12. Historisch gesehen ist das aber falsch.

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Und wie ich Recht behalten hatte. Am nächsten Morgen hatte ich einen unglaublichen Muskelkater. Nach unserer kleinen Rauferei auf dem Sofa gestern, hatte Mario uns genervt auf unsere Zimmer gescheucht und somit war ich dann auch Schlafen gegangen.
Es war sowieso schon spät gewesen und ich war von dem Training ziemlich müde gewesen, sodass ich auch nicht lange brauchte, um einzuschlafen.

Mein Meister hatte mich diesmal um Neun geweckt. So konnte ich immerhin ein bisschen länger im Bett liegen bleiben, obwohl mich die ersten Sonnenstrahlen, die mir direkt ins Gesicht geschienen hatten, schon um 20 nach Acht geweckt hatten. Dementsprechend war ich um Neun auch ziemlich munter und hatte sofort nach dem Aufstehen schon gute Laune. Nach meiner Morgenroutine saß ich also mit einem fröhlichen Lächeln am Küchentisch und aß ein Nutellabrötchen. Ich war allein am Tisch, aber das störte mich momentan nicht. "Morgen, Hanna.", grüßte Mario plötzlich, als er ohne Vorwarnung in den Raum schneite und etwas hektisch wirkte. "Guten Morgen. Hätte ich früher aufstehen müssen?", fragte ich verwundert, denn er schien wirklich unter Stress zu stehen. "Dann hätte ich dir helfen können.", fügte ich noch hinzu, als er für einen Augenblick nichts sagte. "Nee, schon in Ordnung. Ich gehe sowieso davon aus, dass du ziemlichen Muskelkater hast. Deswegen ist für den Morgen nicht wirklich viel geplant. Ich wollte mit dir den Plan für Kaltenberg und für die Arena durchgehen. Wie gesagt, die nächste Saison hätte ich dich gerne bei den beiden Shows auf jeden Fall dabei. Vor allem in der Arena. Du wohnst ja eh in dieser Gegend, da passt das ja.", erklärte er. "Mhm. Muskelkater ist richtig.... Und wie stets mit dem Nachmittag?", wollte ich wissen, da er ja anscheinend nur den Morgen verplant hatte. "Ich dachte, ich unterrichte dich in den Trainingsmethoden für die hohe Schule mit Jovito. Bis jetzt kann er ja nur die Grundlagen, oder?" Ich nickte bestätigend. "Verbeugen, Knien, Hinlegen und den spanischen Gruß und Schritt. Das Steigen auch ein Bisschen, aber er hat noch mit seinem Gleichgewicht zu kämpfen, weshalb ich auch kaum Trickreiten mit ihm geübt habe. Hast du da etwas gemacht?" Zu meiner Erleichterung nickte mein Meister. "Ja, aber nicht viel. So etwas musst du mir sagen! Dann hätte ich ihn in diese Richtung mehr trainiert." Entschuldigend nickte ich. "Tut mir Leid." "Schon in Ordnung. Dann haben wir heute Nachmittag einiges zu tun. Treffen wir uns, wenn du fertig bist, in der Sattlerei? Dann kann ich nebenbei noch an meinem neusten Projekt arbeiten." Ehe ich irgendetwas erwidern konnte, hatte er sich schon wieder umgedreht und war mit großen Schritten aus der Küche geeilt. Anscheinend lag ihm viel an seinem Projekt.

Kopfschüttelnd wandte ich mich wieder meinem Brötchen zu. An diese Arbeitswut seitens meines Arbeitgebers musste ich mich erst noch gewöhnen. Natürlich machte auch mir die Arbeit mit den Pferden Spaß und ich scheute mich nicht davor, Überstunden zu machen, aber Mario war so... fleißig. Von der Arena war ich gewöhnt, dass man alles etwas gemütlicher angehen ließ und nicht so darauf scharf war, mehr als notwendig zu arbeiten. Denn das Notwendige brachte auch so oftmals schon Überstunden mit sich. 

Während ich aufstand und mein benutztes Geschirr aufwusch und aufräumte, betrat Marco die Küche. Seine blauen Augen musterten mich kurz eindringlich, ehe er sich abwandte und ein schnelles "Guten Morgen.", murmelte. So wie es aussah, war er schon draußen gewesen, denn er trug Reithosen und brachte einen erheblichen Pferdeduft mit in das Haus. Ich schmunzelte. "Morgen. Wie geht's?" "Gut. Danke. Dein Pferd steht auf der großen Weide neben den Jungtieren. Ich dachte, es schadet ihm nicht, wenn er ein bisschen an die frische Morgenluft kommt.", teilte er mir mit. "Super. Danke!", bedankte ich mich lächelnd und machte mich dann daran, meine Schuhe anzuziehen, um den Befehlen meines Meister folge zu leisten. Marco sah mir noch kurz zu, doch dann wandte er sich ab, um nach oben zu verschwinden.

In meine dicke Winterjacke gehüllt lief ich so über den Hof, um zur umfangreichen Sattelkammer zu gelangen. Hinter den vielen Räumen, die voller Sättel aus verschiedenen Zeitaltern stammten, waren, befand sich ein Raum, den Mario als Nähstube benutzte. Als ich dort ankam, musste ich erst meine Jacke ausziehen, denn das Herz der Sattlerei war angenehm beheizt.

Ich ließ mich auf einem Stuhl in der Ecke sinken und wartete, bis mein Meister die aktuelle Naht beendet hatte. Währenddessen sah ich mich um. Überall stapelte sich Leder. In überfüllten Schränken, sogar am Boden. Und das, obwohl Mario normalerweise ein ordentlicher Mensch war. Die verschiedenen Brauntöne sorgten dazu noch für ein Farbchaos. Um es zusammen zu fassen: Es sah unglaublich gemütlich und gleichzeitig organisiert chaotisch aus.

"So. Ich bin soweit. Mit was sollen wir anfangen?", wurde ich plötzlich aus meinen Gedanken gerissen. Ich blickte auf und sah, dass Mario die Naht beendet hatte und nun einen neuen Faden in die Nähmaschiene einfädelte. "Ich würde sagen, Arena liegt näher und ist nicht ganz so umfangreich.", schlug ich vor. Mein Gegenüber lachte. "Nicht ganz so umfangreich. Du bist gut." Er machte eine kurze Pause. "Die Arena muss eine Show beinhalten, die selbst nach 10 Mal anschauen noch gut ist. Kaltenberg muss dafür länger sein, aber da wir dort mehr Platz und mehr Reiter zur Verfügung haben, gleicht sich das im Umfang wieder aus. Für die Arena habe ich noch keine genaue Vorstellung, welche Show ich planen soll. Da muss ich mich mit Ludo nochmal zusammensetzen. Das einzige, was ich bis jetzt weiß, ist, dass du wahrscheinlich eine Art Freiheitsdressur bekommen wirst. Es sei denn, wir schaffen es, eine Frauenrolle noch einzubauen. Dann wirst du, wie letztes Jahr, diese Rolle als Hauptdarsteller verkörpern. In Kaltenberg bekommst du auf jeden Fall eine eigene, fünfminütige Freiheitsdressur. Da stehst du dann auch allein auf dem Platz... Aber dazu nachher mehr. Hast du denn eine Idee für die Arena?"

Ja, allerdings. In der Schule konnte man, trotz Abiturvorbereitung, wunderbar träumen. Und so hatte ich mir schon einige Gedanken dazu gemacht. "Winnetou.", schoss es also aus mir heraus. "Indianer?! Das hatten wir schon vor einiger Zeit. Allerdings kam das nicht wirklich gut an...", wies mein Gesprächspartner auf die Show von vor drei Jahren hin. "Viva Ventura war ja auch nicht Indianer, wie ich sie meine. Diese Show spielte in Mexiko, also Südamerika. Dort lebten übrigens die Azteken und Olmeken, oder wie auch immer sie heißen. Jedenfalls fanden die Pferde beängstigend und würde diese Geschöpfe niemals reiten. Du hast die Indianer aus dem Westen Nordamerikas dargestellt, die dort lebten, nachdem die weißen Siedler immer weiter nach Amerika eingefallen sind. Historisch gesehen ist die Show also völliger Schwachsinn, aber sie war wenigstens authentisch. Meine Idee beruht darauf, die weißen Siedler, also auch die Cowboys gegen die Indianer zu stellen. Die Indianer sind dabei jedoch die Guten und am Ende gewinnen sie knapp in einem Endkampf. Oder eben an Winnetou angelehnt. Also dass es auch eine Art Old Shatterhand gibt, die in dem ganzen vermittelnd wirkt.", beendete ich meinen Dialog. Während meiner Rede über die geschichtlich falsche Show, hatte mein Meister nur das Gesicht in den Händen vergraben und den Kopf geschüttelt. "Ob das historisch gesehen richtig oder falsch ist, interessiert doch die Besucher nicht. Sie wollen einfach eine gute Show mit viel Action sehen. Aber deine Idee mit Winnetou ist gar nicht so schlecht. Vielleicht sollten wir das wirklich machen. Und dann gibt es die Indianerfrau, die von den Cowboys gefangen genommen wird, da die Weißen ja die Bösen sind und die Indianer aus ihrem Land vertreiben wollen.", spann Mario die Idee weiter.

Meine Fantasie schlug Purzelbäume. "Die Indianerfrau war auf Kräutersuche, da sie den schwerkranken Häuptling heilen will. Dabei wird sie von einer Gruppe weißer Siedler erwischt, die auf Expedition sind. Sie nehmen sie gefangen, da die Indianerfrau ja ein Feind für sie ist. Doch einige junge Stammesmitglieder waren gerade in der Nähe und haben sich gegenseitig aus Spaß in ihren Reitkünsten gemessen - da kann man das Trickreiten einbauen. Sie sehen, wie die die Suchende gefesselt davon gezerrt wird. Also drehen sie um und holen Hilfe beim Stamm. Währendessen wird die Frau in das Lager der Cowboys gebracht und man will sie, glimpflich gesagt, dem Chef zum Vergnügen anbieten-" Mario unterbrach mich lachend. "Lass es jugendfrei, Hanna." Ich grinste. "Sorry, aber das passte gerade so gut.... Jedenfalls lenkt sie die Bösen ab, indem sie mit einem Pferd Freiheitsdressur aus der Ferne zeigt. Indianer können das. Zumindest können sie das jetzt. Habe ich gerade beschlossen. Und dann kommen auch schon die restlichen Stammesmitglieder und befreien sie in einem epischen Kampf mit vielen Stunts und Schießereien.", endete ich schmunzelnd.

Wieder schüttelte mein Chef nur den Kopf über meine Fantasie. "Und jetzt bauen wir das noch so um, dass sich nicht alles um die Indianerfrau, also dich, dreht, sondern damit die anderen auch etwas machen können." "Tut mir Leid.", entschuldigte ich mich, immer noch mit einem breiten Grinsen im Gesicht. Mario musste wieder Lachen. "Deine Ideen hätte ich auch gerne mal. Ich werde mir das auch aufschreiben, aber wie gesagt, da muss ich noch mit Ludo darüber reden. Lass uns lieber über Kaltenberg reden. Dafür habe ich die komplette Storyline schon im Kopf."


Moondancer - Maître des ChevauxWo Geschichten leben. Entdecke jetzt