Kapitel 110

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Nach Luft schnappend kommen Jonathan und ich zum Stillstand. Schützend stehen wir Rücken an Rücken und drehen uns unsicher umeinander. Mein Messer ist hoch erhoben und so fest umklammert, dass meine Knöcheln weiß hervor stehen. Nervös fixiere ich die Wachen, die uns in einem Radius von sechs womöglich sieben Metern umzingelt haben. Nur der Zugang zur Klippe könnte wir vermutlich erreichen bevor sie uns schnappen. Aber ohne auch nur ein Blick nach unter geworfen habe, bin ich mir sicher, das der Aufprall uns in Stücke reißt. Wie ist das mit der Unsterblichkeit wenn mein Kopf nicht länger auf meinen Hals sitzt? Herausfinden will ich es jedenfalls nicht. Zumindest nicht heute!

„Was machen wir?" frage ich Jonathan erneut.
„Ich habe eine Idee, aber ich kann nicht versprechen dass es klappt. Wir müssen näher zu den Klippen. Vertraust du mir?"
Mein Blick gleitet schnell zwischen unseren Angreifern hin und her. „Ja, das mache ich."
Langsam schieben wir uns in Richtung der Klippen. Die Zeit bleibt gefühlt gerade stehen, keiner näher sich zu uns, sie starren uns nur an und beziehen ihre Kampfhaltung. Wie eine Raubkatze ihre nächste Beute ins Visier nimmt, begutachtet sie uns. Denn gerade sind eindeutig wir die Beute und wir haben es mit einem verdammt großen Rudel zu tun.

Die unerträgliche Stille wird von einem lauten Klatschen unterbrochen. Langsam tritt Marc durch die Reihe der versammelten und kommt noch etwas Nähe auf uns zu, aber noch immer in einem ausreichenden Abstand.
„Jonathan, mein Sohn, glaubst du wirklich du hättest es schaffen können? Ich hab dich großgezogen, ich kenne all deine idiotischen Ideen und weiß wie gerne du doch der Held am Ende wärst. Aber dieses Mal wird das nicht so sein." Jonathan drückst mich schützend hinter sich und schiebt uns noch einen Schritt weiter nach hinten.
„Lass uns gehen, du wirst sie niemals brechen." erwidert er kalt.
„Ist das so? Dabei hat der Spaß doch gerade erst angefangen. Es gibt nur zwei Optionen: entweder sie gehört mir, oder sie gehört niemanden."
Trotz dessen, dass mich seine Aussage nicht überrascht, bin ich dennoch schockiert. Denn es bedeutet eins, so oder so ich werde hier sterben.
„Was ist dein glorreicher Plan? Ihr springt von der Klippe? Sie kann nicht mal richtig stehen, geschweige denn schwimmen. Oder nein, ich weiß es, du willst fliegen." Marc pausiert, macht eine spöttische Flugbewegung mit den Händen und fängt schallend an zu lachen. Fliegen? Was meint er damit?
„Hast du wirklich geglaubt du kannst euch beide tragen? Dabei hast du nicht mal genug Kraft für dich selbst." Ich lege meine freie Hand auf Jonathans Oberarm und schaue verwirrt zu ihm hoch. „Was meint der damit?" Doch bevor mir Jonathan antwortet ergreift Marc erneut das Wort.
„Ach du weißt es noch gar nicht? Na dann erzähle ich es doch gerne. Wie du weißt hat Jonathan was die Kräfte angeht die schlechtere Karte von euch beiden gezogen, aber ganz ohne ein Erbe von Mama und Papa ist er doch nicht. Flügel. Federweich und weiß wie Schnee." Jonathan blickt bestürzt nach unten.
„Oder zumindest waren sie das mal." ergänzt Marc spöttisch.
„Sie sind verbrannt, im dem Feuer als Kind. Ich wollte fliehen und bin in Flammen aufgegangen. Das was übrig ist..." Jonathan stockt „ist kaum noch würdig Flügel genannt zu werden."
Ich lege meinen Hand fester um ihn. Es ist unvorstellbar, was er alles ertragen musste. Welchen Schmerz er bereits erfahren hat und welchen Verrat er gerade erträgt.
„Jaja, tragisch dieses Feuer. Schade, dass es das einzige zerstört hat, was dich besonders gemacht hat. Dabei wollten wir doch nur testen, ob du unter Lebensgefahr nicht doch zu etwas gut bist. Ob sich deine Kräfte einfach erst dann zeigen, wenn die wirklich gebraucht werden."
Jonathan spannt sich unter meiner Hand merklich an und geht einen Schritt auf Marc zu, seine Augen funkeln wütend.
„Das Feuer war deine Schuld?" Frage er mit eiskalter Stimme.
„Was soll ich sagen, es war eine schreckliches Versehen. Meinem Sohn würde ich doch niemals wehtun." Seine Lippen ziert ein grauenvolles Lächeln. Dieser Mensch, diese Seele, ist schlimmer als jedes Wesen in der Hölle. Ich merke wie Jonathan kurz davor ist los zu stürmen, aber das wäre unser sicherer Tod, daher halte ich ihn zurück.
„Lass es, wir zahlen das einenderes mal zurück. Wir müssen hier raus." sage ich mit fester stimme, er nickt zögerlich. Mittlerweile stehen wir nebeneinander, der Weg zu den Klippen in unserem Rücken ist noch frei.
Marc klatscht zufrieden in die Hände: „Nachdem wir das nun geklärt haben und wir beide wissen, dass dein lachhafter Plan scheitert, kommen wir zum Wichtigen Teil: fasst sie. Beide."

Während die Zeit davor stehen geblieben ist, bricht nun die Hölle über uns herein. Die Angreifer setzen sich in Bewegung und zingeln uns immer weiter ein. Noch bevor ich reagieren kann, packt mich Jonathan am Handgelenk und ziehe mich Richtung Klippen. In Sekundenschnelle breiten sich Flügel über seinen Rücken aus. Ich bin so von ihrem Anblick fasziniert, dass ich für einen Moment das laufen vergesse. Seine Flügel sind mit schwarz Leder bedeckt, knochig und stark vernarbt. Er muss unendliche Schmerzen gebt haben. Weiße Federn, gibt es keine mehr. Er sieht aus wie ein Todesengel. Stark, unbesiegbar und wunderschön. Er packt meine Hand noch fester und drehe sich zu mir um. Sein Blick spricht Bände: vertrau mir.
Wir rennen ohne noch einmal zurück zu schauen. Es ist ein Rennen gegen die Zeit, wenn wir es bis zur Klippe schaffen, dann könnten wir überlegen.
Aber der Anblick von Jonathans Flügeln erinnert mich an eine unausgesprochene Tatsache, unsterblich bedeutet nicht unzerstörbar.

Hello Devil, nice to meet you!  Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt