Schwere Entscheidungen

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Nemesis starrte in Circus' entsetztes Gesicht. Er ließ den Dolch los und taumelte einen Schritt zurück. Die nächsten Sekunden fühlten sich an wie Minuten. Im Augenwinkel erkannte er, wie sein Vater sich verwandelte und sich um die beiden Wachen kümmerte. 

Wie in Trance beobachtete er den Drachen dabei, wie er auf den Dolch in seiner Brust sah und dann zu ihm. 

,,Wer...hätte sich das...gedacht.", Circus zog die Waffe aus seinem Körper und ließ sie klirrend zu Boden fallen. Nemesis zuckte zusammen, als der Drache zu mit einem dumpfen Aufprall auf dem Stein landete. 

,,Nemesis.", er hörte die Stimme seines Vaters von weitem zu ihm durchdringen. Er konnte sich nicht von dem toten Körper losreißen. Er hatte jemanden getötet. 

,,Nemesis!", das Schütteln riss ihn aus seiner Schockstarre und er blickte in das Gesicht seines Vaters, welcher sich wieder verwandelt hatte und einen ähnlichen Mantel trug wie er. 

,,Wir müssen hier weg, bevor jemand etwas mitkriegt."

Im Gesicht seines Vaters klebte Blut, jenes von den Wachen. Nemesis nickte leicht und warf einen letzten Blick auf Circus regungslosen Körper. 


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Nemesis erinnerte sich nur wage an den Flug zurück ins Schloss. Serafyn hatte einige Male versucht ein Gespräch mit ihm zu beginnen, was nur mäßig funktioniert hatte. Crystal und Cobalt waren ihnen sofort entgegen gekommen und er hatte sogar eine herzhafte Umarmung von letzterem bekommen. 

Daemon lag endlich wieder in seinen Armen und schlief. Artemis hatte gemeint, er hätte die letzten Tage kaum geschlafen oder gegessen. 

,,Wie fühlst du dich?", Serafyn setzte sich an den Bettrand und strich ihm eine Haarsträhne hinters Ohr. 

Wie fühlte er sich denn? Auf einer Seite war er erleichtert und froh wieder zuhause zu sein und auf der anderen fühlte er sich grauenhaft. Vielleicht war es gar nicht nötig gewesen, Circus zu töten, aber eine Wahl hatte er nicht wirklich gehabt. 

Vielleicht war es die Art gewesen, wie Circus ihn angesehen hatte, die ihm so zu schaffen machte. Hätte er Circus in seiner Drachenform getötet, würde er sich nicht so grauenhaft fühlen. 

,,Ich weiß es nicht. Ich fühle mich grauenhaft und erleichtert zugleich. Vielleicht brauche ich einfach ein wenig Zeit, um das alles zu verarbeiten."

Serafyn nickte leicht und nahm Daemon an sich. 

,,Ich weiß nicht, ob du das hören möchtest, aber du hast sehr vielen Drachen einen riesen großen Gefallen getan. Circus hatte im ganzen Land verbreitet sehr viel Einfluss auf noch mehr Drachen. Du hast sie befreit.", Serafyn legte das Baby in die Wiege und legte sich dann zu ihm. 

Auf eine seltsame Art und Weise, fühlte er sich sogar ein wenig besser. Circus hatte indirekt seine Mutter getötet und so viele mehr. Nemesis schmiegte sich an den warmen Körper und schloss für einen kurzem Moment seine Augen. 


Er hatte gar nicht gemerkt, dass er eingeschlafen war. Als er das erste Mal aufgewacht war, befürchtete Nemesis bereits alles nur geträumt zu haben. Aber er war nicht mehr in der Zelle und Serafyn lag bei ihm und hielt ihn fest. Daemon schlief tief und fest in seiner Wiege, bäuchlings und alle viere von sich gestreckt und seine kleinen Flügelchen dienten ihm als Decke. Er würde mit Frey sprechen, sobald das möglich war, auch wenn er sich noch nicht ganz im Klaren darüber war, worüber er sprechen wollte. Nemesis war sich sicher, dass sein Onkel ihn nicht absichtlich in eine Falle gelockt hatte. Zumindest hoffte er das. 

Nem verließ vorsichtig das Bett um Serafyn nicht auch zu wecken und verließ leise seine Gemächer. Daemon würde so schnell nicht aufwachen und er wollte dem Drachen nicht seinen wohlverdienten Schlaf rauben. 

Auch wenn er nie wirklich begeistert von der sommerlichen Hitze gewesen war, gab es nichts schöneres als laue Sommernächte. Ohne es wirklich zu beachsichtigen trugen seine Füße ihn nach draußen, in den Garten. Das Gras unter seinen Füßen war feucht, vermutlich hatte es vor kurzem geregnet. Nemesis setzte sich auf die bereits getrocknete Bank vor dem kleinen Teich und atmete tief durch. Es fühlte sich einfach nicht real an, hier zu sitzen, in Sicherheit. Der dunkle Himmel war voller Sterne und der Vollmond spiegelte sich auf der Wasseroberfläche des Teiches. Seine fahlen Strahlen spendeten nur bedingt Licht. 

,,Ich nehme mal an, du kannst auch nicht schlafen.", er war überrascht, als Artemis etwas entfernt von ihm stand und auf den Teich starrte. 

Nemesis richtete sich auf und rutschte ein wenig zur Seite. Der Drache schenkte ihm ein knappes Lächeln und nahm stumm Platz. 

,,Ich bin aufgewacht und versuche mich irgendwie zu vergewissern, dass ich nicht bloß träume.", gestand Nem leise und strich sich eine lose Haarsträhne hinters Ohr. Er musste furchtbar zerzaust aussehen. Immerhin war der Wyvern sofort nach draußen gegangen, ohne auch nur eine Sekunde damit zu verschwenden einen Blick in den Spiegel zu werfen.

,,Sobald Daemons Geschrei dich morgen früh weckt, weißt du, dass du nicht bloß träumst."

,,Serafyn hat mir gesagt, du hättest auf Daemon aufgepasst, während ich...weg war. Danke."

,,Nur einen Tag, nichts zu danken. Es war auf jeden Fall eine einzigartige Erfahrung, wenn man bedenkt, dass ich nie ein Kind haben werde.", Nemesis hörte eine gewisse Traurigkeit aus den Worten des anderen heraus. Er vergaß manchmal, dass Artemis ein Drache war und zwei männliche Drachen keinen Nachwuchs bekommen konnten. 

,,Was ist eigentlich mit Ciel passiert?", von dem Menschenjungen war eigentlich nie mehr gesprochen worden. 

,,Er ist wieder zuhause, dort wo er auch hin gehört. Dante hat ihn auf meinen Befehl hin zurück gebracht. Auch wenn uns das eine große Menge an Ärger beschafft hatte, war es das Richtige.", Artemis überschlug die Beine und legte den Kopf in den Nacken. Sein langes Har streifte dabei das Holz der Bank. Es fiel wie schwarze Tinte über seinen Rücken. 

,,Warum bist du eigentlich wach? Ich bin mir sicher, dass es nicht Dante ist, der dich wach hält."

Artemis atmete hörbar aus: ,,Doch, in einer gewissen Hinsicht schon. Wir verlassen morgen die Hauptstadt. Dantes Pflicht ist es, hier zu bleiben und seinem König zu dienen. Ich will weder Anaya, noch ihn verlassen, für einen werde ich mich aber entscheiden müssen. Falls meine Eltern das zulassen.", der Drache wirkte jetzt furchtbar niedergeschlagen. Die Bindung zwischen Zwillingen war eine viel stärkere, als normale Geschwister zu einander hatten. Soviel wusste auch Nemesis. 

Er hatte seine Brüder auch verlassen für Serafyn. Es war ihm jedoch nur so leicht gefallen, weil sie im Gebirge lebten, nahe bei ihm, wie er zuerst gedacht hatte. Hätte er gewusst, dass sich die Dinge so schnell ändern würden, wäre es ihm sicherlich auch sehr schwer gefallen, seine Familie zu verlassen. 

,,Wissen sie denn von dir und Dante?"

,,Nein. Du, meine Schwester, Serafyn und Arion sind die einzigen die davon wissen."

,,Wie haben sie es herausgefunden?"

Zu seiner Überraschung schnaubte Artemis amüsiert und schlug sich beide Hände vors Gesicht, als wäre es ihm furchtbar peinlich darüber zu sprechen. 

,,Meine Schwester hat es einfach gemerkt. Arion wurde von Dante eingeweiht und Serafyn...der arme hat uns bei...sehr privaten Dingen erwischt, weil er nicht wusste, wie man anklopft und Dante nicht wusste wie man Türen absperrt. Du kannst dir denken, wie unangenehm das für alle drei von uns war."

Nemesis erwischte sich dabei, wie auch er schmunzelte. Er wollte sich gar nicht vorstellen, wie furchtbar peinlich das für Artemis und Dante gewesen sein musste. 

,,Ich glaube, dass Anaya dir sicher nicht böse sein wird, wenn du ihr sagst, dass du hier bei Dante bleiben möchtest.", Nemesis war ein wenig überrascht darüber, dass Artemis so viel mit ihm sprach. Der Drache war immer sehr ruhig gewesen und hatte mit ihm nie mehr geredet, als nötig gewesen war.

,,Ich hoffe du hast recht."





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