Drachenblut

Wahrheit oder Lüge

Auf dem Bild ist Circus

Die beiden Drachen zwangen ihn mit dem Oberkörper auf die Steintafel und hielten ihn fest. Einer von ihnen packte ihn am Genick, während der andere seine beiden Handgelenke festhielt und auf seinen unteren Rücken drückte.

Nemesis atmete tief durch und versuchte sein rasendes Herz zu beruhigen. Er spürte wie Circus' Finger über die Membrane seiner Flügel strichen und dann den Stoff des Rückenausschnittes zur Seite schoben. Er erschauderte unter den Berührungen des Drachen und versuchte sich aus dem festen Griff der beiden Wachen zu befreien.

,,Wusstest du, dass das Abtrennen der Flügel kein schneller Prozess ist?", Circus legte ein seltsames Instrument auf der Steintafel ab, direkt vor seinen Augen. Das Metall schimmerte durch das bedingte Licht, das die Fackeln spendeten. Die Schneide hatte eine seltsame gezackte Form, ähnlich der Instrumente, mit denen Menschen die Bäume fällten.

Ein Finger strich entlang der Stelle, an jener die Membrane mit seiner Hat zusammenflossen. Ein eisiger Schauer lief über seinen Rücken hinab und Nemesis versuchte sich zu wehren.

,,Diese Stelle hier wird mit einem Messer durchgeschnitten. Die Membrane sind sehr dünn und halten nicht viel aus.", Circus fuhr weiter nach oben, wo sich die Knochen seiner Flügel befanden, ehe er fortfuhr: ,,Aber das hier, ist nicht so leicht zu durchbrechen. Dafür braucht man das hier."

Der Drache tippte auf das seltsame Instrument und nahm es in die Hand. Er würde doch nicht etwa tatsächlich...? Das Seil, das seine Flügel zusammen heilt wurde geteilt und er spürte die Erleichterung, als seine Flügel nicht mehr ein eine unnatürliche Position gezwungen wurden.

,,Warum hat Frey seine Flügel noch?", Nemesis zwang sich selbst dazu ruhig zu bleiben. Er versuchte das Zittern seiner Stimme zu kontrollieren und atmete tief durch.

,,Vermutlich hätte er das nicht überlebt.", die Leichtigkeit mit der Circus sprach war beinahe schon angsteinflößend.

,,Wegen dem Kind?"

,,Unter anderem...Warum interessierst du dich so sehr für die Flügel anderer? Du liegst gerade hier auf dem Tisch, niemand sonst.", zum ersten mal glaubte Nemesis tatsächlich so etwas wie Verwirrung in der Stimme des Drachen zu hören.

Nem schwieg eine Weile und dachte nach. Er hatte Angst, ja. Nicht vor den Schmerzen, sondern davor seine erst vor kurzer Zeit gewonnene Freiheit zu verlieren. Er würde nicht mehr mit Daemon fliegen können, nicht selbst zumindest. Die Flüge mit Serafyn würden auch nicht mehr möglich sein, nicht so wie jetzt. Aber ändern konnte er nichts. Sich zu wehren war sinnlos, betteln würde er nicht. Nicht vor Circus. Diesen gefallen würde er dem Drachen nicht tun.

,,Irgendwann werden deine Flügel an einer Wand hängen, Circus. Und wenn ich meine dafür opfern muss, ist es mir das wert."

Der Drache lachte leise: ,,Eine Schande, dass ich dich nicht vor Serafyn gefunden habe. Deine spitze Zunge und das hübsche Gesicht sind eine gute Kombination um ein Spion zu werden. Oder ein...Auftragsmörder."
Circus winkte die beiden Drachen ab und er spürte wie der Druck auf seinem Oberkörper verschwand. Nemesis richtete sich langsam auf wandte den Blick nicht von der Steintafel ab. Er wagte es nicht aufzusehen. Die Wachen räumten die Tafel ab, die Werkzeuge verschwanden glücklicherweise aus seinem Sichtfeld und er atmete erleichtert auf.

,,Ich hätte dir einen Nutzen gegeben und keine Bruthenne aus dir gemacht.", er spürte wie Circus mit einer seiner Haarsträhnen spielte und so dicht neben ihm stand, dass Nemesis den Atem des Drachen auf seiner Wange spüren konnte. Als er versuchte etwas Abstand zwischen sie zu bringen, packte Circus ihn und drehte ihn herum.

,,Du wirst den Rest deines Lebens eingesperrt in einer Festung verbringen mit der einzigen Aufgabe, Thronfolger herauszupressen. Ein wunderschöner Gedanke, nicht?", die Finger des Drachen bohrten sich in sein Kinn, so fest, dass sie Abdrücke hinterließen.

,,Spar dir diese sinnlosen Lügen für jemand anderen.", presste Nemesis hervor und versuchte mithilfe von seinen Armen den Drachen von sich zu stoßen.

,,Lügen? Das ist die Wahrheit, Nem. Sie dir doch mal Crystal an. Er verbringt den ganzen Tag hinter den Schlossmauern und achtet auf Nyx. Ich bin mir sicher, dass dir niemand gesagt hat, wie oft Crystal schwanger war und das Kind verloren hat, weil sein Körper noch immer unter den Strapazen der vorigen Schwangerschaften gelitten hat und niemand hat sich dafür interessiert."

Circus mochte zwar recht damit haben, dass Crystal die meiste Zeit im Schloss verbrachte, aber der Rest war gelogen. Es mussten einfach Lügen sein. Nem konnte sich nicht vorstellen, dass weder Brie, noch Cobalt noch Serafyn sich um Crystals Wohlergehen gesorgt hatten. Woher sollte Circus das denn auch wissen? Durch seine Spitzel? Durch Vermutungen? Er konnte es gar nicht wissen...

,,Und jetzt? Erwartest du von mir, dass ich alles aufgebe und bei dir bleibe? Weil du mich vor einer schrecklichen Zukunft bewahrst und gerettet hast? Das kannst du doch gar nicht ernst meinen.", fauchte Nemesis und stieß den Drachen von sich.

Circus schnaubte amüsiert und richtete sich vor ihm auf. Die blutroten Flügel schimmerten im Fackellicht und wirkten wie zwei dunkle Schatten hinter dem Drachen.

,,Es wird nicht mehr viel übrig bleiben, wenn ich mit allem fertig bin und was dich betrifft, dich behalte ich als Trophäe.", Circus beugte sich über ihn und flüsterte ihm ins Ohr: ,,Am besten fängst du also schon einmal damit an, mein Bett warm zu halten, wie eine gute Bruthenne es tun sollte."

Circus ließ ihn los und kehrte ihm den Rücken zu, als sich die Tore öffneten und ein Bote eintrat.: ,,Der Wyvern ist eben eingetroffen."

Nemesis' Augen weiteten sich. Das durfte nicht wahr sein!

,,Bringt ihn zurück in seine Zelle. Ich habe etwas wichtiges zu erledigen.", Circus folgte dem Boten und ließ ihn mit den beiden Wachen zurück.

,,Ich dachte schon der verschwindet nie.", die beiden Drachen nahmen ihre Helme ab und er starrte in Kaz' und Arions Gesichter. Er blinzelte einige Male, um sicher zu gehen, dass seine Augen ihm keinen Streich spielten. Warum hatten sie nicht früher eingegriffen?!

,,Das war deine schlimmste Befürchtung?", Kaz trockener Ton ärgerte ihn jetzt schon.

,,Warum habt ihr ihn nicht getötet?! Ihr hattet so oft die Chance dazu! Er wird meinen Vater töten!", Nemesis spürte wie Verzweiflung und Panik sich in ihm ausbreiteten. Das durfte einfach nicht passieren.

,,Hätten wir auch nur Anstalten dazu gemacht ihm zu nahe zu kommen, hätte er Verdacht geschöpft und die Wachen vor den Toren und noch weitere gerufen. Ich habe den Befehl erhalten, dich in Sicherheit zu bringen und nicht dafür zu sorgen, dass wir alle hingerichtet werden.", Kaz setzte den Helm wieder auf und packte ihn etwas grob am Oberarm.

Nemesis riss sich los und sah hoffnungsvoll zu Arion.

,,Wir sollen dich hier wegbringen. Sobald du in Sicherheit bist, helfen wir Severin. Du bist Circus' Druckmittel. Wenn wir dich also wegbringen, sind wir nicht mehr an Circus' Bedingungen gebunden.", Arion legte eine Hand auf seinen Rücken ehe er fortfuhr: ,,Am besten suchen wir nach einem Fenster."

An dem was Arion sagte war durchaus etwas dran. Auch wenn er es nicht gerne zugab, in seinem jetzigen Zustand wäre er keine große Hilfe. Weder konnte er sich verwandeln noch war er wieder bei ganzen Kräften. Er war eher ein Hindernis.

Die Wachen schenkten ihnen keinerlei Aufmerksamkeit, als die beiden ihn durch die dunklen Gänge führten. Es kostete ihn einiges an Mühe mit den schnellen Schritten der anderen mithalten zu können.
,,Wir haben es eilig. Sobald sich einer von uns verwandelt, wird das mit Sicherheit einiges an Aufmerksamkeit erregen.", meinte Kaz, als hätte er seine Gedanken gelesen.

,,Warum müssen wir uns überhaupt verwandeln? Wenn wir zu Fuß verschwinden, erregen wir keine Aufmerksamkeit.", Nemesis blieb abrupt stehen und sah zwischen den beiden hin und her.

,,Wir wollen Aufmerksamkeit erregen. Circus muss seine Untergebenen aufteilen, wenn er sich nicht zwischen Severin und dir entscheiden möchte.", antwortete Arion leise und öffnete ein Fenster.

,,Im besten Fall überleben wir alle."