Die Seeschlangen

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Serafyn hatte die Augen geschlossen und genoss die Ruhe. Nemesis lag mehr auf als neben ihm und malte kreisförmige Muster mit dem Finger auf seine Brust. Etwas beschäftigte den Wyvern. Er konnte förmlich hören wie Nems Kopf arbeitete. 

,,Jetzt rück schon raus damit, Nem.", Sera spürte wie sich der nackte Körper neben seinem verspannte, als der Wyvern sich halb aufrichtete und ihn ansah.

,,Was sind Seeschlangen?"

Der Drache lachte leise. Eigentlich hätte er mit einer anderen Antwort gerechnet, nachdem was sie gerade gemacht hatten.

,,Eine weitere Art von Drachen. Sie haben keine Flügel und manche haben auch keine Beine, sondern Flossen und schlangenartige Körper, mit denen sie durchs Wasser gleiten. Jene, die im Ozean leben, werden riesen groß. Größer als jeder Drache oder Wyvern. Sehr schöne und gleichzeitig unheimliche Kreaturen. Die Bevölkerung des Südens, nahe der Küste, besteht zum Großteil aus Seeschlangen. Vielleicht können wir Artemis und Anaya mal dort besuchen.", Serafyn drückte den Wyvern an sich. Es fühlte sich gut an, Nemesis wieder in seinen Armen halten zu können. 

,,Gibt es noch mehr Drachenarten?", Nem setzte sich auf und sah ihn gespannt an. Manchmal vergaß der Drache, dass der junge Wyvern nicht wie er aufgewachsen war. Nemesis hatte nicht dieselbe Kindheit genießen können wie er und war daher unwissend wie ein Kind. Mittlerweile konnte er bereits gut lesen und ein Wyvern hatte damit begonnen ihm auch das Schreiben beizubringen, kurz bevor er Daemon bekommen hatte.

,,Sehr viele. Manche leben an Land und haben keine Flügel. Manche sehen aus wie glühende Steine. Westlich des Westen spricht man von Drachen, deren Schuppen aus Kristallen bestehen. Ob da was dran ist, weiß ich nicht.", es gab viel zu viele verschiedene Arten von Drachen. 

,,Und welche findest du am schönsten?"

Als ob Nemesis die Antwort zu dieser Frage nicht bereits kannte...

Serafyn richtete sich auf und zog den Wyvern auf seinen Schoß, ehe er sagte: ,,Wyvern mit Flügeln die schimmern, wie die schönste Perle, die du je gesehen hast, mit Schuppen die im Sonnenlicht funkeln, wie die prächtigsten Opale und Augen, die glänzen wie Gold.", Serafyn vergrub seine Nase in den weißen Haarsträhnen des Wyvern und atmete dessen Geruch tief ein. 

,,Das freut mich zu hören.", Nemesis schmiegte sich an ihn und strich mit seinen Fingern durch Serafyns Haar. Einige Minuten verstrichen, in denen sie einfach nur die Nähe zueinander genossen. Der Drache liebte seinen Sohn, das stand völlig außer Frage, doch diese ruhigen, ungestörten Momente zwischen ihnen beiden, gingen Sera schon jetzt ab. 


Etwa zwei Stunden später, kam Artemis zu ihnen und brachte ihnen Daemon wieder. Der kleine Wyvern streckte seine Finger nach den langen, schwarzen Strähnen seines Cousins aus und quietschte traurig, als er sie nicht zu fassen bekam. Das Klopfen hatte ihn aus der Badewanne gelockt, wo er Nemesis zurückgelassen hatte, weshalb er nun bloß mit einem Handtuch um den Hüften vor Artemis stand. 

,,Sieht aus, als hättet ihr eure Zeit ja gut genutzt. Jedenfalls: Er ist vor kurzer Zeit aufgewacht und sicher hungrig. Wir sehen uns dann beim Abendessen.", sein Cousin legte das Baby in seine Arme und schritt dann gemächlich davon. Daemon blinzelte ihn an und strahlte ihn an, als der kleine Wyvern wohl seinen Vater in ihm erkannte. Er hauchte seinem Sohn einen zarten Kuss auf die Stirn und schnaubte amüsiert als Daemon vermutlich unabsichtlich mit den Flügeln flatterte. Die meisten Drachen lernten bereits mit vier oder fünf Jahren sich zu verwandeln und zu fliegen. Er konnte es kaum erwarten seinem Sohn das Fliegen beizubringen. Er erinnerte sich oft daran, wie sein eigener Vater oft stundenlang damit verbracht hatte, es ihm beizubringen. 

Serafyn merkte, wie Daemon langsam unruhig wurde, was vermutlich wirklich am Hunger lag. 

,,Ich glaube Daemon ist hungrig.", meinte der Drache, während er zurück in Richtung Badezimmer trat. Nemesis verließ überraschend schnell die Badewanne und schlüpfte in einen Bademantel, ehe er ihm entgegen kam. Nem nahm den kleinen Wyvern an sich und setzte sich dann in den Sessel vor dem Kamin. 

Der Drache nahm das Handtuch um sich abzutrocknen und schlüpfte dann in frische Kleidung. 

Beinahe synchron sahen Nemesis und er auf, als es ein weiteres Mal an der Türe klopfte. Diesmal trug er immerhin Kleidung. Serafyn zog eine der Decken vom Bett und legte sie so über den Wyvern, dass dieser nur zeigte, was er auch zeigen wollte, ehe er die Türe öffnete.

Serafyn war einigermaßen überrascht, als er in das Gesicht seines Vaters blickte. 

,,Darf ich reinkommen?"

Sera trat zur Seite und ließ seinen Vater eintreten. Er folgte dem anderen Drachen mit seinem Blick, als dieser leise, um Daemon nicht zu stören, Richtung Nemesis schritt. Der Wyvern runzelte die Stirn und warf Serafyn einen fragenden Blick zu. Dieser zuckte bloß mit den Schultern. 

,,Kann ich dir irgendwie helfen, oder wolltest du nur mal nach uns sehen?", Serafyn schloss die Türe und lehnte sich gegen den Kamin. Der Wyvern zog die Decke etwas enger um sich und das Baby in seinen Armen und zog dann die Beine an, sodass der Stoff sowohl ihn selbst als auch Daemon bedeckten. 

,,Artemis wird hier bei uns bleiben. Als Aspen mir das gesagt hat, ist mir eingefallen, dass ich euch beide noch gar nicht gefragt habt, was ihr tun werdet, sobald alles geregelt ist.", sein Vater sah kurz zu Nemesis und dann zu ihm. Darüber hatte er bisher noch nicht mit dem Wyvern gesprochen.

Sie beide waren Kronprinzen und man erwartete von ihnen dieses Erbe auch anzutreten. Daemon wiederum war sein Erbe. Nemesis war der Prinz der Wyvern, dessen sogenanntes Königreich, aus einer geheimen Stadt mit Schloss bestand. Sein eigenes Erbe war anders. Das Land auf dem sie verweilten, die Luft in der sie flogen und das Meer in dem sie schwammen waren sein Erbe. Es würde irgendwann seine Pflicht sein dafür zu sorgen, dass alles und jeder in Frieden miteinander lebten. Das würde er nicht von einer geheimen Stadt aus tun können. Alles sprach eindeutig dafür, dass sie hier bleiben würden.

,,Wir hatten noch nicht wirklich Zeit, darüber zu sprechen. Daemon ist wie ich ein Wyvern und wird nie zu den anderen Kindern am Hof gehören.", sagte Nemesis leise, ehe er selbst antworten konnte. 

,,Man würde es nicht wagen den Erben des Kronprinzen schlecht zu behandeln.", warf Serafyn ein und verschränkte bekräftigend die Arme vor der Brust. Auch wenn er den Ansatz seines Geliebten verstehen konnte, war er nicht bereit dazu, auf sein Erbe zu verzichten und selbst wie ein Aussätziger unter den Wyvern zu leben. Man würde ihn nicht wie den Vater ihres Erben behandeln, sondern wie einen von allen gehassten Drachen. Der Großteil, der hier lebenden Drachen kannten Nemesis und Daemon und behandelten diese auch wie ihre Familie. Von den Wyvern aber konnte er das nicht behaupten.

,,Nein, den Erben des Kronprinzen nicht. Den Sohn eines Wyvern hingegen sehr wohl. Denn das ist das, was man in Daemon sehen wird. Nicht ihren zukünftigen König, sondern den Bastard eines Wyvern. Jeder hier in diesem Raum, außer Daemon, weiß das, und dieser wird es eher früher als später auch wissen.", Nemesis richtete sich auf und setzte sich kerzengerade auf den Sessel. 

,,Nemesis, ich bin mir sicher, dass die Drachen ihn akzeptieren werden. Sie haben gar keine andere Wahl. Du glaubst die Wyvern lieben Daemon, weil sie in ihm deinen Sohn sehen, aber wir wissen beide, wenn er als Drache geboren worden wäre...", Serafyn konnte nicht zu Ende sprechen, da der junge Wyvern aufstand und ihn unterbrach: ,,Dann wäre er tot und hätte nie gelebt. Du versuchst doch nur dich selbst vor unangenehmen Situationen zu schützen. Die Wyvern waren nicht besonders nett zu dir, du musstest das nur ein paar Tage aushalten."

Nem trat näher an ihn heran und blieb etwa einen Schritt entfernt vor ihm stehen, ehe er weiter sprach, leise, aber nicht mehr ganz so beherrscht: ,,Ich lebe seit fast neun Monaten unter den Drachen. Für dich. Ich habe endlich die Chance, meinen Vater kennenzulernen; unter Artgenossen zu leben. Bleib hier wenn du willst, aber du wirst mir das alles nicht nehmen."

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