Kapitel 1

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»Lucía?«, hörte ich Señora Suarez rufen und sie anschließend die Treppe hinunterkommen.

Ich richtete meinen Oberkörper auf, atmete tief durch und strich einige lose Haarsträhnen, welche sich aus meinem Zopf gelöst hatten und in meinem Gesicht herumirrten, mit dem Unterarm zur Seite. Dann stützte ich mich an der jetzt blitzblanken Toilette ab, stellte mich hin und zog mir die Gummihandschuhe von den verschwitzten Händen.

»Dónde éstas?«, fragte sie mich, wo ich bin und tauchte im nächsten Moment im Türrahmen der Gästetoilette auf.

»Estoy aquí.«, Ich bin hier, antwortete ich unnötigerweise und lächelte erschöpft.

»Hier.«, sagte sie, »Ich habe dir einen neuen Wischmopp und neue Putzlappen besorgt.«.

Sie hob ihre Arme ein wenig und mein Blick fiel auf die Putzutensilien, nach denen ich sie vor wenigen Tagen gebeten hatte. Eigentlich hätte ich nur die Putzlappen benötigt, doch sie hatte gesehen, wie ich mich beim letzten Mal mit dem kaputten Mopp abgemüht hatte. Sie war eine nette Frau und ich hatte Glück, dass sie sich von den Menschen unterschied, die sich für etwas besseres hielten nur weil sie vermögend waren. Viele reiche Leute behandelten ihre Angstellten unwürdig und nutzten sie aus, da sie wussten, dass ihre Angestellten auf das Geld angewiesen waren, auch wenn es nicht viel war, was sie verdienten. Stundenlang arbeiteten viele ohne eine einzige Pause, oft in großer Hitze und am Ende der Woche bekamen sie einen mikrigen Lohn, der für vielleicht zwei Wochen reichte. Señora Suarez war eine Bekannte von Rosa und hatte vor ein paar Monaten nach jemandem gesucht, der zweimal die Woche das ganze Haus auf Vordermann brachte und hat mich, nach mehrmaligen Versuchen mich davon abzuhalten einen vierten Job anzunehmen, doch weitervermittelt.

Rosa war ich ebenfalls dankbar, denn zum einen hatte sie mir diese Putzstelle ermöglicht und zum anderen hatte sie mir, auch wenn etwas widerwillig, eine Putzstelle in ihrer Tanzschule angeboten. Ich musste mich bemühen sie zu überzeugen, damit sie einwilligte. Sie wollte nicht, dass ihre Tanzschülerin ihr Tanzstudio putzte. Lieber hätte sie mich an einen anderen Job vermittelt, einen anderen Ausweg gesucht. Außerdem empfand sie es nicht als richtig, dass die beste Freundin ihrer Tocher Lidia für sie putzte, zumal sie mich schon mein halbes Leben kannte.

»Gracias, Señora. Das ist sehr nett von Ihnen. Es war wirklich sehr anstrengend mit dem kaputten Wischmopp die Böden zu wischen.«.

Ich lächlte sie dankbar an und merkte, wie sie mich streng ansah. Sie ließ die Arme sinken und ihr entwich ein Seufzen.

»Hija«, Tochter, »wie oft habe ich dir gesagt, dass ich keine Señora bin, sondern Carina. Außerdem siehst du wieder so erschöpft aus. Es eilt nicht das Gästebad zu reinigen.«

»Perdón, es ist eine Angewohnheit. Eine Sache von Respekt. Ich werde mich bemühen, Señ.. Carina.«, ich lächelte, diesmal entschuldigend, »Außerdem ist es schon halb eins und ich muss in zwei Stunden in den Supermarkt. Dann fängt meine Schicht an, also muss ich mich beeilen«

Sie schüttelte den Kopf und sah mich mahnend an. Sie war kleiner als ich- und ich war schon kein Riese mit meinen 1,64m- und hatte, wie die meisten kolumbianischen Frauen, dunkles Haar. Ihre schwarzen Haare waren schulterlang und gewellt. Ihre braunen Augen waren freundlich und trotz ihrer fast fünfzig Jahren war sie eine sehr schöne Frau und wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich sie zehn Jahre jünger schätzen.

»In der Ruhe liegt die Kraft. Merk dir diese Worte und schenke ihnen Glauben. Du bist noch so jung und auf Dauer ist die viele Anstrengung für niemanden gut.«.

Sie sah mich mit einem fragenden Blick an, erwartete eine Antwort. Ich nickte, sagte aber nichts. Sie wusste, dass es mir und meiner Familie finanziell nicht gut ging und ich meine Eltern unterstüzen musste, damit wir über die Runden kamen. Sie wusste, wie schwer das Leben sein konnte. Sie hatte einmal erwähnt, dass sie in ihrem Leben auch nicht immer Sternstunden erlebt hatte und ich hatte seit meinem ersten Arbeitstag das Gefühl, dass sie meine Situation verstand, dass die mich verstand. Sie nahm sich den Eimer mit dem Putzwasser und fuhr fort: »Komm, das Bad ist jetzt sauber genug und sauberer wird es nicht werden. Hilf mir nur noch mit dem Garten und dann entlasse ich dich.«

El precio del amor - Der Preis der Liebe #TeaAward2018Where stories live. Discover now