Sonne und Mond

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Nemesis so lange alleine zu lassen, mit einem fremden Wyvern, fühlte sich furchtbar an. Noch nie war es ihm so schwer gefallen Nem etwas Privatsphäre zu geben. Er war die letzten Tage unterwegs gewesen und hatte ihn vermisst und jetzt musste er noch länger warten, bis Sera endlich seine Zeit mit dem Wyvern bekam.

Er war bereits gespannt darauf, was Nemesis berichten würde, ob er seinen Vater mochte oder ihn am liebsten zur Hölle schicken wollte. Solange Severin keine Probleme machte, war es dem Drachen egal, was davon der Fall war. Nem hatte ihm versprochen, dass sich nichts zwischen sie stellen würde.

,,Keine Sorge, Sera. Er wird sicher nicht weglaufen, und falls er es doch tut, musst du eben dafür sorgen, dass er nicht mehr weglaufen kann.", zwinkerte Arion schief grinsend und setzte sich neben ihn auf einen der Stühle. Dante leistete ihnen Gesellschaft und grunzte amüsiert.

,,Und wie waren die einsamen Nächte ohne mich, Dante?", der grüne Drache schien wohl besonders gut gelaunt zu sein, wenn er jeden ihm Raum neckte.
Dante schnaubte bloß und grinste.

Serafyn war überrascht, als sich die Tore öffneten und tatsächlich Artemis herein kam. Sein Cousin trug die Haare mal nicht offen, sondern hoch zusammengebunden. Als er noch jünger gewesen war, hatten Anaya und er sehr gerne Perlen an den schwarzen Strähnen aufgefädelt.
,,Sie waren nicht so einsam wie deine Nächte.", murmelte Artemis während er sich neben seinem Liebhaber niederließ. Wenn Anaya nicht dabei war, wagte ihr Bruder es manchmal sogar aus ihrem Schatten herauszutreten und man hörte sogar des öfteren seine Stimme.

,,Ist deine Schwester auch hier?", Sera konnte sich kaum vorstellen, dass Mis ohne seine Schwester gekommen war. Nichts konnte sie voneinander trennen, naja, fast nichts zumindest.

,,Sie ist in der Hauptstadt geblieben, hier gibt es ja keine hübschen Drachinnen die sie flachlegen kann. Ich soll dir überwiegend ausrichten, dass ihr Angebot noch immer steht, was auch immer das bedeuten soll."

Serafyn schnaubte. Das klang ganz nach Anaya.

Naja, sie war auch nicht gerade begeistert von der natürlich kalten Gebirgsluft, während Sera nichts mehr liebte als den eisigen Wind unter seinen Flügeln, mal abgesehen von Nem. Es stand völlig außer Frage, dass es etwas gab, das er noch mehr liebte als den Wyvern.

Sobald seine Gedanken wieder Nemesis galten, bahnte sich dieses ungute Gefühl zurück in seinen Kopf. Die beiden Wyvern sprachen schon einige Zeit miteinander, länger, als er eigentlich erwartet hatte. Auch seine Geduld wurde immer weniger. Er wollte Nem endlich für sich haben, nachdem er nur einige Tage weggewesen war. Jede Sekunde, die er nicht mit dem jungen Wyvern verbringen durfte, war reine Zeitverschwendung und zog an seinem Geduldsfaden.

,,Sag mal, Artemis, kennst du dich eigentlich auch so gut aus wie deine Schwester, was Wyvern angeht?"

Überrascht sah sein Cousin auf und runzelte die Stirn: ,,Nicht allzu gut. Nur das, was ich hin und wieder von ihrem Gerede aufschnappe. Möchtest du etwas wissen?"

,,Bei uns Drachen ist es die Blutmondnacht, gibt es etwas ähnliches bei Wyvern?", nein, er meinte nicht eine besondere Sternenanrichtung oder etwas, das sie verehrten, er meinte den instinktiven Drang danach sich verpaaren zu wollen.

Artemis schnaubte amüsiert. Er wusste also ganz genau worauf Serafyn hinaus wollte.

,,Soweit ich weiß, ist das bei Wyvern kein spezieller Tag, sondern eher ein gewisser Zeitraum. Sowas wie Frühlingsgefühle, wenn du weißt was ich meine."


PoV ???:

War es morgens? Oder bereits Abends? Er wusste es nicht. Entweder ging die Sonne nun auf, oder sie ging erst unter. Mehr erkannte er durch das schmale Gitter nicht. Wie lange war er nun schon hier eingesperrt? Jahrhunderte? Jahrtausende? Länger?

Die Zeit war bedeutungslos geworden, seit er aufgegeben hatte. Seit er sich aufgegeben hatte. Sie ging vorbei und Monate wurden zu Minuten. Tage zu Sekunden. Immer wieder stellte er sich dieselben Fragen. War er älter geworden? Sah er nun anders aus? Er fühlte sich noch genauso wie damals, zumindest sein Körper fühlte sich so an. Seine Seele hatte sich längst verabschiedet. Er war nur noch eine leere Hülle die darauf wartete endlich zu Staub zerfallen zu können, aber das würde er nicht. Nicht in Hundert Jahren, nicht in Tausend Jahren und auch nicht in Zehntausend Jahren.

Der Fluch des beinahe ewigen Lebens. Seine Flügel dienten ihm nur noch als eine Art Decke, sie hatten ewig keinen Wind mehr spüren und sich entfalten dürfen. Die Decke war nicht hoch genug, um auch nur ein kleines Stückchen vom Boden abheben zu können. Er konnte sich auch nicht verwandeln. Gezwungen und gefangen in nicht einer, sondern zwei Zellen, von denen eine sein eigener Körper war.

Lange hatte er sich zumindest die Hoffnungen gemacht, seiner Schwester ging es gut. Sie war gerettet worden, entkommen und lebte nun endlich das Leben, das sie verdient hatte. Er hatte sich das solange eingeredet, dass er es nun noch immer glaubte, selbst nachdem er gespürt hatte, wie seine zweite Hälfte aus dem Leben gerissen wurde.
Bei Wyvern waren Zwillinge etwas besonderes. Sie schlüpften aus dem selben Ei. Schon lange vor ihrer Geburt waren sie miteinander auf eine unerklärliche Art und Weiße verbunden. Er hatte jede Sekunde gespürt, in der sie um ihr Leben gekämpft hatte. Das einzig schöne war, dass sie nicht unglücklich gegangen war. Ihre letzten Gefühle, waren Stolz und Liebe gewesen. Sie wäre eine gute Mutter gewesen.

Wie ihr Baby wohl aussah? Er hatte vergessen, ob sein Haar einmal heller gewesen war, oder seine Flügel weniger grau. War sein Körper immer schon so schwach gewesen? Seine Glieder lang und dünn? Oder war er ein richtiger Krieger gewesen? War er überhaupt irgendjemand gewesen? Vermutlich war jeder, der ihn gekannt hatte tot. Man hatte seine Existenz vergessen, seine Taten, seine Worte. Man hatte ihn vergessen. Niemand erinnerte sich an seine Opfer. Niemand erinnerte sich an seinen Namen.

Die Schritte, die sich der Zelle näherten ließen ihn träge aufsehen. Hatte er überhaupt geschlafen? Hatte er denn überhaupt jemals geträumt? Als Junge da hatte er viele Träume gehabt, von Gärten, in denen blaue Früchte wuchsen, und seiner Schwester, die ihm welche pflückte. Mitternachtslilien. Als Junge...war er denn überhaupt jemals jünger gewesen? Ein Kind? Er konnte sich nicht mehr daran erinnern eines gewesen zu sein. Es war...zu lange her. Wer waren seine Eltern gewesen? Seine Familie? War Faeya seine einzige Schwester gewesen? Hatte er vielleicht noch andere Geschwister gehabt?

Er erkannte die Schritte. Es war nicht der Drache, der ihm sein Essen brachte. Auch nicht der Drache der manchmal vorbei kam um sicherzustellen, dass er noch lebte.

Es waren Circus' Schritte. Der Drache, der ihn gefangen hielt wie ein Tier. Eingesperrt in einem Käfig aus Metall. Keinerlei Worte konnten beschreiben, wie sehr er diesen Drachen hasste. Wie sehr er sich selbst dafür hasste, ihm geholfen zu haben.

,,Guten Abend, Frey."

Frey. Sein Name, der klang wie eine Beleidigung, wenn er über Circus Lippen kam. Faeya und Frey. Die Sonne und der Mond. Das eine existierte nicht ohne das andere. Unzertrennlich und abhängig voneinander. Aber seine Sonne hatte ihn verlassen. Auch wenn er ihre letzten Strahlen spüren durfte, war es kein Trost.

,,Ich habe etwas für dich.", er hörte das Rascheln von Kleidung und beobachtete durch die Eisenstäbe, wie der Drache etwas aus einer Hosentasche holte. Es war eine Mitternachtslilie. Eine Beere davon, um genauer zu sein.

,,Ein kleines Abschiedsgeschenk, nachdem ich die nächsten Tage oder vielleicht sogar Wochen nicht hier sein werde.", der Drache warf die Beere in seine Zelle. Sie rollte zu ihm und blieb neben seinen Füßen auf dem Boden liegen.

,,So schweigsam wie immer.", Circus drehte sich um und ging. Wann hatte er das letzte Mal gesprochen?

,,Ich besuche deinen Neffen."

DrachenblutWhere stories live. Discover now