3. Ankunft

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Nervös lief ich auf dem Bahnsteig auf und ab. Heute würde ich endlich Vito wiedersehen! Und jetzt war auch noch der Zug zu spät. Anscheinend gab es irgendwo auf der Strecke des TGVs eine Baustelle.

Während ich anfing, mir vor lauter Aufregung, die Fingernägel abzukauen, hielt ich kurz inne, atmete einmal tief durch und lehnte mich dann neben meinem Koffer an einen Balken des Bahnsteiges. Meine Familie war zwar nicht so erfreut gewesen, als ich verkündete, dass ich nach Frankreich ging, doch sie sahen auch, wie sehr es mich freute. Also ließen sie mich dann am zweiten Weihnachtsfeiertag ziehen. Und das war heute.

Seufzend kramte ich noch einmal mein Zugticket aus meiner Tasche und überprüfte die Fahrzeiten des TGV. Vor einer Viertelstunde hätte er abfahren sollen und noch immer war kein blau-weißer Zug zu sehen. Das grenzte fast an seelischer Vergewaltigung! Und ich dachte immer, die französische Bahn war in Sachen Pünktlichkeit vorbildlicher als die Deutsche.

Doch noch während ich mir Gedanken über den Vergleich der deutschen und französischen Bahn machte, konnte ich in der Ferne endlich den weißen Zug mit der geschwungen Nase ausmachen, der in meine Richtung fuhr. Endlich.

Vor Freude hätte ich beinahe meinen Koffer vergessen, wenn mir nicht aufgefallen wäre, dass ich kein Gewicht in der Hand hatte. Es war wirklich der richtige Zug und so verließ ich ein paar Minuten später schon Straßburg. Während der Zugfahrt lenkte ich mich mit meinem Handy ab. Alte Bilder, die von Marion damals gemacht wurden, schienen mir entgegen. Meine Galerie war voll davon. Während der letzten Wochen hatte ich sie kaum angeschaut, doch jetzt erfüllte mich jedes Bild mit Wärme. Dieser Sommer war so schön gewesen...

Drei Stunden brauchte der Zug bis nach Paris. Nachdem ich ausgestiegen war, sah ich mich suchend um und zog meine Jacke enger um meine Schultern. Hier war es momentan definitv kälter als in Deutschland. Jetzt, am 26. Dezember konnte ich wohl kaum erwarten, dass es warm war und die Sonne schien. Heute war Sonntag, zwei Tage nach Weihnachten und ich war endlich in Frankreich, in der Nähe meines Pferdes. Wartend setzte ich mich auf meinen Koffer. Mario hatte gesagt, er würde jemanden schicken, um mich abzuholen. Die Ankunftszeit hatte ich ihm gestern per E-Mail geschrieben und er hatte sie auch erhalten.

Noch während ich mir Gedanken darüber machte, wer mich wohl abholen könnte, tippte mir jemand auf die Schultern. Als ich den Kopf drehte, sprang ich sofort von meinem Koffer auf und umarmte die Person stürmisch. Ihre blonden Haare mit dem braunen Ansatz hatte sie zu einem Pferdeschwanz zusammen gebunden und ihre grüne Augen funkelten belustigt. "MARION!" Beinahe hätte ich sie umgeworfen, so froh war ich, sie wiederzusehen. Lachend erwiderte sie meine Umarmung. "Kein Grund, so überzureagieren." "Ich habe nicht damit gerechnet, dich hier anzutreffen.", entschuldigte ich mich dann grinsend. "Jaja, irgendwie habe ich dich ja auch vermisst.", meinte sie nur belustigt und schob mich dann von sich. "Und denk immer daran, du willst mich lebend.", erklärte sie. Fröhlich nahm ich meinen Koffer und folgte ihr, als sie in Richtung Nordausgang lief.

"Warum bist du eigentlich hier? Wohnst du nicht ganz woanders?", fragte ich dann neugierig. "Training. Ich bin auch erst gestern Abend gekommen und bleibe auch nur bis Donnerstag. Eigentlich wollte ich nur meinen Trainingsplan für Kaltenberg abholen und mir die Pferde für das kommende Jahr anschauen. Wahrscheinlich werde ich mir kein Eigenes mehr kaufen. Und dann habe ich am Rand mitbekommen, dass du auch kommen wirst. Also habe ich mich freiwillig als Abholdienst gemeldet. Ansonsten hättest du das Taxi nehmen sollen.", grinste sie. "Warum willst du kein eigenes Pferd mehr?", fragte ich verwirrt. "Ach, Hanna. Das macht so viel Arbeit und beansprucht Zeit. Und wer weiß, wie lange ich das Stuntreiten noch machen kann. Denke mal 10, 20 Jahre weiter! Würde ich mir jetzt ein Pferd kaufen, müsste ich es ja auch erstmal selber ausbilden und dafür fehlt mir einfach die Zeit. Hätte Thorgal nicht diese Sache am Bein gehabt, dann hätte ich ihn natürlich auch noch bis an sein Lebensende behalten... Aber wahrscheinlich werde ich nie wieder ein Pferd wie ihn finden und ganz ehrlich, das will ich auch nicht. Ich bin gerade froh, über meine Thorgalphase hinweg zu sein." Den letzten Satz sagte sie bitter, dass ich mir sicher war, sie meinte es nicht so. Tief im Herzen vermisste sie Thorgal immer noch.

Moondancer - Maître des ChevauxWhere stories live. Discover now