6. Morgenmuffel

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Am nächsten Morgen wachte ich von einem Klopfen an meiner Zimmertür auf. "Hanna?", rief Mario. "Zeit, um aufzustehen." "Hmmmm.", meldete ich mich, noch im Halbschlaf. "Ok, du bist wach. Kommst du runter, sobald du fertig bist?", lautete die Anweisung von der anderen Seite. Es war noch dunkel draußen, doch als ich nach meinem Handy tastete, um einen Blick auf die Uhrzeit werfen zu können, stellte ich fest, dass es 20 vor Acht war. Warum war es im Winter auch immer so lange dunkel?

Stöhnend rollte ich mich in meinem Bett herum, vergaß, dass ich nicht auf meiner breiten Liegestätte von Zuhause lag, sondern in einem deutlich schmaleren Bett. Die Schwerkraft forderte ihren Tribut und so fand ich mich kurz darauf auf dem harten Teppichboden wieder. Erschrocken zuckte ich beim Aufprall zusammen, doch wenigstens war ich jetzt wach. Also rappelte ich mich vom Boden auf, machte mein Bett und zog mich schnell an. Anschließend machte ich mich im Bad fertig und saß schon eine Viertelstunde später unten am Esstisch, wo ein paar Croissants wartend auf mich bereit lagen. Marco saß mindestens genauso verschlafen, wie ich mich fühlte, auf seinem Stuhl und schlief halb über seinem Kaffee ein. "Es ist noch Weihnachten, das sind Feiertage! Warum kann man mich einfach nicht schlafen lassen?!", murmelte er leise vor sich hin und rieb sich mit den Handrücken seine Augen.

"Guten Morgen", erwiderte ich stattdessen fröhlich. Selbst wenn ich kurz brauchte, um aus dem Bett zu kommen, so war ich doch relativ schnell munter. Von diesem Schwall Gute-Laune, der ihm entgegen wehte, hob Marco verwundert den Kopf und blickte mich an, als wäre ich jemand von einem anderen Planeten. Nach einer Weile schlug er schließlich seine stahlblauen Augen wieder nieder und grummelte etwas, dass sich anhörte wie "Morgen". Schmunzelnd machte ich mir ein Croissant mit Erdbeermarmelade und schenkte mir etwas von dem Orangensaft ein, der auf dem Tisch stand.

Während ich so dasaß und genüsslich das Gebäck verspeiste, tauchte Mario wieder in der Küche auf. Als er die Tür aufstieß wehte sofort ein kalter Luftstoß in den warmen Raum, was mich erfrösteln ließ. Eine feine Gänsehaut breitete sich auf meiner Haut unter dem dunkelblauen Kapuzenpulli aus. Mein Meister stand in dicken Wanderschuhen, Jeans und einer schwarzen Winterjacke in der Tür. Sein Atem blies kleine Wölkchen in die Luft. Draußen wurde es langsam hell, doch durch die dicke Nebelsuppe, konnte man sowieso fast nichts erkennen. "Wie lange braucht ihr zwei noch?", fragte er ungeduldig. "Bin so gut wie fertig.", meinte ich und stand auf, um meinen Teller wegzuräumen. "Marco?", wandte sich sein Vater mit lauter Stimme an ihn, sodass er zusammenzuckte. Daraufhin schmunzelte Mario. "Aufwachen, Sohnemann." "Hmmmm.", kam es verschlafen zurück. Ich schlüpfte unterdessen in meine Winterreitschuhe, die ich mir extra für solche Temperaturen angeschafft hatte. Sie hatten diesen kleinen Absatz, den jeder Reitschuh brauchte, waren aber dennoch gut genug gefüttert, um selbst bei Minusgraden für warme Füße zu sorgen.

Dann zog ich meine schwarze, dicke Weste an und stand kurz darauf bereit in der Kälte. Marco brauchte etwas länger, bis er sich aufgerafft hatte. Er war eindeutig kein Morgenmensch. "Warum muss Lucio nie etwas arbeiten?", grummelte er noch, ehe er die Tür hinter sich schloss und seinem Vater zum Stall folgte. Um den Anschluss nicht zu verlieren lief ich schnell hinterher. "Eigentlich wollte ich den Nachmittag die Zeit für ein Falltraining auf dem Sandplatz im Wald nutzen, doch wie es momentan aussieht, kommen wir durch diese Nebelsuppe keine drei Meter weit. Der Wetterbericht meinte, es soll später aufklaren, aber so ganz sicher bin ich mir nicht.", erklärte Mario, ohne auf das Gejammer seines Sohnes einzugehen. "Und was machen wir stattdessen?", wollte ich neugierig wissen. "Die Jungtiere müssen raus.", erwiderte Marco an seiner Stelle, immer noch mit einer Laune, als wäre Weihnachten ausgefallen. Ich verdrehte die Augen. "Sag mal, bist du immer noch nicht wach oder was geht mit dir heute?", fuhr ich ihn an. "Ich finde es nur scheiße, dass Lucio nie etwas machen muss. An mir bleibt die gesamte Arbeit hängen!", brauste der Junge auf. "Dein Bruder kümmert sich um die Büroarbeiten.", erklärte sein Vater. "Und ich muss raus in die Kälte, oder wie?" Marco zog sich seine dunkle Mütze tiefer in die Stirn. "Dein Bruder kommt mit Pferden genauso wenig klar wie du mit Bürokratie. Also ist das nur gerecht. Das Thema hatten wir doch schon oft genug...", antwortete der Ältere genervt. "Trotzdem ist es unfair.", beharrte sein Sohn schmollend und entschloss, nichts mehr zu sagen.

Moondancer - Maître des ChevauxWhere stories live. Discover now