41. Je t'aime

1.3K 127 26
                                    

Es dauerte noch eine Weile, bis ich mich beruhigt hatte und ins Haus zurückgehen konnte. Dort schlich ich mich direkt in mein Zimmer, machte mich bettfertig und legte mich ausgestreckt in mein Bett. Als ich jedoch auch nach einigen Minuten nicht schaffte, einzuschlafen, nahm ich mir mein Handy und scrollte durch Facebook, las Neuigkeiten und starrte teilnahmelos Bilder an. Manche davon sollten wohl lustig sein, doch irgendwie brachten sie bei mir nicht einmal ein Schmunzeln hervor. Ich wollte das Telefon schon zur Seite legen, als eine kurze Vibration seinerseits eine neue Nachricht ankündigte. Wer auch immer so spät noch nervte, ich hoffte, es war etwas Wichtiges.

Noch bevor ich den Bildschirm entsperren konnte, wurde mir eine weitere Nachricht angekündigt. Was wollten auf einmal alle von mir? Seufzend öffnete ich den ersten Text. Marco. „Hab gesehen, du bist online. Ich nehme an, du bist in deinem Zimmer. Darf ich vorbeikommen? ;)" Der Zwinkersmiley am Ende entlockte mir ein Grinsen. „Ja. Bring aber was zu Essen mit. Hab Hunger :D", schrieb ich zurück und schickte noch einen Apfelsmiley hinterher. „Geht klar, Mademoiselle :P Sonst noch Wünsche?", tönte mir mein Handy entgegen. „Hmm... Lass mich kurz überlegen... Buchstabensuppe. Genau, ich will Buchstabensuppe. Bring mir Buchstabensuppe!" Da ich einige Momente gebraucht hatte, flog auch kurz darauf die Tür auf und eine Banane landete auf meiner Bettdecke. „Buchstabensuppe habe ich leider keine, aber Obst." Ein Apfel flog hinterher. „Und dann habe ich dir noch etwas mitgebracht. Achtung.", warnte Marco vor und sprang mit Schwung langestreckt auf meinem Bett. Das Essen konnte ich noch rechtzeitig zur Seite ziehen, sonst hätte sein Körper es wohl zermatscht. Meinen Bauch aber leider nicht. „Autsch.", ächzte ich auf und schob meinen Freund von mir. Er hatte mir seinen Ellbogen voll in den Magen gerammt. „Sorry.", er grinste breit und streckte dann präsentierend die Arme von sich. Er war oberkörperfrei. Player.

„Und das soll jetzt dein drittes, spektakuläres Mitbringsel sein?", fragte ich lachend und setzte mich auf. „Ich dachte, du freust dich...", schmollte er gespielt und verschränkte die Arme wieder vor seiner nackten Brust. „Freude drückt sich bei mir so aus...", ich hielt kurz inne und kramte nach einem Insider. „Ich lächle in etwa so:" meine Mundwinkel zogen sich etwas nach unten und ich sah ihn komplett ausdruckslos an. Lange konnte ich meinen Gesichtsausdruck jedoch nicht halten und ich prustete wieder los. „Du kannst Agent J nicht nachmachen. Und Agent K schon dreimal nicht.", Marco setzte sich neben mich und reichte mir dann das Obst. „Welches willst du?", fragte er etwas ernster. „Ich dachte, es sind beide für mich?", gab ich belustigt zurück und griff mir die Banane. Äpfel hatte ich in letzter Zeit genug gegessen. „Nö.", erwiderte Marco einsilbig und biss geräuschvoll in den Apfel. Während ich die Banane schälte, redete ich einfach weiter.

„Und was hat dich zu mir getrieben? Bist ja sonst nicht so anhänglich...", meinte ich beiläufig, meine Konzentration galt momentan dem Obst in meiner Hand. „Ich habe dich vorhin über den Hof stapfen sehen. Du warst völlig aufgelöst. Also dachte ich, ich mime den Retter und erlöse dich von all deinen Sorgen." Schulterzuckend nahm er einen weiteren Bissen und lehnte sich mit dem Rücken an die Wand. „Süß.", kommentierte ich belustigt. Die Kombination meiner zwei Lieblingswesen auf dieser Welt an einem Abend, konnte meine Stimmung ganz gut retten. Erst Vito und dann Marco. Das war so schön... „Aber jetzt im Ernst. Was ist passiert?", kam der Junge neben mir wieder auf den Punkt. Nervös starrte ich auf meine Zehenspitzen und machte zuerst meinen Mund leer, bevor ich antwortete. „Dein Vater... er...", murmelte ich ausweichend und brach dann seufzend ab. Ich konnte ihm nicht ins Gesicht sagen, was sein Vater getan hatte. „Was?", fragte mein Gesprächspartner aber weiter, „Hat er dich irgendwie beleidigt? Oder fertig gemacht?" Überrascht sah ich auf. „Woher weißt du das?", wollte ich wissen. „Das wäre nichts Neues. Ich meine, klar, er kann wunderbar mit Pferden umgehen, versteht sich wirklich gut mit den Tieren... Doch dafür ist er bei Menschen eher... unvorsichtig.", er musste erst nach den richtigen Worten suchen. „Dir ist doch sicherlich aufgefallen, dass meine Mutter oder Lucios Mum nicht auf dem Hof sind, sich bisweilen gar nicht blicken lassen. Sie wohnen nicht hier. Mein Dad kann einfach keine Beziehung führen. Er versteht sich mit Menschen manchmal echt nicht, mit Frauen noch weniger. Das überlässt er lieber Anderen...", erklärte Marco. „Dann seid ihr also gar keine Brüder, sondern nur Halbbrüder?", stellte ich erstaunt die Beziehung der beiden Luraschi Brüder fest. Doch der Jüngere wank ab. „Nö. Aber das stört ja keinen, ich sehe in Lucio meinen Bruder." „Und jetzt, da du es sagst, ergibt seine Ablehnung gegenüber uns Beiden auch einen Sinn...", dachte ich laut nach, „Er versteht dieses Beziehungssachen gar nicht, oder?" Unwissend zuckte der Braunhaarige wieder mit den Schultern. „Keine Ahnung, manchmal wirkt es echt so. Er konnte ja selbst nie richtig eine lange, feste Beziehung führen. Für ihn sind Frauen meistens nur von kurzer Dauer. Das klappt einfach nicht. Aber das ist ja nicht schlimm. Manche Leute sind eben so, manche sind eben so. Und meistens ist es ja auch so, dass Leute, die unheimlich gut mit Tieren umgehen können, eher asozial gegenüber Menschen sind. Aber hey, er hat es bisher ja auch geschafft, zwei Söhne erfolgreich großzuziehen. Also so schlimm kann es auch wieder nicht sein." „Ihr zwei seid ja eigentlich die, die sich am Häufigsten in den Haaren liegen und trotzdem nimmst du deinen Vater gerade in Schutz?", ich kicherte. „Muss ich das verstehen?", fügte ich noch hinzu und legte die Bananenschale zur Seite. Das Obst hatte meinen Magen wieder beruhigt. Ich würde bis morgen früh nichts mehr brauchen.

„Es ist immer noch mein Vater. Ich mag ihn so, wie er ist. Man sollte Leute so akzeptieren, wie sie sind. Und wenn er halt Beziehungsprobleme hat, dann hat er die nun einmal. Nicht jeder ist perfekt. Und wenn wir uns auch manchmal in den Haaren liegen, jeder streitet sich mal." „Awwww.", machte ich und lachte dann. „Bei mir Zuhause, in Deutschland, dort bezeichnen die Jungs in deinem Alter ihre Eltern noch genervt mit ‚mein Alter' oder ‚meine Alte' und schimpfen über sie am laufenden Band und du respektierst deine, trotz aller Streitigkeiten, immer noch.", prustete ich und lehnte mich kichernd an seine Schulter. „Hab ich auch schon gehört... Die deutschen Jugendlichen sollen ja anscheinend ganz schön schlimm sein. In Frankreich gibt es ja auch solche Ausnahmen, aber das sind wirklich nur Ausnahmen.", meinte er trocken. „Bei uns ist es umgekehrt. Da wäre dein Verhalten die Ausnahme." „Dinge auf der Welt, die man nicht verstehen muss.", war sein Schlusswort und dann blieb es für eine Weile still. Ich hatte meinen Kopf immer noch auf seiner Schulter liegen und lauschte stumm seinen Atemzügen. Nachdem er allerdings auch mit seinem Apfel fertig war, ergriff er wieder das Wort.

„Du hast morgen übrigens frei. Darf ich dich nach Paris entführen? Zu zweit? Ganz gemütlich?", wollte er wissen und warf den Apfelschnitz gezielt in den Mülleimer, der in dem Zimmer stand. „Wenn du mir keinen Heiratsantrag vor dem Eiffelturm machst, dann ja.", zog ich die ernst gemeinte Frage wieder ins Lächerliche und grinste über meinen eigenen Humor. „Darf ich um ein bisschen mehr Kitsch und Enthusiasmus bitten?", ich sah ihn ebenfalls schmunzeln. „Moment.", murmelte ich und rutschte vom Bett, um vor ihm auf die Knie zu fallen. „Oh, wie romantisch! Natürlich, oh mein Geliebter. Es gibt doch nichts Schöneres als einen Tag mit meinem Liebsten in der Stadt der Liebe. Oh, dieses Angebot könnte nicht schöner sein.", rief ich theatralisch aus und gestikulierte übertrieben verliebt. Marco lachte und rutschte etwas näher zu mir, um mein Gesicht in beide Hände zu nehmen. Er beugte sich etwas herunter und kurz bevor seine Lippen meine trafen, murmelte er noch: „So hatte ich mir das vorgestellt." Ich schlang meine Arme um seinen Nacken und richtete mich im Knien etwas auf, um dem auf dem Bett sitzenden auf Augenhöhe zu sein. Vielleicht war das das erste Mal, in dem der Kuss wirklich intensiv wurde. Aber wir waren hier ungestört, hatten alle Zeit der Welt und keiner sah uns zu. Beste Möglichkeiten für ihn, es auszunutzen. Denn obwohl ich meistens den ersten Schritt tat, so war es doch immer er, der dann die Ausmaße der Zärtlichkeit bestimmte. Immer er, von dem ich mich führen ließ. Denn, dass ich in all dem unerfahren war, war ihm kein Geheimnis. So löste er nach einigen Momente seine Lippen von meinen, wir beide waren außer Atem. Er zog mich mit sich auf das Bett und seine Arme wanderten von meinen Wangen zu meinem Rücken. Dort blieben sie eine Weile, ehe sich seine Hände langsam unter meinen Pullover tasteten und genau das machten, was ich so liebte. Kreisenden Bewegungen seiner einfühlsamen Fingerspitzen auf der nackten Haut meines Rückens. Meine Begeisterung für diese schlichte Tat brachte ich in einem dankenden, sanften Kuss zum Ausdruck.

Er seufzte zufrieden und drehte uns dann so, dass er unter mir lag. Eine Weile ließ ich mir das gefallen, stützte mich mit den Unterarmen seitlich von ihm ab, sodass er nicht mein gesamtes Gewicht ertragen musste. Dann wurde mir diese Position aber unangenehm und ich rutschte von ihm herunter. Somit unterbrach ich für einen Moment unseren Körperkontakt, gab uns die Zeit, um kurz durchzuatmen. Da er diesmal nicht sofort die Initiative ergriff, drehte ich mich zur Seite, um sein liegendes Profil genau zu studieren. Mit der linken Hand stütze ich meinen Kopf ab und mit der freien, rechten Hand machte ich mich daran, die Konturen seiner nackten Haut zu erkunden. Sanft fuhr ich auf und ab, sah, wie er wohlig die Augen schloss. Als er sich etwas anspannte, spürte ich deutlich die Muskeln, die er besaß. Nicht so viele, als dass er als sein Sixpack stolz überall präsentieren konnte, sondern eher einige schlichte, die seine Kraft nur erahnen ließen. „Weißt du was?", fragte er nach eine Weile. „Hmm?", gab ich ruhig zurück. „Je t'aime."



Moondancer - Maître des ChevauxWhere stories live. Discover now