34 · 𝐕𝐞𝐫𝐥𝐨𝐫𝐞𝐧

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𝐌𝐈𝐓 ganzer Wucht wurde ich mit dem Rücken gegen etwas Hartes geschmettert und ich hörte mehrere Aufschreie und quietschendes Stühlerücken.

Ich stützte mich mit den Armen ab und sah zurück zum Kamin, doch mein Bruder war schon längst weg. Ich spürte einen Druck an meiner Hosentasche und tastete danach. Mein Zauberstab. Lucius hatte mir meinen Zauberstab zugesteckt!
Nach all dem hätte er mich packen sollen und dem Dunklen Lords ausliefern sollen ... hatte er mir soeben das Leben gerettet?

„En-Entschuldigung?" Jemand räusperte sich und ich fuhr herum. Vor mir standen zwei Hosenbeine und ich wischte mir wirre Haarsträhnen aus dem Gesicht, um auch den Rest der Person über mir erkennen zu können.

Eine rundliche alte Dame mit veilchenblauer Rüschenbluse und Hochsteckfrisur blickte mit in die Hüfte gestemmten Händen tadelnd auf mich herab.
„Ja?", krächzte ich.

„Dürfte ich fragen, was Sie in meinem Wohnzimmer zu suchen haben?"

„Dürfen Sie", entgegnete ich und rappelte mich auf, während meine Wangen rot anliefen.

Mein Blick huschte im Raum umher. Ich war wohl in einem riesigen Puppenhaus gelandet. Alle Wände waren mit weißen Tapeten mit violettem Blumenmuster ausgestattet, Kommoden, Beistelltischchen und Regale mit weißen Strickdeckchen dekoriert und bestimmt zehn riesige Blumensträuße standen in großen Vasen im Raum verteilt. Sofa und Sessel waren mit Staub und Ruß benetzt, was vermutlich meine Schuld war. Ich wollte gar nicht wissen, wie ich aussehen musste. Eine Handvoll weiterer älterer Damen stand zusammengedrängt in einer Ecke, eine Hand auf dem klopfenden Herzen und mit weit aufgerissenen Augen.

„Sieht das hier vielleicht aus wie ein Freizeitpark?", fauchte die Frau, „Denken Sie etwa, es ist Tag der offenen Tür?"

„Entschuldigen Sie, es war nicht meine Absicht-"

„Soso, es war also nicht Ihre Absicht, meiner halben Teegesellschaft einen Herzinfarkt zu geben und mein Haus zu verwüsten?!" Mit einer Geschwindigkeit, die ich ihr auf keinen Fall zugetraut hätte, zückte sie ihren Zauberstab und hielt ihn drohend auf mein Gesicht. „Es ist auch nicht meine Absicht, Sie im hohen Bogen und mit einem gepfefferten Arschtritt aus meinem Haus zu werfen!"

Erschrocken stolperte ich zurück und hob abwehrend die Hände. Ich war so überrumpelt, dass ich gar nicht wusste, was ich tun sollte.

„Rose", sagte eine ruhige Stimme und ein junger Mann kämpfte sich aus dem schockierten Damenknäuel heraus. „Das reicht", sagte er und legte der rundlichen Frau eine Hand auf die Schulter, „Du hast ihr genug Angst eingejagt, mehr ist nicht nötig."

Rose, die wütende Dame, schüttelte seine Hand ab. „Oh, das glaube ich nicht! Sie hat so ein freches Glitzern in den Augen, das sehe ich ganz genau!"

Der junge Mann warf mir einen Blick zu. Prüfend glitten seine Augen über mein mit Ruß bedecktes Gesicht und die staubige Kleidung. „Das ist kein Grund, ihr diese Augen ausstechen zu wollen", meinte er und nahm Rose schließlich den Stab aus der Hand.

Entrüstet sah sie ihm dabei zu, wie er ihn sicher in seiner Hemdtasche verwahrte. „Das ist ja wohl die Höhe, Allerick!"

Allerick verdrehte die hellen Augen und wandte sich dann schließlich mir zu. „Es sah nicht so aus, als hätten Sie geplant hier auszusteigen."

Ich schüttelte den Kopf. „Ich wurde - ich bin gestolpert und plötzlich hier gelandet." Ich sah Rose an. „Es tut mir wirklich aufrichtig leid." Sie zuckte mürrisch mit dem Mundwinkel.

„Sie ist bestimmt eine kriminelle Ausreißerin, sieh dir doch ihre Schuluniform an!", zischte Rose an Allerick gewandt, als könnte ich sie nicht hören, und deutete anklagend auf meine Slytherin-Krawatte und meinen Umhang, „Und dazu noch eine Slytherin ..." Als hätte sie in eine Zitrone gebissen, verzog sie den Mund.

Ich schüttelte seufzend den Kopf, ehe ich mich an ihr vorbeidrängen wollte. „Tut mir leid für die Umstände, aber ich muss- "

Ja, was musste ich eigentlich tun? Wo sollte ich hin? Ich stockte in meiner Bewegung. Nach Hogwarts konnte ich nicht gehen. Was, wenn dort Moira wartete? Oder der Dunkle Lord noch mehr Spione verteilt hatte? Nach Hause konnte ich selbstverständlich auf keinen Fall und ich hatte keinerlei Verwandte, bei denen ich unterkommen konnte, da alle dem Dunklen Lord untergeben waren. Man würde mich ihm sofort ausliefern, wenn ich dort auftauchen würde.

Was zur Hölle sollte ich tun? Ich war eine minderjährige Flüchtige ohne Strohhalm, an den ich mich klammern konnte. Panisch begann mein Herz schneller zu klopfen. Ich war obdachlos. Komplett auf mich alleine gestellt.

„Geht ... geht es Ihnen gut?"

Eine Hand berührte mich sachte an der Schulter und ich zuckte erschrocken zusammen. Allerick sah mit gerunzelter Stirn auf mich herab.

„Ja-", antwortete ich schnell, „Ja, ich ... also ..." Ich brach ab und schluckte, „Ich muss gehen, Entschuldigung." Mit diesen Worten drängte ich mich an ihm vorbei und verließ das Wohnzimmer.

Der Flur war noch kitschiger gestaltet. Überall hingen Bildchen von Blümchen, Wiesen, Blumensträußen, glückliche Hündchen mit Blumen im Maul. Suchend sah ich mich um.

„Die Tür ist ein Zimmer weiter", meinte Rose hinter mir und verschränkte grimmig die Arme vor dem ausladenden Busen.

„Danke", gab ich zurück und lief noch roter an. Eilig stürmte ich in das nächste Zimmer und schließlich hinaus.

Ich stolperte auf eine breite Straße mit viel Autoverkehr. Nur knapp raste ein Auto an mir vorbei und erschrocken sprang ich auf den schmalen Gehweg zurück. Reihenhaus um Reihenhaus erstreckte sich vor und hinter mir und im Schein der Nachmittagssonne ragten rauchende Schornsteine in den Himmel.

Spaziergänger und Radfahrer wichen mir aus und warfen mir seltsame Blicke zu. Ich sah an mir herab. Noch immer rußbedeckt und mit Unhang und Krawatte, stand ich im starken Kontrast zu den mit Mänteln und Schals bekleideten Passanten.

„Ist heute Fasching oder was?", rief mir jemand feixend zu, als er sich an mir vorbei schubste.

Ich fühlte mich komplett fehl am Platz und drängte mich eng an einer Hauswand vorbei, um schnellstmöglich in eine Seitengasse zu gelangen. Dort schlüpfte ich aus meinem Umhang und riss mir die Krawatte vom Hals. Mit der weichen Innenseite des Umhangs wischte ich mir den Ruß so gut es ging aus dem Gesicht, wobei ich eine dreckige Pfütze als Spiegel benutzte.

Danach ließ ich mich auf einem leeren umgestürzten Weinkasten nieder und stützte das Kinn auf die Hand.

Und jetzt? Was jetzt, Elle?

Sollte ich vielleicht einen Brief schreiben? An Dumbledore? Ihn um Hilfe bitten? Doch was sollte er schon tun? Heute war das erste Mal gewesen, dass er mit mir persönlich gesprochen hatte.

Oder Severus? Nein, er stand vermutlich unter dauerhafter Beobachtung der Todesser, wenn er Evans und Potter beschatten sollte. Sirius wäre die nächste Möglichkeit. Doch dann wäre er in Gefahr, ins Visier des Dunklen Lords zu kommen und Sirius war kein Mensch, der seine Taten gut überdachte. Er stürzte sich lieber Hals über Kopf ins Geschehen.

Meinem Herzen wurde ein Stoß versetzt, als mir klar wurde, wie wenigen Menschen ich in meinem Leben tatsächlich vertraute.
All die Jahre war ich praktisch alleine mit meinen Geheimnissen und Problemen klargekommen, doch jetzt spürte ich die Folgen davon mehr und mehr.

Ich war praktisch verloren in einer Welt, in der ich vom Dunklen Lord gejagt wurde und zu niemandem flüchten konnte.

*

𝐚𝐛𝐨𝐮𝐭 𝐛𝐨𝐚𝐬𝐭 & 𝐛𝐞𝐭𝐫𝐚𝐲𝐚𝐥 | 𝐑𝐮𝐦𝐭𝐫𝐞𝐢𝐛𝐞𝐫 Место, где живут истории. Откройте их для себя