Kapitel 112

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Wie brechen durch die Wasseroberfläche und ich schnappe nach Luft. Meine Lungen füllen sich endlich mit Sauerstoff und Tränen treten mir in die Augen. Ich huste und versuche dabei gleichzeitig zu atmen. Das war knapp. Egal wie ich es drehe.
Meine Flügel halten uns stabil und gleichmäßig über der Oberfläche. Wie ich das geschafft habe, wie lange ich die Kraft habe uns zu tragen und wie man überhaupt fliegt werde ich wohl herausfinde während ich es mache. Die Klippen über uns erstrecken sich meterweit nach oben und bilden eine beeindruckende Aussicht. Jonathan hängt leblos in meinem Arme. Ich halte ihn fest umklammert, aber ich habe Sorge er könnte jederzeit fallen. Auch wenn meine Flügel uns sicher tragen, so kann ich das von meinen Armen sie sein Gewicht halten nicht behaupten.
Wir müssen hier raus, sofort. Mit kräftigen Flügelschlägen bringe ich uns in wenigen Sekunden zum Rand der Klippe. Mein fester Blick wandert über die Angreifer, die an der Klippen stehen und zu mir hoch sehen.
Nach kurzer Zeit finden meine Augen die von Marc. Er starrt mich aus schwarzen, wütenden Augen an. Ich erwidere seinen Blick mit der selben Intensität. Wenn wir uns das nächste mal sehen wird einer von uns sterben. Das weiß ich bereits jetzt. Er oder ich, denn ich werde mich rächen, egal was es mich kostet. Nicht für meine Schmerzen, sondern für das was er meinen Eltern und Jonathan angetan hat. Dafür wird er zahlen.

Bevor sie mich noch abschließen wende ich mich ab und fliege Richtung Wald. „Kannst du mich hören Jonathan? Halte durch, gleich sind wir da und ich kann dir helfen. Ja? Bitte bleibt bei mir." Ich umgreife ihn noch fester was im ein Stöhnen entlockt. Immerhin ein Zeichen das er lebt.
„Alice.. es.." er bricht ab, seine Stimme ist nur noch ein leiser Hauch und durch den starken Wind fast nicht zu hören. „Es tut mir leid."
Tränen steigen mir in die Augen, er muss durchhalten.
„Dir muss nichts leid tun, du hast mich gerettet."
„Ich liebe dich, Schwesterchen."
„Ich dich auch und wir werden noch viele gemeinsame Jahre verbringen. Sachen erleben und Erinnerungen sammeln, hörst du? Lass mich ja nicht allein hier!?" Er schnaubt leise auf, was wohl ein Lachen sein soll.
„Geht klar du kleiner Teufel, ich bleibe für immer bei dir." seine Stimme ist so leise, dass ich fast nichts mehr verstehe. Ich muss landen, er braucht Hilfe. Doch wenn ich noch zu nahe an Marc bin können sie uns noch schnappen.
Jonathan sackt leicht in sich zusammen und seine Arme hängen nun leblos von seine Seite.
Sofort verstehen ich was passiert. Er stirbt, hier in einen armen, durchnässt, mit drei Messen im Rücken, 10 Meter über den Boden und irgendwo am Arsch der Welt. Sofort begebe ich mich in einen Sturzflug. Ich lande eher schlecht als recht zwischen einigen Bäumen auf einer Lichtung.

Ich ziehe Jonathan in meinen Schoß und bette seinen Kopf in meinem Arm. Ablegen kann ich ihn nicht, sonst würden sich die Dolche nur tiefer in seinen Rücken bohren. Seine Augen sind geschlossen und sein Gesicht sieht beinahe friedlich aus. Panik erfasst mich, ist der tot?
Ich taste mit zitternden Händen nach seinem Hals, da ist nichts. Ich packe ihn fester und ziehe ihn näher an mich heran. Er ist eiskalt.
Mein Hals ist wie zugeschnürt und ich bekomme keinen Ton mehr raus. Unermüdlich laufen mir Tränen über die Wangen die es mir erschweren auch nur irgendwas zu erkennen.
Wie konnte das passieren? Wie konnte ich es soweit kommen lassen?
Ich versuche mich auf die einzige Option zu konzentrieren die mit jetzt noch bleibt, ich brauche meine Kräfte und am Besten alles davon.

Meine Augen zucken unkontrolliert über seinen Körper. Komm schon! Ich horche in mich. Meine Kräfte sind da, ich kann sie spüren. Aber ich spüre sie so schwach, dass ich damit nicht mal eine Blume retten könnte.
Ich lege meine Hand auf seine Brust, alles in mir pulsiert während ich krampfhaft versuche endlich meine Kräfte entfesseln zu können. Meine Hand ist so angespannt, das meine Adern leicht hervortreten, darunter pulsiert schwarzes Blut. Was auch immer sie mir gespritzt haben, ist noch in meinem Körper und verhindert, dass ich meine Kräfte nutzen kann.
„Ich schaff das, halte solange durch. Du darfst nicht sterben!" erst jetzt fällt mir auf, das sein Blut bereits überall verteilt ist. Ein lauter Schrei entfährt meiner Kehle, den ich nicht mehr unterdrücken kann. Mein Blut scheint mittlerweile zu brodeln. Ich kämpfe gegen meinen eigenen Körper an und wenn es so weiter geht, wird es mich zerreißen. Ich versuche mit Gewalt meine Kräfte zu beschwören, während mein eigener Körper es verhindert.

Wütend versuche ich es weiter, bis mir irgendwann das hilflose Gefühl der Machtlosigkeit übermannt. Ich werde es nicht schaffen. Ich kann meine Kräfte nicht nutzen. Nicht jetzt und vielleicht nie wieder.
Resignation macht sich in mir breit, denn wenn ich sie jetzt nicht nutze, kommt jede Hilfe für Jonathan zu spät. Ich ziehe in an mich und versuche es erneut. Die Zeit vergeht und mit jeder Minute werde ich panischer, verzweifelter aber auch wütender. Ich schreie unkontrolliert in der Hoffnung doch noch meine Kräfte zu erreichen.
Kurz bevor ich das Bewusstsein verleihe gebe ich auf. Alles schmerzt und aus meinen Ohren und Nase läuft warme Flüssigkeit. Ich wische über meine Nase und erkenne dickflüssiges schwarzes Blut auf meinem Handrücken. Wie lange wir hier bereits sitzen, weiß ich nicht. Aber mein ganzer Körper zittert und langsam sickert das Ausmaß des Fluchtversuchs zu mir durch. Jonathan ist Tod. Und ich kann ihm nicht helfen. Die Zeit in der ich ihm helfen könnte ist sicherlich bereits vergangen. Mein Kopf sinkt auf seine Brust und meine Tränen laufen nun in Strömen über mein Gesicht. Ich schluchzte und schrie und drücke mich immer fester an ihn.
„Es tut mir leid. Es tut mir leid. Es tut mir leid."
Meine Stimme ist nur ein wimmern.
Wie lange ich an ihn gepresst auf dem Boden sitze kann ich nicht sagen.
Irgendwann ziehe ich vorsichtig die Messer aus seinem Rücken und lege sie neben uns. Ich lege ihn sachte auf den Boden ab und mich an ihn gedrückt neben ihm. In mir ist eine unfassbare Leere. Der einzige Gedanke den ich habe ist der meines toten Bruders. Meine Tränen stoppen nach einer Weile und ich liege ausgebrannt neben ihm. Ich liege einfach da streiche sachte seinen Arm und flüstere ihm beruhigende Worte zu.

So vergehen Stunden. Mein Kleidung ist mittlerweile getrocknet. Und klebt wegen des Blutes an meinem Körper. Mein Gefühl für Zeit habe ich verloren. Ich setzt mich auch und Blick auf Jonathan. Der Anblick seines toten Körpers, der langsam starr wird lässt mich würgen.
Ich laufe einige Schritte in den Wald und übergebe mich. Was ich übergebe ist schwarz und stinkt noch schlimmer als Galle.
Weshalb ich mich gleich erneut übergeben muss.
Ich trotte zu Jonathan zurück und setze mich zu ihm. Seine Hand lege ich in meine. Nachdem ich eine Zeit gedankenlos in der Stille verbringe, wird mir langsam bewusst, wie meine Kräfte wieder zurück kommen. Es dauert seine Zeit, doch sie werden schnell stärker. Hoffnung macht sich unweigerlich in mir breit.

Hello Devil, nice to meet you!  Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt