18. Stadtführung

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Die Bises sind die Franzosenküsschen, die man sich zur Begrüßung und auch zum Abschied gerne gibt!

Der Champs-Elysées war vor allem eines: Laut. 12 Straßen trafen hier zu einem Kreisverkehr zusammen. Die Autos und die vielen Touristen machten unmissverständlich klar, was Paris eigentlich war. Nicht die Stadt der Liebe, sondern eine riesige Touristenattraktion und schmutzige Großstadt. Trotzdem war der Triumphbogen, der in der Mitte dieses Kreisverkehrs stand, ziemlich eindrucksvoll. Das riesige Gebäude ragte breit und mächtig in den Himmel und stellte die Autos, die laut um es herumfuhren, ziemlich mickrig dar. Allerdings wurde es nach einer Viertelstunde schon wieder langweilig, sodass wir beschlossen, weiterzugehen. Zu Fuß liefen wir an der Champs-Elysées entlang in Richtung Osten. Mit einem kleinen Abstecher über den Grand Palais und den Place de la Concorde ging es direkt zum Louvre, wo wir erstmal unsere müden Füße in einem kleinen, viel zu überteuerten Café ausruhten. Anschließend machten wir eine Art Fotoshooting vor der Glaspyramide des Louvre. Ich war der Meinung, ich bräuchte dringend wieder ein neues Profilbild für meinen Facebookaccount. Das sommerliche Bild von Marion, Thorgal, Vito und mir beim Ausreiten war etwas veraltet und passte nicht mehr, zumal der blonde Hengst von meiner Freundin sowieso längst in Frührente war. Er hatte eine unheilbare Knochenkrankheit, was ihn für das Trickreiten und somit auch für die Cavalcade unbrauchbar machte. Jetzt genoss er sein Leben als Freizeitpferd auf einer großen Weide. Jedenfalls machten wir ein paar Bilder, auf der die Glaspyramide ein wunderschöner Hintergrund abgab.

"Und wohin willst du als nächstes?", fragte Magali mich, die geduldig noch ein letztes Bild mit meinem Handy machte. "Mir egal, aber es wird ja schnell dunkel... also, was lohnt sich noch?", antwortete ich, für die Kamera lächelnd. "Also ich würde sagen, wir machen das Viertel um die Kathedrale noch.", antwortete Marion, die am Boden saß und müde vor sich hinstarrte. Ein Tag Paris war anstrengend. Vor allem, wenn man nichts mehr gewöhnt war. Wir hatten alle eine Trainingspause über die letzten paar Wochen gehabt, doch jetzt ging es wieder los. "Notre-Dame?", erkundigte ich mich, denn "die Kathedrale" konnte ja vieles sein. Meine Kolleginnen nickten. "Streng genommen heißen ja alle Kathedralen so, aber ich weiß, welche du meinst.", grinste Magali. Stimmt. Eigentlich trug sogar fast jede Kirche den Namen, der auf Deutsch gerne "unsere liebe Frau" lautete. Ich schüttelte als Antwort nur schmunzelnd den Kopf.

"Aber diesmal fahren wir mit der Metro.", protestierte die kaputte Marion. Das ließ mich grinsen. "Du wirst langsam alt, oder? Mit 25 baut der Körper bekanntlich ab...", meinte ich belustigt. "Warte nur ab, bis du so alt bist wie ich!", kam es prompt von ihr zurück. "Dafür habe ich ja noch sieben Jahre Zeit." Wenn man die 40 Pferdejahre nicht mitzählte, die bald damit anfingen, meinen Alterungsprozess zu stoppen. Nämlich genau dann, wenn ich mein Körper vollständig ausgebildet war. Das sollte sehr bald der Fall sein. Spätestens mit 23. "Aber die Metro ist trotzdem eine gute Idee. Ich habe keine Lust, noch mehr zu laufen.", kam ich auf das Thema zurück. "Also gut. Auf zur Metro.", verkündete Magali und lief zielstrebig in eine bestimmte Richtung. Da ich mich nicht auskannte, trotte ich ihr einfach hinterher. Sie fand auch wenige Meter weiter eine Station, wo wir auch nicht lange auf die nächste U-Bahn warten mussten. So konnten wir direkt gegenüber der riesigen Kathedrale aussteigen.

Notre-Dame de Paris war im gotischen Stil gebaut und bestand aus weißem, hellen Sandstein. Im Sommer, wenn die Sonne darauf schien, wirkte die Kirche bestimmt weiß. Jetzt jedoch, an einem kalten Wintertag, sah es mehr grau aus. Als ich das gewaltige Gebäude betrat, fühlte ich mich auf einmal ganz klein. Ich war gerade damit dabei, die Innenarchitektur zu bewundern, als mein Blick auf die Orgel fiel. Beinahe wäre mir die Kinnlade hinuntergeklappt. "Marion.", murmelte ich fasziniert zu meiner Nachbarin, die mehr oder weniger interessiert in einer Infobroschüre blätterte. "Hmm?", sie blickte kurz auf. "Orgel...", mehr brachte ich erstmal nicht raus. So fasziniert war ich von diesem Instrument. Obwohl mich Klaviere oder Flügel nicht besonders interessierten, war ich von einer Orgel doch unglaublich gefesselt. Ich persönlich beherrschte Akkordeon, hatte jedoch aufgehört, aktiv darin Unterricht zu nehmen, als ich zur Cavalcade gekommen war. Dadurch konnte ich so ziemlich alle Tasteninstrumente spielen, die existierten. Das einzige Problem waren die Akkorde am Keyboard an der linken Hand. Das hatte ich mir noch nie merken können. "Ja, Hanna. Das ist eine Orgel. Schonmal was davon gehört oder gesehen?", grinste Marion schließlich über meinen starren Blick. "Lass mich. Ich würde gerade alles dafür geben, eine Taste darauf hinunterdrücken zu dürfen.", murmelte ich abwesend. Meine Freundin lachte leise. "Komm jetzt. Sonst hälst du den gesamten Verkehr auf. Du darfst bestimmt mal irgendwann darauf spielen..." Hör auf, mir Hoffnungen zu machen, Marion. Ich seufzte innerlich. Doch, nett wie ich war, folgte ich ihr natürlich, als sie mich weiterzog. So bestaunten wir noch weiterhin die gigantische Größe dieser Kathedrale und sahen uns die Gemälde, Fenster und all die kleinen, liebevollen Details an.

Anschließend liefen wir einmal um die Insel herum und ein Stückchen an der Seine, dem Fluss, der durch Paris führt, entlang. Dort sahen wir sogar ein ehemaliges Gefängnis aus der Zeit der französischen Revolution an. "Darin war sogar Marie-Antoinette gefangen. Du weißt ja, diese berühmte Königin, die am Ende geköpft wurde.", erklärte Magali, als wir davor standen. "Von der steht ein Modell im Europapark.", kommentierte ich ihre Aussage. Veriwirrt drehte sich Marion zu mir um. "Echt? Wo?! Das ist mir noch nie aufgefallen." "Doch.", ich grinste, "Vor der Geisterbahn. Am Eingang. Die Skelettfrau mit dem Schirm in der Hand und dem Kleid aus dem Barock." "Echt jetzt? Das soll Marie Antoinette sein?!" Ich nickte. "Ja. Das war doch so eine eingebildete Schlampe. Die wurde am Ende nur noch von jedem gehasst.", erklärte ich, was ich von Elizas Referat aus der achten Klasse noch wusste. Sie hatte über das Thema in Geschichte mal ausführlich berichten müssen. Eigentlich war es langweilig gewesen, aber die Informationen hatte ich wenigstens noch ein bisschen. Was wohl auch daran liegen könnte, dass Eliza mich jedes Mal, wenn wir Geisterbahn gefahren sind und an der Figur vorbeiliefen, daran erinnerte. Doch bevor es dunkel wurde, besuchten wir noch das Centre Pompidou, das ebenfalls ziemlich berühmt war, aber nur ein Kunstmuseum war, in das wir nicht hineingingen und das Rathaus. Dieses sah schon etwas spannender aus. Und davor war sogar eine Schlittschuhbahn aufgebaut. So ließen wir es uns nicht nehmen, zum Abschluss unserer Tour noch das Eis mit drei "Eiskunstläufern" zu bereichern. Denn wir waren eigentlich nicht die Besten darin. Doch trotzdem hatten wir unglaublich viel Spaß. Und als wir nach einem Glas Wein, welches, laut Marion, bei einer Touristenführung in Paris nicht fehlen durfte, zurück zu Marios Hof fuhren, konnte ich nicht aufhören, mich bei ihr zu bedanken, denn der Tag war unglaublich schön gewesen.

"Es war dein nachträgliches Geburtstagsgeschenk, Hanna. Also hör auf dich so zu bedanken, als hätte ich dir Vito, so wie er jetzt ist, höchstpersönlich überreicht und mach, dass du reinkommst. Sonst denkt Mario noch, ich hätte dich entführt. Ach... und vergiss dein Kleid nicht.", sie lachte und reichte mir die Desigual Plastiktüte. "Jaaa, Mama. Und... hmm... danke.", zog ich sie noch auf, ehe ich die Tüte entgegennahm. "Bis Bald!", verabschiedete ich mich noch und gab den zwei Frauen noch die Bises. Dann folgte ich Marions Rat und ging ins Haus zurück. Der größte Teil der Familie Luraschi befand sich wieder, wie jeden Abend, im Wohnzimmer. Nur Marco saß noch am Küchentisch, als ich hereinkam. Er zog ein Gesicht, wie sieben Tage Regenwetter und sah im Gesamtbild so aus, wie er jeden Morgen aussah, wenn man ihn zu früh aus dem Bett holte. Nur mit dem Unterschied, dass es mittlerweile schon fast acht Uhr abends war. "Wenn du noch etwas Essen willst.... es steht dahinten.", begrüßte er mich und deutete mit dem Daumen hinter seinen Rücken. "Nein, danke.", lehnte ich ab. Wir hatten in Paris hier und da nochmal etwas gegessen gehabt, sodass ich jetzt keinen großen Hunger mehr hatte. "Sicher? Es ist noch genug da.", meinte er mit seiner typischen 'Ich-habe-keine-Lust-auf-Alles' Stimme. Ich warf einen kurzen Blick in den Top. Gemüseeintopf. Na gut, warum nicht.

Ich nahm mir also eine kleine Portion hinaus und machte sie in der Mikrowelle warm. Während mein Essen sich munter hinter der Scheibe drehte, wanderte mein Blick gedankenlos durch den Raum und landete schließlich auf dem braunhaarigen Typen am Küchentisch, der irgendetwas in sein Handy eintippte. "Lächeln steht dir besser.", kommentierte ich schließlich seine abgeneigte Haltung der Welt gegenüber. Kurz sah er auf, seine grünen Augen lagen für einen Moment auf mir, ehe er sie wieder niederschlug. "Danke. Aber wenn dir dein Vater so gewaltig auf die Nerven geht, wie meiner es gerade tut, dann würdest du genauso aussehen.", murmelte er und versteckte sich wieder hinter seinem Handy. Ich schüttelte nur den Kopf. So ein Sturkopf aber auch...

Moondancer - Maître des ChevauxWo Geschichten leben. Entdecke jetzt