Kapitel 6

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Ein Blick in unseren Badezimmerspiegel verriet mir, dass die Prellung an meiner Wange kaum noch zu sehen war. Makeup sei Dank, konnte ich das Ganze größtenteils abdecken und sicherheitshalber noch mit meinen Haaren verdecken. Meine Mutter hatte nichts gesehen und auch sonst war keinem etwas aufgefallen. Oswaldo hatte mich am Mittwoch gefragt, ob ich nicht doch noch einen Tag zu Hause bleiben wollte und erst am nächsten Tag wieder arbeitete, da ich die Waren ständig in die falschen Regale geräumt hatte. Ich hatte natürlich verneint auch, wenn meine Gedanken nicht gänzlich der Arbeit galten. Der Vorfall der letzten Woche hatte mich noch nicht so ganz losgelassen, wie ich gehofft hatte. Jeder Blick in den Spiegel oder jede hastige Bewegung, die ein Stechen im Kopf verursachen konnte, katapultierten mich wieder auf den kalten Straßenboden. Die ganze Szene verfolgte mich sogar bis in meine Träume. Ich hatte mich durch die Arbeit ablenken können, doch auch mir war es passiert, dass ich ein Fenster von Carina drei Mal geputzt hatte, da ich vergessen hatte, ob es nun geputzt war oder nicht. Auch waren mir einige Bestellungen in der Cantina durcheinander gekommen. Völlige Ablenkung, war mir dann doch nicht gelungen.
Ich half meiner Mutter ein wenig im Haushalt, legte mich dann aber auch früher ins Bett.

...

Glücklicherweise war es heute Sonntag und somit der einzige Tag der Woche, an dem ich frei hatte. Nachdem ich ausgeschlafen hatte, beschloss ich den Tag für mich zu nutzen und war zu den Buendías gefahren. Rosa hatte mir den Schlüssel zum Pasión gegeben und nun war ich dort seid langer Zeit wieder um zu tanzen, anstatt zu putzen.
Die Musik lief schon einige Minuten und ich kniete auf dem Boden. Meine Augen waren geschlossen und ich hörte den Klängen der Musik zu. Die langsamen Töne des Klaviers entspannten mich zunehmend und wurden dann von den Klängen der Geige unterstüzt. Die anfängliche Ruhe, die die Instrumente wiederspiegelten wurde immer weiter in den Hintergrund gedrängt. Der Rythmus der Geige wurde schneller und der Klang des Stückes wurde immer dramatischer. Mein Inneres wurde dadurch aber nicht aus der Ruhe gebracht, vielmehr wurde ich immer stärker und das Gefühl von Unbesiegbarkeit machte sich in mir breit. Es gab mir die Stärke, die ich an diesem einen Abend nicht gehabt hatte. Hier konnte ich mich wehren.

Als das Musikstück seinen Höhepunkt erreichte, war auch ich bereit alles zu geben. Mit einer schnellen, aber fließenden Bewegung, stand ich auf den Beinen und gab mich Voll und Ganz der Musik hin. Die Dramatik der Musik wurde immer stärker, was mich immer intensiver in meinem Tanz werden ließ. Es war als würde ich Kämpfen. Jeder meiner Bewegungen war kraftvoll, jeder Schwung meiner Arme, wie ein Schlag, jedes Aufsetzen meines Fußes auf dem Boden, wie ein Tritt. Eine Mischung aus Ballett, Modern Dance und Crumping. In diesem Ausdruckstanz tat ich das, wonach mir zumute war. Keine Vorgaben, keine Regeln. Ich hatte die Kontrolle- über alles. Über mich.
Mein Tanz war ein Ausdruck meines Gemütszustands, meiner Gefühlslage. Es war eine Möglichkeit mich zur völligen Ausschöpfung meiner Kräfte zu bringen. Körperlich war ich wieder einigermaßen fit und das kostete ich in vollen Zügen aus.

Als sich das Stück dem Ende näherte, trat ich an die Wand, die aus Spiegeln war und betrachtete mich. Ich verfolgte jede meiner Bewegung. Nachdem der letzte Ton der Musik verlang, sank ich auf den Boden hinab und kniete mich wieder in meine Ausgangsposition. Meine Lunge schmerzte und ich spürte, wie sich Schweiß auf meiner Haut gebildet hatte. Meine Brust hob und senkte sich mit jedem Atemzug schlagartig. Die Folgen meiner langen Tanzpause hatten sich bemerkt gemacht, doch es war egal, wie anstrengend es gewesen war. Ich fühlte mich stark. Das Tanzen hatte mir gut getan.

Nach einigen Minuten, in denen ich mich ausgeruht hatte, ließ ich etwas ruhigere Musik laufen und tanzte in fließenden Bewegungen durch das Studio. Trotz der Ruhe die meine Bewegungen ausstrahlten, ließ ich auch jetzt meine ganze Kraft in den Tanz einfließen. Dieser Kontrast der Tänze fühlte sich unglaublich an. Der Kontrast der verschiedenen Tanzstile und der Musik spiegelten meine innere Stärke am Abend, an dem Isa angegriffen wurde und dem Hier und Jetzt wieder. Ich wollte mich davon nicht unterkriegen lassen. Ich fuhr mit Reggaeton fort, gefolgt von typischer Latinomusik, zu der ich Rumba und Salsa tanzen konnte, auch wenn es ein Solo war und ich ohne Partner tanzte.
So verbachte ich den restlichen Tag im Pasióne. Immer wieder hatte ich mich auf den Boden gelegt und die Musik auf mich wirken lassen oder auf einem der Sofas, die in der Ecke standen, entspannt. Manchmal hatte ich sogar mit der Musik mitgesungen. Bevor jedoch die Dunkelheit einbrach, hatte ich mich auf den Weg nach Hause gemacht.

El precio del amor - Der Preis der Liebe #TeaAward2018Where stories live. Discover now