Flügel

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Oben ist die Farbe von Nemesis' Flügeln

Als Nemesis aufwachte, spürte er ein seltsames Gefühl der Zufriedenheit. So befreit und unbeschwert hatte er sich schon lange nicht mehr gefühlt. Wenn nicht sogar noch nie. 

Es dauerte eine Weile, bis ihm alles wieder einfiel. Seine Flügel. Er hatte nicht gedacht, dass Serafyn so...unbekümmert sein würde. Eher hatte er erwartet im Heerlager zu landen oder vielleicht von den Mauern der Festung geworfen zu werden, aber nicht, dass ihn so akzeptierte. Er hatte sich sein Leben lang gefragt, was er eigentlich war. Seine Mutter hatte ihm immer gesagt, er sei ein Halbling, sein Vater hatte ihn immer Drachenbrut oder geflügelter Bastard genannt und für seine Halbbrüder war er einfach nur Nemesis gewesen. 

Sie hatten ihn oft vor den Wutausbrüchen ihres Vaters beschützt und ihn gesucht, wenn er mal wieder in den Wald fort gelaufen war. Für Serafyn war er ein Drache. Er bezweifelte zwar, dass er sich auch verwandeln konnte. Wie denn auch? Vermutlich taten alle Drachen das irgendwann aus Instinkt. Es fühlte sich gut an, seine Flügel endlich an die Luft lassen zu können. Ein Teil von ihm hatte sich immer gefesselt gefühlt, als man begonnen hatte seine Flügel abzubinden. Als Kind hatte er sie einfach unter großen Hemden verstecken können, aber als er begonnen hatte erwachsen zu werden war es schwerer geworden. Er hatte auch nur noch weite Kleidung tragen können, ansonsten hätte man vielleicht die Knochen hervorstehen sehen und Verdacht geschöpft. 

Jetzt, wo ein Problem mehr oder weniger beseitigt war, begann er Bries Worte zu verstehen. Sie prägten sich ein seinen Kopf. Die Jungen starben. Jeder einzelne von ihnen. Er konnte sich nicht vorstellen, dass es ein schneller, schmerzloser Tod sei. Oder?

Nemesis richtete sich auf und gähnte. Erst jetzt bemerkte er den schlafenden Drachen neben ihm. Serafyn lag bäuchlings da, das Gesicht vergaben in einem Kissen und dieses fest umschlungen. Er hatte gar nicht mehr mitbekommen, dass der Prinz sich das Hemd ausgezogen hatte. 

Waren alle Drachen so muskulös gebaut? Er war es ja mal auf jeden Fall nicht! Nemesis verließ das warme Bett und stellte sich vor den großen Spiegel, neben dem Schrank. Sein Haar war etwas zerzaust und er sah müde aus. Aber besser als sonst. Seine Wangen waren nicht mehr ganz so eingefallen und seine Haut nicht mehr so fahl. Die regelmäßigen Mahlzeiten wirkten wahre Wunder. 

Nemesis drehte sich etwas herum, sodass er seine Flügel im Spiegel begutachten konnte. Sie waren zerknittert und hingen herab. Sie sahen nicht einmal annähernd so schön aus wie Serafyns, oder Bries. Als er mit einer Hand über die Membrane strich spürte er es nicht einmal. Alles, was er von seinen Flügeln wirklich fühlte war ihr Gewicht. 

Sie schienen sich aber tatsächlich beriets etwas entfaltet zu haben. Sie lagen nicht mehr so eng an sondern hatten etwas an Volumen zugenommen. Als er Asterin zum ersten Mal gesehen hatte, hatte er an seinen Vater denken müssen und wo dieser wohl gerade war oder ob er überhaupt noch lebte. Dabei hatten die Flügel des Drachen nicht ganz dieselbe Farbe wie seine. Asterins Flügel waren eher so weiß wie Schnee, seine hatten eher etwas von einer Perle. 

Ein leises Klopfen an der Türe ließ ihn Inne halten. Angst machte sich in ihm breit. Was wenn es Serafyns Vater war? Oder Brie? Oder sonst wer, der nicht von seiner Herkunft wusste? Er rechnete bereits mit dem schlimmsten, aber es war bloß Brie, der gar nicht so überrascht wirkte, wie angenommen, als er ihn sah. Er trug eine Stapel Kleidung bei sich und öffnete dann den Schrank. 

Nemesis folgte dem Drachen stumm mit seinen Augen und beobachtete jede einzelne Bewegung. Brie räumte die Kleidung ein und stemmte dann die Hände gegen die Hüften. 

,,Also, ich muss sagen, das ist ein äußerst berechtigter Grund, dich nicht von mir umziehen zu lassen."

Etwas in Nemesis sank erleichtert in sich zusammen. Bries Blick wanderte zu seinem Bett, wo Serafyn sich jetzt ausgestreckt hatte und sich noch breiter machte. 

Der Drache hob skeptisch eine Augenbraue und sah zurück zu ihm. Im ersten Moment verstand er nicht ganz, worauf Brie hinauswollte. 

,,Oh! Nein...wir....haben nicht...ich wüsste doch nicht einmal wie, ich meine...", er hob abwehrend die Hände und versuchte irgendetwas sinnvolles hervor zu bringen. Der Drache lachte leise und schüttelte den Kopf. 

,,Komm mal mit.", Brie führte ihn und das Badezimmer und nahm das Körbchen hoch, in dem viele kleine Ölfläschchen lagen. 

,,Das macht es leichter. Deshalb ist es ja auch hier. Wie und vor allem wo wirst du dir doch wohl denken können, oder?", Brie legte ihm eines der Fläschchen in die Hand und schmunzelte amüsiert. Nemesis wurde rot und schlug sich die Hand vor den Kopf. Warum hatte er sich das nicht denken können? Das hätte ihm diesen peinlichen Moment sicher erspart. 

,,Aber warum sind so viele davon hier? Oder ist das in jedem Badezimmer so?"

,,Nein, nur in den Zimmern der Jungen. Auch wenn die ganze Sache mit dem Kind jetzt ins Wasser fällt, kann es gut sein, dass du das noch brauchen wirst. Soll ich dir zeigen wie das geht?"

Brie dachte doch nicht wirklich, dass er vorhatte mit Serafyn zu schlafen? Der Prinz war ein Mann, wie er und im Normalfall war das doch sogar verboten, oder etwa nicht? Ein klares Gesetz gab es dafür nicht wirklich, aber im Regelfall wurde man entweder verstoßen oder hingerichtet in den Dörfern. 

War das hier vielleicht anders? Naja, verboten sein konnte es ja nicht, wenn Drachen die Körper der Jungen nutzten um sich zu vermehren. Und Cobalt und Crystal waren offensichtlich auch verheiratet. 

,,Das ganze ist nicht so heikel hier. Du darfst vögeln was du willst, solange kein Halbling dabei heraus kommt.", erklärte Brie, der seinen verwirrten Blick wohl bemerkt hatte. 

Er konnte sich dennoch nicht vorstellen, dass er jemals mit Serafyn schlafen würde. Nemesis fand keinen einzigen Grund, der darauf hinwies, dass es sich gut anfühlte. Und das sollte es doch, wenn man nicht bloß eines Kindes wegen miteinander schlief. 

Sein Problem lag nicht daran, dass Serafyn männlich war, er hatte auch als er noch im Dorf gelebt hatte, sich das ein oder andere Mal dabei erwischt, den Sohn des Metzgers ganz nett zu finden. Frauen waren hübsch, aber er hatte sich nie wirklich zu einer von ihnen hingezogen gefühlt. Seine Brüder hatten ihn manchmal damit aufgezogen, dass er selbst wie eine Frau aussah, mit den langen Haaren und seinem schlanken Körper. 

,,Wie geht es dir mit...dem ganzen hier? Es war sicher etwas viel auf einmal.", Brie legte den Kopf schief und stellte das Körbchen wieder auf den Boden. Das Fläschchen in seinen Händen behielt er. 

,,Ich weiß nicht. Ich bin froh, dass ich nicht sterben muss und es tut mir für die anderen Menschenjungen leid, aber das ganze geht mir seltsamerweise nicht allzu nahe. Und das mit Serafyn...er ist sehr nett und ich bin gerne in seiner Nähe. Ich bin ihm auch sehr dankbar für alles.", murmelte er so leise wie möglich, aus Angst Serafyn war vielleicht wach geworden und hörte zu. 

,,Reden wir über etwas anderes. Wie geht es deiner Hand? Du scheinst sie schon wieder bewegen zu können.", Brie deutete auf sein Handgelenk.

Überrascht stellte er fest, dass es tatsächlich nicht mehr weh tat und er es ohne Probleme bewegen konnte. 

,,Wir sind dazu in der Lage unsere Wunden sehr schnell heilen zu können...Hat Asterin irgendetwas gesagt, wie wir deinen Flügeln helfen können?", der Drache runzelte die Stirn und beäugte die dünnen Membrane. 

,,Er meinte nur, dass der Blut Durchfluss erst richtig aktiv werden muss und das konstant. Er meinte, das könnte ein paar Tage dauern.", antwortete Nemesis und folgte Brie, als dieser zurück in das Schlafzimmer ging. Serafyn war wach geworden und sah sich verschlafen um, als wüsste er nicht wo er war. 

,,Ich glaube dafür habe ich etwas. Ich bin gleich wieder da."





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