-chapter 35-

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Sydney Sicht:

Ich hatte Zeit zum Nachdenken. Jaxon hatte Hilfe. Im Prinzip war es wirklich nicht schwer herauszufinden, auf welche neue Schule ich gekommen bin. Sowas konnte man doch bestimmt im Büro der Direktorin herausfinden. In irgendeiner Akte stand bestimmt, wo ich hingewechselt bin. Jaxon musste nur an diese Akte heran kommen und dann Kontakt zu jemandem finden, der mich schon kannte. Es war so simpel. So einfach. Und ich dachte ich könnte ihn dadurch komplett loswerden.

Ich lag auf dem Waldboden und Jaxon fluchte vor sich hin. Er lief hin und her und tritt ab und zu gegen einen Baum. Irgendwie kam mir der Ort hier vertraut vor. Nicht unbedingt genau diese Stelle, aber das Vogelzwitschern, der Wind, der Geruch, der Boden. Es war ein Wald, was sollte ich mir da denken... „Kennst du diesen Wald?" Es war kein wirklicher Mensch, der mich das fragte. Es war eine Stimme in meinem Kopf. „Komm denk nach!" Bestand eine Chance, dass ich gar nicht so weit von Aiden weg war? Ich drehte mich unter Schmerzen auf meinen Rücken und starrte in den Himmel.
Natürlich war es einfach nur ein Wald, wie jeder andere. Das Vogelzwitschern, der Wind, der Geruch und der Boden war in jedem beliebigen Wald - was auch sonst.
Trotzdem fühlte ich irgendetwas.
„Wäre es nicht schlau, wenn er mit dir zurück gefahren ist? Die Polizei ermittelt vielleicht weiter weg, wo du das letzte Mal warst."
Ermittelt sie überhaupt?
„Das tut sie sicherlich. Wenn eine minderjährige Schülerin verschwindet, ist das natürlich auffällig. Es wird nach dir gesucht, ganz bestimmt. Aber nicht hier in dieser Stadt, in diesem Wald."
Also glaubst du wirklich, dass ich in meiner Stadt bin? In meinem Wald? Ganz in der Nähe von Aiden?
„Es ist nur ein Gedanke, aber ja."

‚Es ist nur ein Gedanke'
Dieses ganze „Gespräch" war ein Gedanke. Ich sprach mit meinen Gedanken, ohne zu sprechen. Machte das Sinn?

„Steh auf", befahl mir Jaxon. Ich versuchte alles, doch meine Kraft genügte nicht. Er kam auf mich zu und packte meinen Arm. Er zog mich an ihm hoch, doch bevor er mich hinter sich her schleifen konnte, bemerkte ich einen spitzen Stein. Schnell und unbemerkt schnappte ich ihn mir und hielt ihn ganz fest in meiner geschlossenen Faust.
Er schleifte mich in den lagerhallenartigen Bunker und war dabei so unvorsichtig, dass ich meinen Kopf hart an einer Kante stoß. Mir wurde schwarz um meinen Augen und ich schaffte es gerade so den Stein in meine Hosentasche gleiten zu lassen. Danach übernahm die Schwärze meinen ganzen Körper und ich verlor mein Bewusstsein.
Als ich aufwachte lag ich wieder auf der abgerantzten Matratze. Ich blinzelte ein paar Mal. Mein Kopf schmerzte extrem und da die Seile um meine Handgelenke nicht ganz so stramm nach oben in den Ring gezogen waren, konnte ich die Stelle, von der der Schmerz ausging, berühren. Blut. Nichts neues in der von Jaxon erschaffenen Hölle. Ich richtete mich auf und konnte meine Hände sogar in meinen Schoß legen. Irgendetwas pickste in meiner Hose. Ich rekelte mich ein wenig und der spitzer Stein viel an der Seite meines Beines herunter. Ich erinnerte mich. Sofort machte ich hektische Bewegungen, um irgendetwas zu tun, damit ich hier raus kam. Ein Glücksgefühl überrollte mich wie eine Welle, als ich den Stein in meinen Händen hielt. Ich drehte ihn so, dass ich an den Seilen ansetzten konnte. Heftig fing ich an die Seile anzuschneiden. Doch dann hielt ich inne. Durch das kleine Fenster oberhalb des Rings drang ein wenig Tageslicht durch. Es war zu gefährlich jetzt einen Fluchtversuch zu starten. Jaxon war bestimmt auch in diesem Bunker oder irgendwo in der Nähe. Ich drehte mein Becken ein Stück, sodass ich den Stein zurück in meine Hosentasche fallen lassen konnte. Jetzt hieß es warten. Bevor es Nacht wurde, kam Jaxon immer noch einmal zu mir.

„Guten Abend, Hübsche." Seine Stimme hallte durch den Raum. Ich hasste es, wenn er mir einen Namen gab. Er kam einen Schritt näher und sofort kroch mir eine Gänsehaut unangenehm den Rücken hoch. Scharf zog ich die Luft in meine Lungen. Es brannte. Er hockte sich vor mich hin und strich mit seinen Fingern meine Haare hinter mein Ohr. Ich schloss wimmernd meine Augen und ließ es über mich ergehen, dass er weiter über meine Wangen strich. „Braves Mädchen", sagte er lächelnd und verließ den Raum wieder. „Schlaf gut. Wir sehen uns morgen."
Das werden wir nicht.
„Fahr zur Hölle", murmelte ich und fischte den Stein wieder heraus. Somit machte ich mit dem Durchschneiden weiter.

Ich hatte es geschafft. Ich hielt meine Hände vor mein Gesicht und fing an zu weinen. Ein Stück meiner Freiheit hatte ich zurückerlangt. Zwischen den Tränen kamen auch glückliche Lacher. Ich hiefte mich hoch und war so glücklich frei auf meinen Beinen stehen zu können. Schnell lief ich zur Tür und öffnete sie. Jedenfalls wollte ich das. Sie war verschlossen. Sie war... verschlossen. „Scheiße, nein!", fluchte ich und fuhr mir wütend durch meine Haare. „Dieser Bastard." Meine Wut schwoll an und das gab mir eine Kraft, die für meinen körperlichen Stand ungewöhnlich war. Ich drehte mich mit funkelnden Augen um und visierte das Fenster an. Es war nur ganz klein, doch so wie er mich abgemagert hatte, konnte ich leicht durch dieses Fenster. Dafür musste ich aber erstmal dort hoch kommen.
Ich zog an den Seilen so stark ich konnte - sie würden mich aushalten. Ich machte einen Satz und umfasste die Seile so weit oben wie es ging. Danach kletterte ich immer höher, dem Ziel immer näher.
Ich ruckelte an dem Hebel und er ließ sich bewegen. Ich lachte und schob das Fenster auf. Es war enger als gedacht, aber ich konnte mich durchquetschen. Ich zog mich an einer Wurzel raus. Ich saß auf dem Waldboden und nachdem auch meine Beine frei waren, ließ ich keine Sekunde mehr verstreichen. „Fick dich, Jaxon."

Ich rannte ohne Schuhe und nur leicht bekleidet durch den Wald. Ich stolperte über Wurzeln und große Steine, doch das hielt mich nicht auf. Spitze Äste schnitten meine Arme auf, doch das Adrenalin in meinem Körper machte das wett.
Ich rannte eine Ewigkeit, bis ich in der Ferne ein Lichtpunkt sah. Meine Beine wurden schneller. Zu schnell. Ich fiel über einen großen Baumstamm hart auf den Boden. Schnell rappelte ich mich wieder auf und suchte nach dem Lichtpunkt. Er gab mir Kraft zum Aufstehen. Ich rannte weiter und weiter. Der Lichtpunkt war eine Laterne. Eine Laterne einer Straße. Da waren Häuser! Ein Feld! Eine Stadt!
Glückstränen kullerten aus meinen Augen. Ich wusste nicht in welche Richtung ich laufen sollte. Ich ging über die Straße rüber, weiter um eine Ecke. Mir kam es irgendwie bekannt, aber auch komplett fremd vor. Wieder etwas schneller eilte ich um eine Ecke. Ich kannte es. Ich war hier schon einmal, doch trotzdem wusste ich nicht wo ich war. Orientierungslos lief ich erneut über die Straße. In der Ferne hörte ich einen Motor. Vielleicht konnte mir der Fahrer helfen! Ich blickte nach links und riss meine Augen vor Schreck weit auf. Meine Sinne mussten geschwächt sein. Der Motor war nicht in der Ferne, es war direkt in meiner Nähe. Ein Auto raste um die Ecke. Ich sah zum Fahrer. Das konnte nicht wahr sein... Ich spürte nichts mehr außer Erleichterung. Aiden...
Sein Blick war panisch und genau so erschrocken wie meiner. Aber ich wusste, dass er mich erkannt hatte. Die Reifen von seinem Auto quietschten - er machte eine Vollbremsung. Zu spät...
Ich spürte einen gewaltigen Schmerz. Das Auto hatte mich noch erfasst. Der Boden unter meinen Füßen verschwand. Einen Wimpernschlag später spürte ich ihn an meinem ganzen Körper. Ich rollte einige Meter nach vorne.

Mein Körper wollte noch nie so gerne aufgeben wie jetzt. Er wollte nicht mehr kämpfen. Mein Verstand und meine Seele wollten allerdings noch nie so gerne leben wie jetzt. Ich musste weiter leben. Ich hatte es jetzt so weit geschafft, ich durfte jetzt nicht aufgeben. Schließlich war ich jetzt bei ihm. Entfernt hörte ich seine Stimme. Zum letzten Mal öffnete ich meine Augen und sah, wie er zu mir gestolpert kam. Ich versuchte noch ein Lächeln für ihn auf meine Lippen zu zaubern. Leider kam es nicht mehr dazu. Das letzte was ich spürte, waren seine weichen Hände auf meinem Körper und meinem Gesicht. Noch nie war ich so glücklich wie jetzt.
Ich werde sterben.
„Das wirst du nicht!"
Die Stimme in meinem Kopf...
Aiden? Ich liebe dich.

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The fear of loveOnde histórias criam vida. Descubra agora