31. Winterspell

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Marco weckte mich am nächsten Morgen, als er sich ungünstig umdrehte und mir so einen Arm beinahe ins Gesicht schlug.  Als ich jedoch auf die Uhr sah, realisierte ich, dass es ganz gut war, dass ich nun wach war und so rüttelte ich sanft an Marcos Schulter, um ihn wach zu kriegen. „Jaa?", gähnte er und öffnete langsam die Augen. Ich lächelte ihn an. „Guten Morgen, mon cheri."

„Guten Morgen, ma  belle.", gab er zurück und umarmte mich müde. Jedoch nur, um mich am Aufstehen zu hindern, wie ich gleich darauf bemerkte. „Bleib hier.", befahl er mir schläfrig und verstärkte seinen Griff. „Einer muss etwas schaffen, Marco, ich kann nicht den ganzen Tag im Bett vor mich hinvegetieren... OH. MEIN. Gott. Es hat geschneit!", quietschte ich plötzlich los, als ich die weiße Schicht bemerkte, die sich an meinem Fenster gesammelt hat. Mein erster Gedanke galt nämlich Vito und einem Schneeausritt. „Na und? Das tut es immer im Winter.", bemerkte der Faulere sarkastisch und gab auf, mich im Bett zu halten, sodass ich direkt hinaussprang und aufgeregt im Zimmer umherlief, um meine Sachen für heute zusammen zu suchen. Anschließend verschwand ich im Bad, da ich bei aller Liebe mich doch nicht vor Marco umziehen wollte. Das brauchte er nun doch noch nicht zu sehen.

Als ich nach einer Katzenwäsche zehn Minuten später wieder, sogar mit geflochtenen Haaren, wieder vor meinem Bett stand, war der junge Mann auf meinem Schlafstätte gerade wieder eingeschlafen. Lachend öffnete ich das Fenster, um etwas frische Luft hinein zu lassen und zog ihm dann die Bettdecke weg. Der erste kalte Luftzug reichte schon aus, um Marco aufrecht zum hinsitzen zu bringen. „Hanna!", jaulte er empört auf. „Das ist nicht fair!" „Langweiler. Und wenn du mit mir und Vito zusammen ausreiten gehen willst, dann musst du dich beeilen...", grinste ich ihn gut gelaunt an und stürmte nach unten, um etwas zu essen. Meine Laune hatte sich merklich gebessert seit ich entschieden hatte, wie ich den Schnee ausnutzen sollte. Es gab nichts Schöneres als einen Ausritt im Schnee. Und vor allem, wenn das für Beide neu war. Schließlich hatte mein Falbe noch nie Schnee gesehen, da es in Spanien kaum schneite. Und da nun die weiße Pracht sich dick über das ganze Land gelegt hatte, war das für ihn mehr als ungewohnt. Aber ich war mir sicher, er würde es lieben, denn er war eben ein verspielter Typ und mit Schnee konnte man unheimlich viel anfangen.

Unten am Tisch traf ich Mario, der in einer Zeitung blätterte und Kaffee trank. „Guten Morgen!", grüßte ich fröhlich. „Morgen. Hast du Marco gesehen?", wollte er als erstes wissen, ohne von seiner Zeitung aufzusehen. Dem strengen Blick nach zu deuten war er wieder sauer auf ihn, also entschied ich mich dafür, ihn anzulügen. „Nö. Vielleicht schläft er noch...", mutmaßte ich und nahm mir eine Schüssel Müsli. „In seinem Bett ist er nicht, da habe ich schon nachgeschaut...", überlegte er laut weiter und schenkte mir dann einen vorwurfsvollen Blick. Als ob er ahnen würde, wo sein Sohn geschlafen hatte. „Dann habe ich wirklich keine Ahnung...", erklärte ich nur schulterzuckend und setzte mich an den Tisch.

Allerdings klärte sich für meinen Meister die Frage einige Minuten später, als der Junior noch etwas verschlafen an der Tür stand und müde in den Raum starrte. Seine Haare standen noch zerzaust von allen Seiten ab und seine hellblauen Augen waren noch matt von der Nacht. Jedoch stand er in Reitklamotten fertig vor mir, also ging ich davon aus, dass er doch noch mit wollte. Ich schenkte ihm ein Lächeln.

„Wo warst du heute Nacht?", kam es plötzlich streng von Mario in einem Ton, der nicht gerade angenehm war. Vor der überraschenden Lautstärke seiner Stimme zuckte ich kurz zusammen. „Ich habe geschlafen.", blieb Marco ruhig und nahm sich ebenfalls eine Schale Müsli. Er setzte sich neben mich und seine Hand berührte unter dem Tisch entschuldigend mein Knie. „Bin gleich fertig.", wisperte er und wandte sich dann wieder seinem Vater zu, der die Stirn in Falten gelegt hatte und seinen Sohn streng musterte. „Heute Morgen warst du aber nicht in deinem Bett...", setzte er an. „Kann dir doch egal sein, wo ich war.", kam es gebrummelt zurück.

„Ist es aber nicht!", brauste le maître weiter auf. Mir wurde es langsam zu viel, denn ich ahnte, dass das wieder in einem Streit enden würde. Deshalb machte ich, dass ich schnell mit Essen fertig wurde und ging in den Stall. Auf dem Weg nach draußen sah ich mich noch kurz nach Marco um, der mir ein unauffälliges Handzeichen gab, dass er bald folgen würde. Vito stand schon mit erhobenem Kopf in seiner Box als ich kam und berührte zur Begrüßung freundlich meine Schulter.

„Draußen sieht es heute so anders aus...", sagte er als erstes und deutete mit der Nase nach aus dem Fenster.  „Das ist Schnee. Weiß, kalt und wunderbar zum Spielen.", erklärte ich das neue Zeug und neugierig sah mein Pferd noch einmal nach draußen. „Sieht spannend aus...", meinte er, mehr zu sich selbst als zu mir. „Ja, lass es uns genauer anschauen. Wollen wir ausreiten gehen?", wollte ich lächelnd wissen und kraulte ihn mit einer Hand am Nacken, die andere an seiner Tür abgestützt. „Natürlich. Meinst du, ich lasse mir einen Ritt mit dir entgehen?", meinte er begeistert. „Marco kommt mit.", grinste ich und dämpfte so seine überschwängliche Freude. „Och nee, zwei Leute..."

Allerdings beklagte er sich nicht länger, sondern nahm es einfach hin. Ich trenste ihn und ließ den Sattel weg. Das war zwar gefährlich, doch Vito und ich wären nicht Vito und ich, wenn wir nicht immer ein bisschen verrückt gewesen wären. Also saß ich einige Minuten später auf dem warmen Rücken meines Hengstes und ließ ihn am langen Zügel den Schnee, der auf dem Hof lag, erkunden. Ich wartete auf meinen Begleiter, der wieder nicht lange auf sich warten ließ. Als er mich sah, hellte sich sein Gesicht auf und mühelos zog ich ihn hinter mich.

„Ich liebe dich.", murmelte er an meinem Ohr, während er seine Arme um meine Hüfte schlang. „Halte dich gut fest." Ich zwinkerte ihm zu und drückte Jovito die Fersen ein wenig in den Bauch, sodass er direkt in einen zügigen Trab verfiel, der gerade noch gut zu sitzen war. „Pass auf, Großer. Der Boden ist neu und in einem anderen Zustand, ja?", rief ich dem Falben zu, der nicht wirklich auf die Bodenverhältnisse zu achten schien. „Wieso? Es ist doch alles trocken und schön fest.", schnaubte er von vorne und schüttelte sich die lange Mähne aus dem Gesicht, die ich noch nicht zusammengebunden hatte. Vorhin war ich zu faul gewesen, um mich mit mühseliger Flechtarbeit zu beschäftigen. Ich beugte mich etwas nach vorne, damit der junge Mann hinter mir nichts mitbekam, dass ich wieder zu meinem Pferd redete. „Sage nachher aber nicht, ich hätte dich nicht gewarnt. Der Boden kann verdammt glatt sein." Er nickte und konzentrierte sich wieder auf die Strecke. Bevor ich jedoch die Galopphilfen gab, drehte ich mich noch einmal zu Marco um, meine Lippen streiften seine. „Bereit?", hauchte ich und er wusste genau, was ich meine. „Denke schon, cheriè."

Ein Lächeln breitete sich auf meinem Gesicht aus und ich tat endlich das, worauf ich mich am Meisten im Winter freute. Ich gab meinem Pferd unter mir die Galopphilfen.

Ein Ruck ging durch den langen Körper des Falben, als er sofort lossprang. Sein Hals wurde länger und er legte sich flach in den Wind, während er diese günstige Position nutzte, um schnell zu starten. Ich beugte mich ebenfalls leicht nach vorne und ließ mich wieder ganz von den gleichmäßig schnellen Bewegungen in Bann ziehen. Der Schnee stob zu beiden Seiten weg und der gedämpfte Hufschlag trommelte nun über den Weg. Ich lauschte dem gleichmäßigen Klopfen, sah, wie Tiere aus dem Unterholz flüchteten und die Bäume des Waldes nur so an uns vorbei zu ziehen schienen. Ich schmeckte das kalte, weiße Pulver auf meiner Zunge und der Haut. Ich fühlte die Muskeln unter mir, Marcos Arme an meiner Hüfte und den Wald und zog den angenehmen Duft des Waldes und der Tiere in mich auf. Der Duft meines Freundes? Es fühlte sich merkwürdig an, Marco als Freund zu bezeichnen, da Vito für mich genauso Freund war. Jedenfalls kam sein Duft bei mir nicht mehr an. Der Wind, den die Geschwindigkeit erzeugte, nahm ihn mit sich und verwehte ihn hinter uns.

Lachend ließ ich die Zügel aus der Hand gleiten. Freiheit. Willkommen zurück. Das Gefühl der vollkommenen Hingabe zur Natur, dem Vertrauen in ein Tier. Da war es wieder, das schönste Gefühl der Erde.

Als sich der Weg jedoch in eine Kurve begab und in einen Wegabschnitt mündete, dessen Boden ich noch nicht kannte, parierte ich meinen Falben wieder durch. Ich spürte, wie Marco mich von hinten einmal fest umarmte. „Weißt du was?", fragte er leise. Ich schüttelte den Kopf. „Ich habe ein unheimliches Glück, zusammen mit dem besten Team reiten zu dürfen. Vito und du, ihr seid nicht nur Reiter und Pferd. Ihr seid Partner. Ihr gehört zusammen... Und ich habe ein unverschämtes Glück, dich mit ihm teilen zu können."

Moondancer - Maître des ChevauxWo Geschichten leben. Entdecke jetzt