Kapitel 77

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Meine Stirn legt sich kurz in Falten.
Die bringen mich in den Himmel?!
Ich schlucke erneut und ringe mir ein mattes Lächeln ab.
Von der Hölle direkt in den Himmel. Welch ein glorreicher Aufstieg, im wahrsten Sinne des Wortes.
„Bereit?"
Ich nicke.
„Ab ins Paradies, würde ich sagen."
Gabriel erhebt seine Hände und legt sie mir sachte auf die Schläfen.
Es fühlt sich gut an, sehr sogar.
Meine Haut kribbelt leicht unter seiner Berührung, aber nicht unangenehm. Ich versuche krampfhaft, meine Augen geöffnet zu halten, muss jedoch blinzeln.
Als ich meine Augen wieder öffne, stehe ich in einem Garten.

Einem ausgesprochen schönen Garten, muss ich betonen; hier gibt es exotische Pflanzen in den unterschiedlichsten Farben und Formen.
Mein Blick scannt hektisch meine Umgebung ab, um ja nichts zu verpassen.
Es ist wunderschön hier.
„Komm mit, Alice."
Gabriel läuft ein Stück vor mir und ich folge ihm noch immer sprachlos.
Das ist also der Himmel?
„Wir sind im Garten Eden, mein Zuhause. Du brauchst dir keine Gedanken zu machen, wir müssen nur kurz mit dir reden, danach bringe ich dich nach Hause."
Ich nicke, obwohl Gabriel es nicht einmal sehen kann.

Vor uns erscheint eine große Gartenlaube aus Metall. Die grazileren Stangen sind von blühenden Rosenranken umgeben. Wir durchqueren einen der großen Rundbogen-Eingänge.
Im Inneren wartet Michael auf uns. Er sitzt an einem runden Tisch und trinkt entspannt aus einer Porzellantasse.
„Setzt euch."
Gabriel nickt mir ermutigend zu und deutet auf einen Stuhl neben sich.
Ich lasse mich auf dem Stuhl nieder.
„Das ist der Garten Eden. Wunderschön, nicht wahr?"
Fast so schön wie der botanische Garten, in dem ich mal war.
Michael spricht einfach weiter, ohne auf eine Antwort von mir zu warten.
„Gottes unglaubliche Schöpfung.
Wie dem auch sei, ich habe dich nicht herbringen lassen, um dir das zu zeigen."
Ich spüre, wir mir unbewusst meine Gesichtszüge zu einem ‚Sag bloß' entgleiten, was direkt mit einem strafenden Blick von Michael quittiert wird.
„Ich habe von deinen Kräften erfahren. Zeig sie uns, vor allem das Wiederbeleben. Dass ein Geschöpf wie du mit solch einer Gabe beschenkt wurde, kann ich einfach nicht glauben."
In seiner Stimme liegt unüberhörbar Spott und Abscheu.
Ich lächle leicht.
„Natürlich zeige ich sie euch." Ich stütze meinen Ellenbogen auf der Tischplatte ab und lehne mich zu ihm nach vorne. Einige meiner schwarzen Funken schwirren um meine Hand.
„Wie wäre es, wenn ich sie dich aus erster Hand fühlen lasse?"
Er schnaubt spöttisch.
„Überschätze dich besser nicht."
„Sind wir nicht genau deshalb hier? Um zu schauen, wie stark ich bin und um sicherzustellen, dass ich euch nicht im Weg stehe?"
Jetzt lacht er sogar ein wenig.
„Schlaues Köpfchen. Jedoch stimmt das nicht ganz, aber dazu kommen wir später. Jetzt zeig uns erstmal, ob du das halten kannst, was man über dich sagt."

Ich höre leise Schritte hinter mir und es dauert nicht lange, bis Raphael mit einem Käfig in der Hand in mein Blickfeld tritt.
Er stellt den Käfig mit einem schneeweißen kleinen Häschen darin, das neugierig die Gitterstäbe beschnuppert, auf dem Tisch ab.
„Du weißt, was zu tun ist."
Warum sind es immer die armen, kleinen Tiere, denen ich sowas antun muss?
Ich nicke jedoch nur.
Es tut mir leid Kleiner, aber keine Sorge, ich bringe dich zurück.

Ich konzentriere meine Magie, fixiere den Hasen mit meinem Blick.
Dann deute ich mit meiner Hand für einige Zeit auf den Hasen und schließe sie schnell zu einer Faust.
Der Hase bleibt sofort liegen und sein Körper hebt und senkt sich nicht mehr.
Er ist tot.
Erschrocken darüber, wie kaltblütig ich das gemacht habe und wie unglaublich einfach es mir gefallen ist, schließe ich kurz meine Augen.
Was ist nur aus mir geworden?
Die drei Engel um mich herum sagen nichts.
Ich fixiere erneut das regungslose Tier in dem kleinen Käfig, konzentriere mich jedoch dieses Mal auf die gute Seite meiner Magie.
Lebe, kleiner Hase.
Mit der Hand mache ich eine erhebende Bewegung.
Der Kleine atmet tief ein und sofort hebt und senkt sich sein ganzer Körper vor Aufregung in einem gleichmäßigen Rhythmus.

„Du kannst es also wirklich.
Deine Fähigkeiten sind äußerst ungewöhnlich. Die Macht, jemanden derart ins Leben zurückzuholen ist sogar für uns nicht immer möglich."
Michael fixiert mich eindringlich, nachdem er den Hasen begutachtet hat.
„Bring ihn erneut um."
„Muss das sein?"
„Ja, muss es."
Ich lasse den Hasen erneut sterben.
„Weißt du Alice, ich wollte mich nicht nur von deinen Fähigkeiten überzeugen, sondern dich auch warnen."
Michael steht auf und kehrt mir den Rücken zu.
„Deine Kräfte sind unglaublich, um ehrlich zu sein. Du kannst über Leben und Tod bestimmen, etwas, das nur Gott allein zusteht. Da du jedoch lebst und solch eine Macht besitzt, gehört es anscheinend zu seinem Willen; du bist immerhin ein Teil seiner Schöpfung.
Jedoch solltest du aufpassen. Weder hast du das Recht, noch die Macht, fahrlässig über das Leben anderer zu bestimmen. Es gibt eine natürliche Ordnung; die solltest auch du besser einhalten, ansonsten bekommst du es mit Dingen zu tun, denen du nicht gewachsen bist."
Er dreht sich mir zu und schaut mir tief in die Augen.
Ihm. Ich bin ihm nicht gewachsen, das will er damit sagen.

„Außerdem bist du nicht unsterblich, deine Magie ist also begrenzt. Es mag dir zwar leicht erscheinen, jedoch braucht deine Magie Zeit, sich zu regenerieren. Wenn sie das nicht kann, wirst du an ihr zugrunde gehen."

„Warum sagst du mir das alles?"
Er lacht leise.
„Die Hoffnungen der Hölle liegen auf dir. Ich wäre enttäuscht wenn du versagst, bevor es angefangen hat."
„Herzlichen Dank für dein Vertrauen. Kann ich den Hasen jetzt wieder zurückholen?"
„Nein, noch nicht.
Eine Sache noch.
Du bist nicht allmächtig, mach dir das bewusst. Wenn die Seele eines Lebewesens den Körper verlassen hat, kannst auch du ihn nicht mehr zurückholen. Du magst zwar stark sein, aber nicht stärker als der Tod.
Es ist also nur eine Frage der Zeit, dann versagen auch deine Kräfte."

Mir wird klar, was er meint. Wenn ich mich nicht beeile, töte ich den Hasen, aber dieses Mal endgültig.
Ich strecke gerade meine Hand nach ihm aus, als jemand meine Hand ergreift und auf meinen Rücken dreht, dicht gefolgt von meinem anderen Arm.
„Lass mich los!"
Ohne meine Hände kann ich den Hasen nicht wiederbeleben.
Glaube ich zumindest.
Ich versuche mit meinen Blicken allein, das kleine Herz zum schlagen zu bewegen, es passiert jedoch nichts.
„Noch nicht."
Ich höre Michaels Worte in meinem Ohr und spüre seinen Atem auf meiner Haut.
„Lass mich verdammt noch mal los."
„Na, na, schön ruhig bleiben."
Ich versuche, mich aus seinem Griff zu lösen, komme aber nicht los.
„Ich hab's ja verstanden, jetzt lass mich endlich los."
„Was hast du verstanden?"
„Dass du mir zeigen willst, wie schwach und unwissend ich doch bin."
Er lacht leise.
„Besser hätte ich es nicht sagen können."
Er lässt meine Arme los.
Ich strecke meine Hand nach dem Hasen aus und konzentriere mich auf ihn, jedoch bleibt dieser regungslos liegen.
Ich versuche es immer wieder, doch es passiert nichts.
Ich drehe mich wütend herum.
Wütend auf mich selbst, da ich gerade einen Hasen getötet habe, aber auch wütend auf Michael.
„War das nötig? Warum hast du mich davon abgehalten, ihn zu retten? Ich hab doch verstanden, was du mir sagen willst!"
„Ganz einfach: erst, wenn man sieht, wie machtlos man in Endeffekt ist, lernt man daraus. Die Seele hat seinen Körper verlassen, etwas, woran auch du nichts mehr ändern kannst."

Er kommt einen Schritt auf mich zu.
„Befolge lieber meinen Rat, sonst sehen wir uns früher wieder, als dir womöglich lieb ist."
Dass ich nicht lache. Welchen Rat? Das alles war wohl eher eine einzige Drohung.
Er nimmt sachte meine Hand und küsst den Handrücken.
„ Alice, nutze deine Magie weise, sonst zerstört sie am Ende noch deine Seele und dich mit dazu."

Hello Devil, nice to meet you!  Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt