nicht direkt über dem Pferdekopf zerbrechen lässt. Ansonsten lass dich einfach tragen und pass auf, dass du nicht herunterfällst."

„Das ist leichter gesagt als getan.", klagte ich seufzend und drehte mich kurz um, um die aktuelle Runde zwischen einem Stuntreiter, dessen Name ich nicht kannte und Marion zu sehen. Moment, Marion war auch da? Überrascht kniff ich die Augen zusammen, um zu erkennen ob die blonden Haare, die unter dem Helm hervorschauten wirklich Marion gehörten. Der Ritterhelm verdeckte leider ihr Gesicht, sodass ich dieses nicht sehen konnte. Nachdem die blonde Reiterin jedoch am anderen Ende des Platzes angekommen war, klappte sie das Visier hoch, um sich wieder an die Seite zu stellen, damit der Nächste Tjosten konnte. Es war Marion. Sie zwinkerte mir kurz zu und konzentrierte sich dann wieder auf das Geschehen.

„Du schaffst das schon, Hanna.", ermutigte mich Marco wieder und berührte mich dann kurz an der Schulter. „Ich bin gleich dran. Soll ich es dir zeigen?", bot er mir an. Ich nickte und ging aus dem Weg, um mich wieder auf den Zaun zu setzen. Der junge Luraschi machte das wirklich gut, statt langsam zu machen, um mehr Zeit zum zielen zu haben, trat er auf das Gas. Diabolo zog sogar selbstständig an, im Renngalopp schoss er so durch den Sand und der Apfelschimmel schien genauso furchtlos wie sein Reiter, der treffsicher die Lanze auf dem Schild seines Gegners platzierte und das Holz in tausend Stücke zerbersten ließ.

Moondancer - Maître des ChevauxWhere stories live. Discover now