22. Froschschenkel

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Mit Felicitas hatte ich unsere dann Trainingseinheit auch abgeschlossen und ging anschließend etwas zu Mittag essen. Es gab diesmal irgendetwas Fleischähnlichem zusammen mit etwas Karottensalat und Gemüse. Als ich Marco schon am Tisch sitzen sah, zog ich misstrauisch die Augen zusammen. „Hast du eigentlich nichts zu tun?", begrüßte ich ihn, denn irgendwie schien er mich immer beim Essen abzufangen. „Soll ich ehrlich sein?", wollte er wissen und sah schmunzelnd zu mir hoch. „Natürlich. Ich mag Ehrlichkeit. Meistens jedenfalls, wenn die Wahrheit nicht so schlimm ist."

„Ich habe auf dich gewartet." Ich hielt inne, meine Hand verweilte am Schrankgriff, aus dem ich gerade einen Teller holen wollte. „Und wieso?" „Es ist doch schön, wenn du nicht allein essen musst, oder?" „Du versuchst dich doch nur, vor der Arbeit zu drücken.", grinste ich und nahm mir endlich einen Teller, den ich anschließend mit dem Essen füllte. Beim tierischen Teil der Mahlzeit warf ich jedoch einen argwöhnischen Blick in den Topf. Irgendwie sah das merkwürdig aus. „Sicher, dass das gut ist?", wandte ich mich an Marco und deutete in das Gefäß. Dieser nickte. „Schmeckt wahnsinnig gut, probier es mal!" „Ich vertraue dir.", meinte ich noch argwöhnisch und setzte mich dann mit meinem Essen an den Tisch. So ganz traute ich dem unförmigen Stück Tier, was ein wenig an die Chicken Wings von Burger King erinnerte, nicht ganz.

„Aber jetzt raus mit der Sprache. Warum sitzt du noch hier?", versuchte ich ihn zum reden zu bewegen, obwohl ich es mir vorhin eigentlich selbst beantwortet hatte. Währenddessen schnitt ich mir ein Stück von dem unbekannten Essen ab. Ich wusste immer noch nicht, was ich davon halten sollte. „Wie gesagt, ich will nicht, dass du allein hier sitzen musst." Ich steckte mir das Fleisch in den Mund und... es schmeckte erstaunlich gut. Ein wenig wie frittiertes Hühnchen, nur noch etwas besser. „Da steckt doch mehr dahinter...", meinte ich, als ich geschluckt hatte. „Und? Schmeckt dir das?", wechselte Marco jedoch das Thema und deutete, mit einem breiten Grinsen im Gesicht, auf meinen Teller. Sofort ließ ich die Gabel fallen. Dieser Gesichtsausdruck sprach Bände. „Was zur Hölle ist das?!", bohrte ich zweifelnd nach. „Froschschenkel. Gut, oder?", klärte er mich endlich auf, was mich jedoch nicht so freute. „Ihhhh!", entfuhr es mir und entsetzt, über das, was ich gerade eben genüsslich  verspeist hatte, schob ich den Teller von mir. „Dankeschön. Jetzt habe ich keinen Hunger mehr!", jammerte ich und sah das Gericht angeekelt an. „Es hat dir doch geschmeckt!", mein Gegenüber brach in schallendes Gelächter aus. „Das ist typisch Deutsch. Was ihr nicht kennt, esst ihr nicht.", brachte er unter Atemnot hervor.

Beleidigt verschränkte ich die Arme vor der Brust. „Im Gegensatz zu Euch sind wir auch nicht ganz so kaltblütig gegenüber den hübschen, grünen Tierchen. Die bekommen bei uns sogar Hilfe beim Straßenüberqueren... Moment... das waren Kröten. Die sind viel zu goldig, um sie zu verspeisen!", verteidigte ich meine Ehre. „Ja, deswegen esst ihr auch Lämmer. Aber ernsthaft jetzt. Das ist doch lecker. Stell dir einfach vor, es sei ein gutes Hühnchen.", grinste mein Gesprächspartner und nickte zu dem Teller. Wie auf Bestätigung knurrte mein Magen nochmal und widerwillig nahm ich mir mein Essen zurück. „Ich hasse dich, Marco. Ernsthaft.", murmelte ich gekränkt und schob mir ein Stück Kartoffel in den Mund. Wir wussten aber beide, dass ich es nicht so meinte. Dafür hatte ich den braunhaarigen, jungen Mann mit den intensiven, hellblauen Augen, viel zu lieb gewonnen.

~

Manchmal muss man einfach rückwärtsgehen, um am Ziel anzukommen. Alles vergessen, was man bisher gelernt hatte und nochmal von vorne anfangen.

Das war Marios Anweisung heute. Mein Meister hatte mir nämlich akutes Sprechverbot erteilt, da er allmählich dahinter kam, dass ich auf sprachliche Hilfen fixiert war und Vito sich total auf meine Stimme verließ. Da wir jetzt jedoch wirklich nur Körpersprache zur Verfügung hatten, wurde mein Hengst unsicher und wusste nicht so richtig, was er machen sollte. Und genau da setzte meine Trainingseinheit heute an. Mein Gastgeber erklärte mir mit einer Engelsgeduld, die ich von ihm so gar nicht kannte, die richtigen Hilfen und versuchte meinem Pferd klar zu machen, was wir von ihm wollten. Denn hier erkannte ich eine unheimlich große Wissenslücke in Vitos Ausbildung. Ein Fehler, von dem ich ausgegangen sei, ich hätte ihn schon im Anfangsstadium ausgebessert. Ich war davon ausgegangen, der Falbe kenne die körpersprachlichen Hilfen, was in den Grundlagen auch der Fall war, aber ich hatte ihm nie beigebracht, was die Kommandos für erweiterte Dressuraufgaben wie Hinlegen, Steigen oder Seitwärtsgehen waren. Er kannte sie schlicht und einfach nicht. Da konnte ich mit den Unterschenkeln so viel drücken wie ich wollte, Jovito verstand schlichtweg nicht, was ich von ihm wollte.

Moondancer - Maître des ChevauxWhere stories live. Discover now