Das Gebiet der Seeschlangen

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Nemesis fühlte sich wunderbar. Die warme Luft unter seinen Flügeln war angenehm und nicht so rau wie die kalte, trockene Winterluft. Serafyn flog dicht unter ihm. Der Drache hatte ihm erklärt, dass die Bauchseite von Wyvern und auch von Drachen ungeschützt waren. Die Schuppen dort waren viel weicher und hielten nicht so viel aus, wie jene, die seinen Rücken überzogen. Darum flog Sera auch unter ihm. 

Die Schuppen des Drachen schimmerten wunderschön im Sonnenlicht, wie tausende kleine Saphire. 

,,Willst du dort landen?", Serafyn deutete in Richtung einer kleinen Lichtung mitten im Wald unter ihnen. Ein kleiner See schimmerte im Sonnenlicht nicht weit entfernt. Das Wasser war wunderschön blau. Erst jetzt bemerkte Nemesis, dass er die Hauptstadt und ihre Umgebung noch nie in seinem jungen Leben während des Sommers gesehen hatte. Im blauen Wald war es immer kühl und düster. Selbst die Sommer glichen eher einem frühen Herbst. Nur sehr selten hatte er einen richtigen Sommer erlebt. 

,,Unbedingt!"

Das Gras war genauso weich unter seinen Füßen, wie es aussah und die feuchte Luft um den See herum duftete nach Wald. Nemesis streckte den Hals und schnupperte an der Luft. Es war seltsam plötzlich so viel besser und vor allem mehr riechen zu können. So viele verschiedene Gerüche auf einmal. Waldfrüchte, Blumen, das Gras und das Wasser. Alles roch so eigen.

Serafyn beobachtete ihn und schnaubte belustigt. Der Drache ließ sich am Seeufer nieder und wühlte mit dem Schwanz durch das seichte Wasser. Ein grüner Frosch sprang quakend davon und suchte schnell das Weite. In der Nähe zwitscherten Vögel ein fröhliches Lied und als Nemesis vorsichtig in das Wasser des Sees trat und den Kopf untertauchte, erkannte er ein paar Fische, die hastig davon schwammen. 

,,Du wirkst wie ein Junges, das zum ersten Mal nach draußen darf.", bemerkte Serafyn amüsiert und trat näher an ihn heran. Nemesis schüttelte den Kopf um sich zu trocknen und streckte dann seine gespaltene Zunge heraus. Er hatte bemerkt, dass die Drachen das oft machen um ihre Umgebung sogar schmecken zu können. Der Drache grollte leise. Nem wusste mittlerweile, dass dieses Grollen ein Lachen war. 

Der See war zu klein um darin in dieser Form schwimmen zu können, daher verwandelte er sich kurzerhand und legte schützend die Flügel um seinen nackten Körper. Diese Genugtuung würde er Serafyn nicht gewähren. Noch nicht.

Der Drache blinzelte ihn überrascht an: ,,Du kannst schwimmen?"

,,Ein wenig. Manchmal bin ich mit meinem ältesten Bruder fischen gegangen. Wenn mich dann ein Fisch ins Wasser gezogen hätte, wäre ich sonst ertrunken. Ich habe diese Chancen oft genutzt um meinen Flügeln ein wenig Freiheit zu schenken, wenn wir nachts gefischt haben.", erklärte Nemesis und trat vorsichtig in das Wasser. Es war nun deutlich kälter auf seiner Haut, als auf den schützenden Schuppen. Die meisten Menschen konnten natürlich nicht schwimmen. In jenen Dörfern, die am Meer oder an Seen lagen, war es natürlich üblich, dass man sich über Wasser halten konnte, sollte man aus dem Boot fallen oder ähnliches.

Er erinnerte sich gerne daran, wie er und Sage sich nachts oft raus geschlichen hatten und zu einem nahegelegenen See gelaufen waren. Nachts hatten sie dort manchmal Glück gehabt und tatsächlich einen kleinen Hecht gefangen oder eine Barbe. Nemesis hatte diese Gelegenheiten oft genutzt um sich von seinen vielen Gewändern zu befreien und seinen Flügeln zumindest eine kleine Erholung zu schenken, mit der Hoffnung irgendwann fliegen zu können. Am Seeufer hatte Sage ihm dann schwimmen beigebracht, bei der Kälte im Westen eine nicht allzu angenehme Erfahrung. 

,,Kannst du denn nicht schwimmen?", Nemesis stand nun soweit im Wasser, dass es ihm bis zur Hüfte reichte. Der Boden unter seinen Füßen war steinig und der ein oder andere Kieselstein pikste seine Fußsohlen. Der Drache trat von einem Bein auf das andere und wandte sich beschämt ab. 

Serafyn konnte tatsächlich nicht schwimmen. Nem verschränkte die Arme vor der Brust udn kicherte leise. Endlich etwas, dass der Drache nicht konnte. 

,,Das ist doch nicht tragisch. Der Großteil der Menschen kann das auch nicht. Du bist ein Drache, wenn du zum Schwimmen gemacht wärst, hättest du Flossen.", Serafyn trat mit einer Kralle in das Wasser und schnaubte ihm eine Rauchwolke ins Gesicht.

,,In dieser Form kann ich es, ein wenig zumindest. Aber anders habe ich es nie gelernt. Es war nicht wichtig.", der Drache stieß ihn sanft an und summte, als er Nems Lachen hörte.

,,Stell dir doch mal vor, du würdest als Drache ertrinken."

,,Drachen mit Flügel meiden das Wasser. Wir überlassen dieses Gebiet den Seeschlangen."

Nemesis beobachte Serafyn dabei, wie er sich endlich auch verwandelte und durch das Wasser auf ihn zu watete. Die Sonne schimmerte auf seinen Flügeln und auf der Wasseroberfläche tanzten kleine, blaue Punkte. 

,,Seeschlangen?"

Der Drache blieb vor ihm stehen und strich ihm eine lose Haarsträhne hinters Ohr. Er spürte den Blick des Prinzen auf seinem Körper, wie er immer weiter nach unten wanderte. Serafyn runzelte plötzlich die Stirn und strich mit dem Daumen über die Narbe an seiner Hüfte, die Circus hinterlassen hatte. Sie war nicht allzu groß, aber dennoch gut sichtbar.

,,Woher hast du die?"

,,Circus.", schon wieder schwirrte dieser Name nun in seinem Kopf herum. Er sah ihn wieder vor sich stehen, entsetzt auf ihn herabschauend. Nemesis ballte die Hände zu Fäusten, so feste, dass seine Nägel sich in die Handflächen gruben. 

,,Wie..?", er hatte Serafyn nicht davon erzählt. Womöglich malte dieser sich gerade Szenarien aus, die nicht stattgefunden hatten.

,,Nicht so, wie du gerade denkst. Wir haben auf dem Drachengrat gekämpft und jetzt möchte ich nicht mehr darüber reden. Wir sind bei den Seeschlangen gewesen.", Nemesis sah zu dem Drachen auf. Seras Blick traf seinen, unentschlossen und finster. 

,,Danach ist nichts mehr passiert. Ihr seid rechtzeitig zu meiner Rettung gekommen.", er legte seine Hände um das Gesicht des Prinzen und sah ihm fest in die Augen, als er sagte: ,,Ich bin hier und es geht mir gut."

Nemesis' Blick fiel auf den funkelnden Ring an seinem Finger und er musste unwillkürlich lächeln. 

,,Bald geht es mir noch viel besser.", tatsächlich hatte er selbst auch schon das ein oder andere Mal daran gedacht, Serafyn zum Thema Heiraten anzusprechen. Meistens war der Moment jedoch ungünstig gewesen oder war gar nicht erst gekommen. Bisher hatten sie immer irgendwelche Dinge um die Ohren gehabt. Daemons Geburt, Circus, die Wyvern, sein Vater. Einen Moment der Ruhe hatten sie da kaum gehabt...

Nem war sich nicht sicher, ob Cobalt von dem Ring wusste. Vermutlich würde es wieder reichlich Ärger geben, wenn Serafyn, der Thronfolger der Drachen, die Intention den Wyvernprinzen zu heiraten, bekannt gab. Vielleicht wäre das aber auch ein gutes Bündnis zwischen den beiden Völkern...

Der Wyvern wurde aus seinen Gedanken gerissen, als Sera ihn erst auf die Stirn küsste, dann auf die Wange, dann seine Nasenspitze und schließlich seine Lippen. Er schmiegte sich in die Umarmung des Drachen und presste seinen schlanken Körper gegen Serafyns Muskeln. Nemesis streckte seine Finger nach den blauen Flügelmembranen aus und strich vorsichtig darüber. Sie waren nicht annähernd so zart wie seine und kratzten über die Haut an seinen Fingern. Vor einiger Zeit hatte Sera ihm erklärt, dass die Flügel eines anderen, als eine sehr intime Geste galt. Man ließ nicht jeden an die verletzliche Haut seiner Flügel ran. 

Wenn Nemesis sich richtig erinnerte, hatte der Drache seine Flügel noch nie wirklich berührt. Das ein oder andere Mal vielleicht ohne es zu beabsichtigen, aber davon abgesehen, konnte Nem sich nicht daran erinnern, wie es sich anfühlte. 

,,So gerne ich dich hier und jetzt nehmen würde, ich will nicht riskieren, dass du schon jetzt ein weiteres Kind bekommen musst. Wenn wir früher zurückfliegen, haben wir vielleicht sogar noch etwas Zeit für andere Dinge.", Serafyn drückte ihm einen Kuss auf die Stirn und griff nach seinem Handgelenk, sodass der Wyvern gezwungen war, seine Fingerspitzen von den Drachenflügeln zurückzuziehen. Ein wenig enttäuscht nickte Nemesis. Daran hatte er gar nicht gedacht... Arsen hatte ihnen einen kleinen Vorrat an der seltsamen Kräutertinktur besorgt, die dafür sorgte, dass Nem nicht sofort wieder schwanger wurde, was bei Wyvern offenbar sehr häufig passierte. 

Auch wenn er nicht davon abgeneigt war, irgendwann noch ein Kind zu bekommen, wollte er sicher nicht, dass dies jetzt schon geschah.


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