40. Lüge

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Nach dem Abendessen traf ich Mario in der Sattelkammer wieder. Sobald ich eingetreten war, deutete er auf den Stuhl gegenüber seinem Nähtisch und schob mir dann ein Stück Stoff hin. „Tob dich aus. Probier einfach mal ein paar Muster irgendwie da hinein zu sticken. Deine Vorgehensweise ist mir egal.", erklärte er und lehnte sich etwas zurück. Mit verschränkten Armen beobachtete er, wie ich Nadel und Faden nahm und anfing, irgendein Muster in den Stoff zu nähen. Nach einigen Versuchen bekam ich das auch ganz gut hin. Mehr schlecht als recht, aber dass ich darin kein Meister war, sollte Mario wissen.

Als ich mich nach einer Viertelstunde anfing, mich beobachtet zu fühlen, legte ich den Stoff wieder zur Seite. Mein Chef hatte seine Position nach wie vor nicht verändert, sondern starrte mich immer noch mit verschränkten Armen durchdringend an. Ich nahm eine ähnliche Position ein. „Wenn du mir sagen würdest, dass ich jetzt lernen soll, wie man tolle Muster in Sättel stickst, würde ich dir das nicht abnehmen.", fing ich das Gespräch an, da Mario noch keine Anstalten dazu machte. „Das ist auch richtig so. Denn damit liegst du gar nicht so falsch.", antwortete er trocken. „Wenn es wegen Marco ist, das kannst du vergessen...", setzte ich an, doch wurde sofort unterbrochen. „Nein, nein. Sag mir lieber welcher Wochentag heute ist." Der Tonfall meines Gegenübers klang provozierend und ich wusste nicht genau warum, aber seit ich den Raum betreten hatte, knisterte die Luft vor Anspannung. Mario war irgendeine Laus über die Leber gelaufen und durch sein aktuell so provokantes Verhalten mir gegenüber, ging es mir nicht besser. Seine Haltung, wie er da in seinem Stuhl saß, nach hinten gelehnt, die Arme verschränkt. Allein das hieß schon so viel wie: „Ich bin dein Chef, sag mir lieber, was du verbrochen hast, bevor ich dich ohne Grund rausschmeiße."

„Dienstag.", beantwortete ich seine Frage schließlich einsilbig. „Und was ist Donnerstag?" Die Frage, ob er von meinem Geheimnis wusste hatte sich damit erübrigt. Vielleicht sollte ich es ihm gestehen. „Keine Ahnung. Soll da was Besonderes sein?", stellte ich mich aber weiterhin dumm. Man konnte ja nie wissen... Nicht, dass er nachher auf etwas ganz Anderes hinauswollte. „Falsch.", brummte er.

„Was dann?", meinte ich gelangweilt. „Denk an den Mond...", schubste mich Mario bewusst in die gewollte Richtung. „Ja und, dann ist da halt Vollmond. Stört mich nicht weiter. Ich glaube nicht an Geistergeschichten oder Magie, die mit dem Mond zusammenhängt. Also wenn du da irgendetwas Besonderes von mir erwartest, nein. Da muss ich dich leider enttäuschen.", dadurch, dass mir die Lüge so leicht über die Lippen geriet, sah ich zum ersten Mal Marios Selbstsicherheit wanken. Doch schon einen Augenblick später hatte er seine Fassung wieder. „Ach, ich dachte nur... Du hast etwas von Nathalie erzählt. Also sie hatte an Vollmond immer ihre ganz speziellen Tage... Vielleicht interessiert dich das." Bewusst tat mein Meister so, als wäre das eine unwichtige Nebeninfo. Ich musste meine Worte sorgfältig wählen. Was wir hier ablieferten, war wirklich ein psychischer Kampf. Der, dessen Sturheit größer war, der hatte gewonnen. „Wie gesagt, ich glaube nicht an Geistergeschichten. Versuch mir nicht zu erzählen, dass sie ein Werwolf ist. Daran glaube ich nicht."

BAM. Marios flache Hand schlug laut auf dem Tisch auf, sodass ich zusammenzuckte. Er sprang auf und seine Wangen färbten sich verdächtig rot. „HÄLTST DU MICH FÜR DUMM?!", fuhr er mich laut an. Erschrocken drückte ich mich tiefer in den Stuhl, in der Hoffnung, ich könnte darin versinken. „ICH WEISS GENAU WAS DA ABGEHT! ICH HABE DAS JAHRELANG MITERLEBT! HÖR ENDLICH AUF, MICH AN DER NASE HERUMFÜHREN ZU WOLLEN!", fauchte er weiter. Ich wollte etwas sagen, öffnete den Mund, doch meine Stimmbänder versagten vor der gewaltigen Macht, die mein Meister gerade ausstrahlte. Und seine Wut machte das Ganze auch nicht besser. „Meinst du, ich merke nicht, dass du mit Pferden reden kannst?! Meinst du, ich kriege nicht mit, wie geschärft deine Sinne sind?! Meinst du, ich sehe nicht, in welcher Verbindung du zu dem Falben stehst?! Meinst du, ich habe nicht mitbekommen, was im Sommer in der Arena abgegangen ist?! Sag mal... WIE LANGE WOLLTEST DU MICH NOCH ANLÜGEN??"

Moondancer - Maître des ChevauxWhere stories live. Discover now