Kapitel 80

19.2K 1K 158
                                    

Nach einer ausgiebigen Dusche lasse ich mich zufrieden auf das Sofa in unserem Wohnzimmer fallen. Durch Gabriel konnte ich einfach mal entspannen, doch nun gehen mir wieder 100 Sachen durch den Kopf.
Das wohl wichtigste Thema, um das sich meine Gedanken unumgänglich drehen, heißt Jonathan, sieht aus wie ich und sagt, er wäre mein Bruder.
Wie er mich wohl finden will?
Wie wäre es mit einer Facebook-Freundschaftsanfrage?
Dann wäre wenigstens einmal etwas in meinem Leben normal.

Nachdem mein Magen leise rebelliert, dass es ihn auch noch gibt, schlurfe ich nachdenklich zum Kühlschrank.
Was Jonathan wohl für Kräfte hat? Ich bin so neugierig! Ich habe einen Bruder!? Ist das zu glauben?
Am Kühlschrank hängt ein Zettel, auf dem steht, dass mein Papa mit Kollegen essen ist und er erst abends wiederkommt.
Dann muss ich wohl noch länger darauf warten, ihn über meine mysteriöse bessere Hälfte auszufragen.
Ich esse die Reste des Vorabends und zum Nachtisch noch ein Stück Schokolade, wobei es wie immer nicht bei nur einem bleibt.
In meinem Zimmer beschäftige ich mich mit meinen Hausaufgaben und lerne für die anstehenden Klausuren, wobei ich mich schnell von meinem Handy ablenken lasse.
Warum kann mir als auserwähltes Hybridwesen nicht wenigstens das erspart bleiben?
Um kurz vor elf lasse ich mich schließlich mit einem entnervten schnauben ins Bett fallen.
Allein der Gedanke daran, morgen 10 Stunden in der Schule zu verbringen, bereitet mir Kopfschmerzen.

Das penetrante Klingeln meines Weckers lässt mich aus meinem Bett hochfahren.
Montagmorgen.
Mein Lieblingstag.
Ich mache mich für die Schule fertig, packe mir Essen für eine halbe Fußballmannschaft ein und verlasse das Haus überraschend pünktlich.
Allein der Weg zur Schule kommt mir ewig vor, ganz zu schweigen vom Unterricht.
Nach der Schule erzählt mir Alex ein wenig zu detailgetreu, wie die Party am Wochenende war, wobei er rot wird wie eine Tomate.
Ob ich ihn wohl an einer kleine Anekdote vom Ball in der Hölle teilhaben lassen sollte?
Besser nicht, sonst erklärt er mich sicherlich für verrückt.
Wir stehen gemeinsam mit vielen anderen Schülern draußen auf dem Pausenhof. Einige warten auf Mitschüler, den Bus oder ihre Eltern, andere hingegen blicken gespannt zu einem Fenster. Mein Blick folgt ihrem und fällt auf das Fenster, aus dem Mr. White mich unverfroren anstarrt.
Ich winke ihm zu, wobei ich leise flüstere: „Auch für Teufel ist spannen unangebracht. Was, wenn es jemandem auffällt, dass du eine Schülerin stalkst?
Er grinst und zuckt beiläufig mit den Schultern, als wäre er amüsiert darüber, dass ich überhaupt auf die Idee komme, dass er sich darüber Gedanken machen würde.

Ich verabschiede mich von Alex und mache ich auf den Heimweg.
Kurz vor meinem Haus erscheint Luzifer mit einem bezaubernden Lächeln auf den Lippen vor mir.
„Hast du Hunger? Ich hab Hunger, lass uns etwas essen gehen."
Noch bevor ich antworten kann, packt er meinen Arm und wir stehen vor einem kleinen Café.
„Gerne doch gehe ich mit dir essen. Wirklich liebend gerne.", antworte ich, wobei ich eine Augenbraue hochziehe, da es für Widerspruch eh zu spät wäre.
Er hält mir, gentlemanlike wie eh und je, die Türe auf.
Das Café ist erstaunlich süß, klein, aber doch sehr elegant.
Gemeinsam setzen wir uns an einen Tisch im hinteren Eck, wo wir uns ungestört unterhalten können.
Luzifer starrt mich die ganze Zeit über an, was mich überraschenderweise mehr als nur ein wenig irritiert.
„Alles gut bei dir?"
Er nickt.
„Ich habe den hohen Rat weitestgehend überredet. Die Allianz mit dem Himmel ist sozusagen unter Dach und Fach. Unsere Armeen werden mit den himmlischen Heerscharen kämpfen, gemeinsam sollten wir unser kleines Problem in den Griff bekommen."
„Das sind tolle Neuigkeiten! Ich hatte wirklich Bedenken, ob du dein Königreich im Griff hast, aber anscheinend hat der Teufel eine größere Autorität als gedacht."
Er lacht spöttisch.
„Es gäbe keinen, der sich auch nur ansatzweise mit mir messen könnte, also haben sie keine Wahl, als mir zu gehorchen."
Ahh, da ist sie wieder, seine altbekannte Arroganz.
Ich grinse.
„Wie geht es dir, Alice? Ich hab das von Michael gehört. Der Typ ist ein Arsch, mach dir nichts draus."
Ich schaue Luzifer in sein leicht besorgtes Gesicht.
„Machst du dir etwa Sorgen um mich? Der Teufel höchstpersönlich? Ich bin sprachlos. Aber mach dir keinen Kopf, mir geht es gut. Mit hochnäsigen magischen Wesen komme ich mittlerweile ganz gut klar."
Er grinst, da ihm offensichtlich klar ist, dass die Anspielung auch ihm gilt.
„Ich habe nichts anderes von dir erwartet."
Nachdem wir bestellt haben, bringt uns die Bedienung die Getränke und für jeden von uns ein Sandwich.
Ich schlürfe genüsslich meine heiße Schokolade und lass meinen Blick durch den Raum schweifen., wende mich jedoch bald wieder Luzifer zu.
Erst jetzt fällt mir auf, dass er wirklich nicht dem Stereotyp eines Dämons entspricht.
Seine Haare sind nicht so dunkel und seine Augen haben ein unglaubliches blau; nicht wie Satan, dessen Augen teilweise schwarz wirken.

Eine seiner Strähnen fällt ihm auf die Stirn, während er seinen Kaffee herumrührt. Noch bevor ich mir selbst bewusst werde, was ich da tue, strecke ich meine Hand nach ihm aus und streiche die Strähne seiner weichen Haare zurück.
Die Geste scheint ihn genauso zu überraschen wie mich, da er augenblicklich zu mir hochschaut.
Verlegen ziehe ich meine Hand zurück.
Verdammt, was mache ich da?
Auf Luzifers Lippen bildet sich ein Lächeln, aber ausnahmsweise ist es weder arrogant noch herablassend, sondern einfach nur ehrlich.
„Ähm, sorry, das.. ich.. also.."
Jetzt grinst er.
Er nimmt meine Hand, die ich auf halben Weg vergessen habe und küsst sanft den Handrücken.
„Keine Sorge, solange du es bist, darfst du mich immer jederzeit berühren."

Ist es hier so warm oder warum wird mir so heiss?
Ich ziehe meine Hand zurück und nehme einen großen Schluck meiner heißen Schokolade, wodurch es mir nur noch wärmer wird.
„Ganz schön warm hier, oder?", sage ich, während ich meinen Pulli über den Kopf ziehe. Ein Hoch auf den Zwiebellook.
Mein T-Shirt rutscht hoch und entblößt dadurch meinen Bauch, wird jedoch kurz darauf sanft wieder heruntergezogen.
„Kannst du denn niemals deine Klamotten anlassen?", flüstert mir Luzifer leise ins Ohr, wobei mir sein neckender Ton keineswegs entgeht.
Ich schaue ihm in seine unermesslich schönen Augen und nähere meinem Gesicht seinen, sodass mein Atem sein Ohr streift.
„Nicht, wenn du da bist."

Hello Devil, nice to meet you!  Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt