-chapter 45-

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Chloe zitterte am ganzen Körper. Wir standen zusammen auf der Toilette und lauschten. Panisch hielt sie meine Hand fest, die ich auch ihren Mund gedrückt hielt. „Sei bloß leise", hauchte ich ihr zu. Ihre Augen strahlten pure Angst aus. Ihre Tränen liefen über meine Hand.
Dann war es ganz still. Der Alarm klingelte nur noch als Echo in meinem Ohr. Der Schuss saß tief in meinem Knochenmark. Aber plötzlich war alles still. Ich hörte nur Chloe, die versuchte nicht laut los zu weinen. Ich versuchte irgendjemanden über mein Handy zu erreichen, doch in der Toilette war kein Internet.
„Bleib hier drin", flüsterte ich ihr zu. Sie schüttelte heftig mir ihrem Kopf und hielt mein Handgelenk fest umklammert. „Du kannst doch jetzt nicht raus gehen! Da draußen rennt ein Psychopath amok!", flüstert sie panisch. „Bleib einfach hier drin!", ermahnte ich sie. Ich musste sicher gehen, dass Aiden oder einer von den anderen nicht verletzt worden. Ich konnte nicht in dieser Kabine hocken, ohne zu wissen, ob jemand getötet worden ist. Der Knall kam zweifellos von einer Waffe. Ob die Kugel jemanden getroffen hatte, konnte ich nicht sagen. Ganz leise, mit angespanntem Körper und zusammengekniffenen Augen, öffnete ich die Tür und spähte raus. Der Flur war leergefegt. Die Klassenräume waren zugeschlossen. Noch nie war eine Stille so laut. In diesem Gang sah es nicht so aus, als wäre irgendwo reingeschossen worden.
Kein Loch in einer Wand, Decke oder Boden.
Kein lebloser Körper auf dem Boden.
Kein Blut.
Bedacht tapste ich aus der Toilette raus und stellte mich in eine Lücke zwischen zwei Spinden. Ich holte mit meinen zittrigen Händen mein Handy heraus und schrieb als erstes Aiden. Es machte keinen Sinn, wenn ich den Notruf wählen würde. Aus jedem Klassenraum riefen wahrscheinlich mehrere Schüler und Lehrer die Polizei oder ihre Eltern an. Weder Aiden, noch Haylie oder Ciara antworteten auf meine Nachrichten. Ich versuchte es bei allen anderen, doch sie bekamen meine Nachrichten nichtmal. Ich lehnte meinen Kopf an einen der Spinde. Ich durfte jetzt auf keinen Fall in Panik geraten. Mit meinen zittrigen Händen beförderte ich mein Handy zurück in meine Hosentasche und wollte zurück in die Toilette rennen, doch in der Mitte des Ganges hörte ich links neben mir eine Waffe, die entsichert wurde.
Fuck Fuck Fuck Fuck Fuck Fuck Fuck Fuck
Meine Haare hingen in meinem Gesicht und meine Hände hatte ich in Sekundenschnelle parallel zu meinem Kopf in die Höhe gehoben. Die Schritte kamen immer näher...
10 Meter
9 Meter
8 Meter
7 Meter
6 Meter
5 Meter
Bis der Amokläufer ein schreckliches Lachen von sich gab. Er war irre.
Ich wusste, dass er irre war. Mit einem tränenüberströmten Gesicht wendete ich mich langsam zu ihm. Es kam jetzt kein Entkommen mehr vor ihm. Er hatte mich jetzt einmal, er wird mich jedes Mal wieder kriegen.
„Glaubst du ernsthaft, dass du mich verarschen kannst? Glaubst du ernsthaft, dass ich du vor mir entkommen kannst? Vor mir? Deinem Freund?"
Er war da. Jaxon stand mit einer Waffe vor mir, die direkt zwischen meine Augenbrauen zielte. Sie zitterte kein Stück. Sie war ganz genau auf der Höhe meines Kopfes.
„Glaubst du ernsthaft, dass du ein Leben ohne mich führen kannst. Du bist verdammt Sydney Evans."

Chloes Sicht:

Ich hatte noch nie in meinem Leben so viel Angst, wie jetzt. Dieses Mädchen war verrückt. Sie spazierte hier einfach raus, als wäre da draußen kein Irrer mit einer Knarre!
Wie konnte man nur so unfassbar leichtsinnig sein. Und dazu ließ sie mich hier alleine!
Meine Beine gaben nach und ich rutschte an der Wand runter auf den Boden. Ich schüttelte heftig mit meinem Kopf und begann auf ihn einzuhauen. „Wir werden alle sterben. Wir werden alle sterben. Wir werden alle sterben", murmelte ich zu mir selber und wackelte mit meinem Körper hin und her. Ich hatte Schnappatmung und das Gefühl, dass einfach nicht genug Sauerstoff in meine Lungen kam.
„Scheiße, scheiße, scheiße! Bitte lieber Gott, ich weiß, dass ich sehr viele schreckliche Sachen gemacht habe, aber bitte, bitte lass mich nicht sterben", betete ich verheult. Wieso war denn ausgerechnet ich bei so einer Scheiße auf der Schultoilette. In einem Klassenraum wäre ich wenigstens nicht alleine gewesen.
Verdammt Verdammt Verdammt Verdammt
Ich würde sterben... Ich würde alleine in dieser Toilette sterben und es würde niemanden kümmern.
Meine Freunde? Ich hatte keine richtigen...
Meine Familie? Die, die mich zu meinen Großeltern gebracht hatten?
Meine Großeltern? Nein, für die war ich schon immer eine Last.
Mich hasste jeder. Jeder.
Ich konnte es ihnen nichtmal verübeln. Ich war so ein schlechter Mensch...
Wenn ich dran zurück dachte, was ich Sydney in genau dieser Schule angetan hatte. Alles nur, weil ich besessen von einem Jungen war, der meine Liebe nicht erwiderte. Wieso sollte er auch. Ich war das hochnäsige Mädchen, welches von ihren Eltern Geld in den Arsch gepumpt bekam, aber sonst nichts.
Wieso sollten mich Aiden, Sydney und alle anderen auch mögen?
Sydney wurde entführt und alles, was ich tat, war die Aufmerksamkeit auf mich zu ziehen, sodass mich Aiden einmal bemerkt. Ich hatte die Situation von seiner Freundin ausgenutzt.
Ich hasste mich selber.
Ich hasste mich so, so sehr.

Ich hörte schon Stimmen in meinem Kopf...
Oder... Als ich meinen Kopf erhob und lauschte, konnte ich eine Männerstimme vor der Toilette hören.
„Glaubst du ernsthaft, dass du ein Leben ohne mich führen kannst. Du bist verdammt Sydney Evans."
Oh. Mein. Gott.
Schnell zog ich mich auf meine Beine und stolperte aus der Kabine zu der Tür. Schwer atmend lehnte ich mich dagegen und legte mein Ohr an die Tür.
Sydney stand ohne Zweifel mit dem Irren vor der Tür.
„Ich hasse dich", sagte sie mit Verachtung in der Stimme. Woher zur Hölle kannte sie diesen Typen. „Ich war nur verdammt, wenn ich in der Nähe sein musste." Sydney provozierte ihn. Warum provozierte sie einen Amokläufer!? Wieso war dieses Mädchen so verdammt leichtsinnig?
„Wenn du kein Leben mit mir führen kannst, dann kannst du es mit keinem."

Ich wusste nicht, was mich in dem Moment zu meiner Handlung zwang, aber ich hatte ein ungutes Gefühl, dass er Sydney gleich etwas antun würde.
Der Satz war so eindeutig. Er wollte Sydney tot sehen.
Mit voller Kraft zog ich die Tür auf.
Beide schauten mich erschrocken an.
Dann fiel der zweite Schuss.

Ich stand in Schockstarre.
Ich kniff meine Augen fest zusammen, als ich nach dem Knall einen leblosen Körper auf den Boden aufprallen, hörte.
Ich stand einfach dort in dem Türrahmen und war Zeugin eines Mordes.
In was für einer Lage war dieses Mädchen bloß verwickelt...
Auf dem Boden breitete sich eine große Blutlache aus.
Ich konnte nichts tun.
Warum konnte ich mich nicht bewegen?
Warum konnte ich nicht schreien?!

... ... ...

The fear of loveWhere stories live. Discover now