10. Die Anweisungen des Meisters

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"Was ist hier los?", donnerte Mario auch schon los, kaum, dass er uns erreicht hatte. Während Marco einige Schritte zurückging und ausweichend irgendetwas unverständliches murmelte, fasste ich mir ein Herz. "Diabolo ist durchgegangen. Es tut mir leid, es war mein Fehler. Ich hätte besser aufpassen sollen.", entschuldigte ich mich. "Und warum ist er durchgegangen?", mein Meister sah immer noch sehr skeptisch aus. "Keine Ahnung. Ihm war langweilig oder er wollte sich kurz austoben. Ich weiß nicht genau, was in den Köpfen der Pferde vorgeht.", erklärte ich mutig, auch wenn mir ganz unwohl dabei war, da Mario sichtlich wütend auf uns war. "Und warum sitzt du überhaupt auf dem Apfelschimmel und nicht auf dem Falben?", bohrte er weiter. "Ähhhhh....", mir fiel keine Ausrede mehr ein und der richtige Grund wollte ich ihm schon gar nicht nennen, denn dieser war einfach nur erbärmlich. Ich meine, Vito war ja angeblich zu jung. Und das war kein Grund, denn Mario hatte ihn ja selbst geritten und wusste, dass der Falbe das machen konnte. "Wir wollten Diabolo eben auch ein wenig bewegen.", half Marco mir aus. Dankbar lächelte ich ihn an. "Na gut, aber wehe, das kommt noch einmal vor, verstanden?", warnte er uns noch, ehe er wieder abzog. "Ja, Chef.", murmelte ich noch, bevor ich mich wieder meinem Trainigspartner zuwandte.

Dieser lächelte aufmunternd. "Probieren wir es im Trab?" Ich nickte konzentriert und gab dem Apfelschimmel die richtigen Hilfen.

Nach anfänglichen Schwierigkeiten klappte es wunderbar und Diabolo wagte auch keinen Aussetzer mehr. Brav lief er durch den Sand und passte auf, dass ich problemlos fallen konnte. Vito, der die ganze Zeit aufmerksam zugesehen hatte, schien auch endlich Vertrauen in meine Fallkünste zu setzen, denn als ich es zum Abschluss ein einziges Mal im Galopp versuchte, bot er sich freiwillig an und so flog ich von dem Rücken des Pferdes, dem ich am meisten vertraute. Als ich danach jedoch wieder vom Boden aufstand, tat mir alles weh. Ich wusste, ich würde morgen wahnsinnigen Muskelkater haben und das ständige Fallen machte es auch nicht besser. Meine schmerzenden Schultern, dessen Muskeln am meisten beansprucht wurden, schrien lautstark nach einer Pause, die ich ihnen jetzt auch gönnen würde. "Ich werde morgen nicht mehr aufstehen können", klagte ich, als ich mit Vito am Zügel zu Marco zurückkehrte.

"Das hätte ich dir auch gleich sagen können", lachte dieser. "Das ist für jemanden, der ungeübt ist, völlig normal." "Ich hoffe bloß, wir haben morgen nichts Besonderes vor.", jammerte ich noch, ehe ich mich mit steifen Gelenken unelegant wieder in den Sattel zog. "Da muss jeder durch.", zog mich mein Trainingspartner nur breit grinsend auf und machte, dass er ebenfalls auf den Rücken seines Pferdes kam, denn Mario rief uns schon zu einem kurzen Schlussappell zusammen.

"Also, das Training sah so weit ganz gut aus. Wir werden aber nochmal daran arbeiten müssen. Vor allem du, Hanna. Ich hätte gerne, dass du in Kaltenberg voll einsetzbar bist. Wobei ich eigentlich eine andere Rolle für dich geplant habe, aber das werden wir dann sehen. Christophe, du solltest das nächste Mal probieren, das Pferd in den Fall mitzunehmen....", da es mich nicht mehr betraf, schaltete ich ab. Ich beschäftigte mich damit, Vito an seiner Lieblingsstelle, direkt am Mähnenkamm vor dem Widerrist zu kraulen.

Erst als Marion mich aus meiner schläfrigen Starre riss, konzentrierte ich mich wieder auf meine Umgebung. Und die Müdigkeit meiner Glieder wurde mir jetzt erst bewusst. So viel hatte ich erlebt. An einem Tag.

Mein Pferd ließ sich von meiner Erschöpfung anstecken und trottete neben Triste, Marions Apfelschimmel, lustlos her. Wir beide schliefen schon halb im Stehen ein, was Marion neben mir erzählte, ging ein Ohr rein und auf der anderen Seite wieder raus. Ohne in meinem Gehirn anzukommen.

"Hanna." Irgendjemand rief nach mir. Es kam wie durch Watte in meinem Bewusstsein an.

"Hanna." Die Stimme neben mir wurde immer lauter.

"HANNA!" Ich zuckte zusammen und schenkte dem Menschen, der mit mir geredet hatte, endlich die verlangte Aufmerksamkeit.

"Hmmm?", gab ich von mir und blinzelte. "Hörst du mir überhaupt noch zu?" Marion brach in schallendes Gelächter aus. "Nein.", murmelte ich ehrlich. "Immerhin gibst du es zu...", sie machte eine kurze Pause und nickte dann zu Marco, der ein paar Meter vor uns ritt. Erst jetzt wurde mir bewusst, dass wir erst seit zwei Minuten wieder auf dem Heimweg sein mussten. Es kam mir aber vor wie eine halbe Stunde. War ich wirklich für eine Sekunde eingeschlafen? Denn dieser berüchtigte Sekundenschlaf stahl einem ja gedanklich mehr Zeit, als wirklich vergangen waren. "Ich wollte dir nur mitteilen, dass dein Freund da vorne, die ganze Zeit versucht ist, dich etwas zu fragen, aber sich anscheinend nicht traut. Und da du sowieso mit gesenktem Kopf vor dich hin döst, hat er die Hoffnung wohl gerade aufgegeben. Vielleicht willst du ihm ja sagen, dass du wieder wach bist.", fuhr meine Freundin schließlich fort. "Marco ist nicht mein Freund.", protestierte ich nur leise und folgte ihrem Blick. Sie hatte Recht. Er schien gerade so sehr mit seinem Pferd beschäftigt, dass es schon wieder unecht wirkte. "Na gut, lass uns zu ihm gehen.", befahl ich meinem Hengst und drückte ihm die Schenkel in den Bauch, was sowohl mich, als auch ihn wieder wach machte. Mit großen Schritten holten wir auf und ich betrachtete den braunhaarigen jungen Mann von der Seite. "Was ist los? Du willst doch irgendetwas, oder?", fragte ich direkt. Marco zuckte erst ausweichend mit den Schultern, ehe er schließlich grinste. "Ich wollte mal testen, ob dein Falbe wirklich so schnell ist, wie alle behaupten." Ein Wettrennen? Oh ja, da konnte ich doch nicht nein sagen. "Naja, wir können es ja ausprobieren. Ein Rennen tut immer gut. Sonst schlafen wir im Stehen ein. Nicht wahr, Jovito?" Dieser drehte kurz den Kopf in meine Richtung und sah dann abschätzend Diabolo an. "Also ich weiß ja nicht. So schnell wie der vorhin um die Lichtung geschossen ist... Ich bin kein Rennpferd, Hanna. Aber sonst natürlich gerne." Ich hob die Augenbrauen und warf ihm einen 'Feigling'-Blick zu. Vito verdrehte die Augen und konzentrierte sich auf den Weg. Wir brauchten also doch keine Worte, um uns unterhalten zu können. Schmunzelnd richtete ich meinen Blick wieder auf Marco, der schon anfing zu sprechen. "Es ist deine Entscheidung. Diabolo ist einer der Schnellsten auf dem Hof. Sag also nicht, ich hätte dich nicht gewarnt." Ich zuckte die Schultern. "Wir werden sehen.... Bereit?" Mein Gegner nickte. "Bereit." Ich holte kurz Luft. "Auf die Plätze... Fertig... Los!"

Vito schoss auch ohne meine Hilfen schon los. Das "Los" hatte gereicht. Diabolo, der verwirrt auf die Hilfen seines Reiters gewartet hatte, blieb so schon am Anfang etwas zurück. Wir hatten einen kleinen Vorsprung. Der Falbe legte sich flach in den Wind, blendete alles um sich herum aus und ich versuchte, ihm so wenig wie möglich zu behindern. Als ich mich nach dem Apfelschimmel umsah, hörte ich noch Mario irgendetwas schreien, aber durch das Rauschen der Geschwindigkeit in den Ohren, hörte weder ich noch mein Gegner etwas, der gefährlich nahe war. Der Teufelshengst war echt teuflisch schnell. "Er holt auf!", schrie ich Vito ins Ohr, der noch einmal an seinen letzten Kraftreserven zu nagen schien. Obwohl er wirklich alles gab und seine Höchstgeschwindigkeit drauf hatte, konnte er seinen kleinen Vorsprung nicht halten. Diabolo machte riesige Sprünge. Eine Spannweite, an die Vito nicht einmal im Traum daran dachte. Denn er war nicht auf Geschwindigkeit trainiert.

So konnte ich nur zusehen, wie mein Rivale davon zog. Als sicher war, dass ich keine Chance mehr hatte, parierte ich den erschöpften Falben unter mir durch, um ihn nicht unnötig zu überanstrengen. Marco war auf Diabolo noch ein Stückchen weitergalloppiert, aber sobald er keinen Hufschlag mehr hinter sich gehört hatte, hatte er ebenfalls langsamer gemacht und sah sich nun nach mir um. Er wendete den Apfelschimmel, um wieder mit mir auf einer Höhe zu sein. "Du hast gewonnen.", erklärte ich nur schulterzuckend, als ich sein breites, hämisches Grinsen sah. "Vielleicht hätte ich dir sagen sollen, dass Diabolo mal eine kleine Karriere in Rennpferdefilmen hatte.", siegessicher streckte er mir die Zunge raus. "Haha. Lustig." Meine Stimme triefte vor Ironie. "Aber du warst gut, Großer. Du hast wie immer dein Bestes gegeben. Hab dich lieb.", wandte ich mich schließlich an Vito und entschied das Großmaul neben mir zu ignorieren. Doch wie ich Marco kannte, beziehungsweise wie ich ihn einschätzte, nachdem ich ihn noch nicht allzu persönlich kannte, hatte er diesen Sieg spätestens nach dem Abendessen vergessen.

Doch zuerst mussten wir uns zum zweiten Mal am heutigen Tag, einem Anschiss von unserem Meister stellen. Als er wenige Minuten später aufschloss, schüttelte er nur den Kopf. "Ihr sollt nicht so rasen. Das tut weder euch noch den Pferden gut. Verstanden?"

"Ja...", meinte ich schuldbewusst. Ob ich es jedoch ernst meinte, wusste ich selbst noch nicht. Vielleicht würde ich mich an seine Anweisung halten, vielleicht auch nicht. Bitte notieren: Guter Vorsatz für 2014: Halte dich stets an die Anweisung des Meisters.

Moondancer - Maître des ChevauxWhere stories live. Discover now