Eine einzige Schuppe

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Auf dem Bild ist der verbotene Teil der Bibliothek

Wie Serafyn erwartet hatte, er Anaya nicht in ihren Gemächern sondern in der Bibliothek. Nicht in der gewöhnlichen Bibliothek, sondern jene, in die nur wenige hinein durften. Sie saß in einem Sessel und blätterte in einem Buch.
Sie sah nicht einmal auf, als er herein kam. Nur ein kurzes Grinsen huschte über ihr Gesicht.

,,Ich habe dir gesagt du sollt das lassen!", das Letzte, das er jetzt brauchen konnte, war das hier. Nemesis war doch sowieso schon er Ende und jetzt auch noch das! Auch wenn noch nichts passiert war, würde das ganz sicher nicht mehr lange dauern.
,,Wie nett, dass du mir einen Besuch abstattest.", sie warf ihm das Buch zu und streckte die Beine auf einen Tisch aus.

Er schnaufte und sah sich das Buch an. Es war eines der vielen Bücher über die Wyvern, die sein Großvater hier in diesem Raum versteckt hatte, damit nicht jeder Zugang dazu hatte.
,,Und was soll ich jetzt damit?"
,,Du kannst es ja Nemesis geben. Wobei, er kann ja leider nicht lesen. Vielleicht solltest du es ihm vorlesen, bevor ihr heute Abend zur Sache geht. Ein richtiger Stimmungsaufheller wäre das, meinst du nicht?"
Serafyn versuchte nicht auf ihre Sticheleien einzugehen und legte das Buch weg. Er war nicht in der Stimmung zu diskutieren oder zu streiten. Vor allem nicht mit seiner Cousine.

,,Gib mir die Schuppe."
,,Nemesis hat sie mir gegeben. Wenn du auch eine willst musst du dir nur eine holen. Sollte kein allzu großes Problem sein, oder?"
,,Ich meine es ernst, Anaya. Es ist noch zu früh um es Nem zu sagen."

,,Um mir was zu sagen?"
Serafyn drehte sich herum und blickte auf Nemesis, welcher etwas entfernt von ihnen auf den Treppen stand. Anaya grinste triumphierend und verschränkte die Arme vor der Brust. Das würde noch ein Nachspiel haben.
,,Nem, bitte geh zurück auf unsere Gemächer. Ich komme gleich nach und werde dir alles erklären. Und zwar in Ruhe.", bei dem letzten Satz warf er einen finsteren Blick zu der Drachen.

,,Nein. Ich will es jetzt wissen. Du machst so einen Aufwand wegen einer kleinen Schuppe. Warum?"
Serafyn schlug die Augen nieder und atmete tief durch: ,,Ich bin nicht verpflichtet dir das zu sagen, Nem. Jetzt geh bitte auf deine Gemächer."
Etwas veränderte sich am Gesichtsausdruck des Wyvern. Er nickte langsam.
,,Und ich bin nicht verpflichtet dir zu gehorchen. Was will er mir nicht sagen, Anaya?", Nemesis sah an ihm vorbei auf die Drachin und flatterte etwas mit den Flügeln. Sie schimmerten wie tausend Perlen im Sonnenlicht.

,,Naja, ich will meinem Cousin jetzt auch kein Messer in den Rücken rammen, ich werde dir also nur mal ein paar grobe Fakten aufzählen. Den Rest musst du dir entweder selbst zusammen denken oder Sera sagt es dir. Abgemacht?"
Serafyn gab sich geschlagen und ließ sich auf einen der Sessel fallen. Er war einigermaßen überrascht, als Nemesis sich auf seinen Schoß setzte und ihm seine Flügel ins Gesicht schlug.

,,Also gut. Zuerst einmal solltest du wissen, dass man anhand der Schuppen erkennen kann ob der Drache oder Wyvern oder was auch immer aus dem Adel stammt. Je mehr Schuppen deinen menschlichen Körper zieren, umso reiner ist die Blutlinie. Früher, durften nur Drachen mit weißen Flügeln herrschen, weil sie die reinste Blutlinie hatten. Wie auch immer sie das angestellt haben weiß ich nicht. Asterin zum Beispiel, stammt von einem des reinsten Königshauses ab. Es ist ein ziemliches Wunder, dass Crystal ls Halbling auch weißes Haar besitzt. Im Normalfall gibt es sowas nicht.", Anaya holte aus ihrer Hosentasche die kleine Glasampulle mit Nems Schuppe heraus und hielt sie ins Licht.

Er beobachtete Nemesis dabei, wie er ihrer Bewegung folgte und den Kopf schief legte. Serafyn wagte es eine Hand auf den nackten Oberschenkel des Wyvern zu legen. Warum trug er denn die ganze Zeit nichts weiteres als diesen Seidenmantel!?

,,Mittlerweile ist das nicht mehr so, weil es unmöglich geworden ist die Blutlinie rein zuhalten. Für die meisten zumindest. Deshalb haben alle sehr großen Respekt vor Drachen, die noch immer ihre Blutlinie aufrecht halten. Bei Wyvern ist das ganze noch einmal stärker ausgeprägt.", die Drachin machte eine kurze Pause und warf ihm einen kurzen Blick zu. Beinahe schon entschuldigend sah sie ihn an.

,,Du willst mir also sagen, dass mein Vater aus einem Königshaus stammt?"
,,Ja und nicht nur das. Wenn Wyvern mit einem Menschen ein Kind bekommen, ist das Kind so gut wie immer ein Mensch. Ein Halbling entsteht dabei nicht, so etwas gibt es bei den Wyvern nicht. Und ein Wyvern entsteht nur wenn sie sich untereinander verpaaren."

,,Aber meine Mutter ist ein Mensch und ich bin offensichtlich keiner.", er bemerkte wie Nemesis sich verkrampfte. Vermutlich ahnte er bereits was Anaya gleich sagen würde.

,,Nemesis, diese Menschenfrau ist nicht deine Mutter. Dafür wollte ich deine Schuppe haben. Ich wollte sie mir genauer ansehen um das wirklich mit Sicherheit feststellen zu können. Die Schuppen der Wyvern sind nicht blickdicht wenn man sie ins Licht hält. Deine ist so gut wie durchsichtig. Dein Vater war oder ist nicht irgendein König, sondern vermutlich sogar der mit der reinsten Blutlinie. Genauso wie deine Mutter. Nicht einmal Asterins Schuppen sind so wie deine und er ist unter den Drachen der letzte seines Königshauses, mal abgesehen von Crystal.", Anayas Stimme war mit jedem Wort leise geworden, als sie die Tränen in Nemesis' Augen bemerkt hatte, die einzeln auf seinen Schoß purzelten. Innerhalb so kurzer Zeit, war sein gesamtes Leben zusammengebrochen.

,,Komm mit, Nem. Wir gehen auf unsere Gemächer.", wie in Trance nickte der Wyvern leicht und stand auf. Serafyn hob ihn hoch und trug ihn wie eine Braut aus der Bibliothek. Nemesis verbarg das Gesicht in seiner Halsgrube und klammerte sich an ihn, wie ein Ertrinkender. Genau das hatte er versucht zu verhindern. Natürlich war es nicht richtig gewesen, es zu verheimlichen, aber er hatte einfach noch nicht den richtigen Zeitpunkt gefunden gehabt.

Er legte Nem in das Bett und verdunkelte das Zimmer.
,,Hab ich denn überhaupt noch irgendjemanden? Keinen Vater, keine Mutter und Brüder habe ich nun auch nicht mehr.", murmelte Nemesis kaum hörbar und verbarg das Gesicht in dem Kopfkissen. Serafyn war eindeutig überfordert mit dieser Situation. Er hatte keine Ahnung was er tun oder sagen sollte, um den Wyvern aufzuheitern oder zumindest zu beruhigen.

,,Du hast mich, Nem. Und wer weiß, vielleicht sind deine Eltern ja noch am Leben und wir finden sie. Ich könnte mir nicht erklären, wie sie gestorben sein sollten, der Krieg fand vor Hundert Jahren statt. Sie haben sich sicher einfach zurückgezogen. Du solltest mit deiner Mutter reden. Sie ist dir die Antworten schuldig.", Serafyn legte sich neben Nem ins Bett und strich über die zarte Haut des Wyvern.
Nemesis schien sich tatsächlich etwas zu beruhigen. Er setzte sich auf und fuhr mit dem Handrücken über seine Augen um die Tränen wegzuwischen.

,,Glaubst du das wirklich? Oder sagst du das nur damit ich nicht mehr traurig bin?"
Serafyn richtete sich auf und umfasste das Gesicht des anderen mit beiden Händen.
,,Ich verspreche dir, Nemesis, wenn deine Eltern noch am Leben sind, dann finden wir sie.", er hauchte einen Kuss auf Nems Stirn und strich ihm einige lose Haarsträhnen hinters Ohr.

,,Am besten fangen wir damit an, deine Mutter zu besuchen. Sie wird dir sicher einiges sagen können."

DrachenblutWo Geschichten leben. Entdecke jetzt