Kapitel 94

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Schnell streife ich mir die Uniform des Mannes über und laufe dicht hinter Luzifer aus der Zelle hinaus. Sachte greift er nach meiner Hand und führt mich hinter sich her. Ein zufriedenes Lächeln bildet sich auf meinen Lippen. Draußen im Gang knien noch immer ehrfürchtig die Wächter. Wie hätten sie auch ahnen können, dass der König der Hölle dumm genug ist, sich in seinen eigenen Kerker zu teleportieren?
Naja, wenn man es genau nimmt, hat er sich ja nicht mal selbst dort hin teleportiert.
„Komm mit, es wird Zeit zu gehen." Er läuft einige Schritte durch den Gang, bis wir um eine Ecke biegen und so außer Sichtweite der Wachen sind.
Er zieht mich an seinen immer noch nackten Oberkörper. Ich hebe vorsichtig meinen Blick und schaue tief in seine Augen. Dann stelle ich mich leicht auf die Zehenspitzen und meine Lippen streifen so hauchzart seine, fast als wolle ich ihn nur ärgern. Auf seinen Lippen bildet sich ein Lächeln.
Meine Hand fährt sachte über seinen markanten Unterkiefer.
„Dieses Mal lasse ich Euch den Vortritt, uns hier weg zu bringen, Eure Hoheit."
„Ganz wie du wünschst, meine Schöne."

Im nächsten Moment stehen wir in seinem Büro. Nicht ganz der Ort, den ich erwartet hatte, aber ich muss zugeben, es gefällt mir hier irgendwie.
„Warum bringst du uns ausgerechnet hierher?"
„Ich wollte nur sichergehen, dass wir komplett ungestört sind. Dieses Zimmer betritt niemand ohne meine Einwilligung; das kann man von meinem Schlafzimmer nicht gerade behaupten. Abgesehen davon: wenn mich noch einer stört und mich von deinen süßen Lippen verdrängt, kann ich nicht mehr garantieren, mich ihm gegenüber beherrschen zu können."
Er presst meinen Körper bestimmt an den großen Schreibtisch und ich ziehe scharf die Luft ein.

Mit einer schnellen Bewegung dreht er mich, sodass ich nicht mehr ihn anschaue, sondern Richtung Tür stehe.
Quälend langsam fängt er an, meine Jacke auszuziehen. Bis sie schlussendlich mit einem leisen Geräusch auf dem Boden landet.
„Wenn du schon die Kleidung eines Mannes an hast, dann doch bitte meine. Der Geruch eines anderen Mannes an dir macht mich wahnsinnig."
Ich lasse meinen Hinterkopf an seinen Oberkörper fallen und vergrabe meine Hand in seinen weichen Haaren.
Dabei verteilt er zärtliche Küsse auf meiner nackten Schulter und meinen Hals entlang.
Leise entfährt mir ein Stöhnen. Um ihm noch mehr Zugang zu meinem Hals zu gewähren, lasse ich meinen Kopf zur Seite fallen und kurz bevor meine Augen zu fallen, fällt mir ein Objekt auf seinem Schreibtisch ins Auge. Es ist eine Mappe, dünn und unscheinbar, doch die Worte, die vorne gedruckt stehen, lassen mich in meiner Bewegung stoppen: ‚Jonathan Hunter: Gefährlich'.
Ich taste mit zittrigen Händen danach, während Luzifer eine Hand tief in meinen Haaren vergräbt, was mir erneut ein Stöhnen entlockt.
Ich schlage die Mappe auf und entdecke auf Anhieb einen Stapel voller Bilder, die zum Teil nur Jonathan zeigen, aber auch uns beide mit Alex.
„L.. Luzifer.." weiter komme ich nicht, da er mein Gesicht zu sich herumzieht und mich küsst.

Verdammt, konzentriere dich.
Dass er Jonathan überwacht ist nicht mal überraschend. Die Aussage, dass er gefährlich ist, stört mich jedoch.
Langsam lösen sich unsere Lippen.
Seine Augen mustern meine kurz, als würde er ahnen, dass etwas nicht stimmt.
Ich tippe mit meinen Fingern hörbar auf die Mappe.
Sein Blick folgt meinem Arm bis zu meinen Fingern, die auf dem Tisch ruhen.
„Verdammt, das sollte hier nicht herum liegen." Ach was.
„Was soll das bedeuten ‚Gefährlich'?"
Er weicht meinem Blick aus.
„Luzifer, wir sind doch ein Team. Ich will mich nicht schon wieder mit dir streiten, vor allem nicht jetzt.
Was hast du herausgefunden?"
Er streichelt sachte über meinen Arm und schaut mir tief in meine Augen.
„Nichts, und genau das bereitet mir Sorgen. Es ist, als ob er, bevor er in deinem Leben aufgetreten ist, nicht existiert hat."
„Deshalb ist er doch nicht gleich gefährlich."
„Aber vertrauenswürdig macht es ihn auch nicht. Uns steht ein Krieg bevor, wir.."
„Ich denke, genau das ist dein Problem. Du suchst krampfhaft nach irgendwelchen Gefahren. Kann es nicht einfach sein, dass er genau der ist, für den ich ihn halte?
Mein Bruder, der nicht liebevoller und netter hätte sein können.
Der einfach aus Glück und Zufall genau jetzt in mein Leben tritt?"
„Nein, das kann es nicht. Hörst du nicht, wie naiv du klingst? Ich bin schon zu lange hier, um an solche Zufälle zu glauben."
„Das glaube ich auch. Zu lange in der Hölle, um noch zu hoffen."
Zu lieben.
Den letzen Gedanken spreche ich nicht aus, doch er versetzt mir einen tiefen Stich ins Herz.
Das ist wohl das einzige, das er in mir sieht: ein naives Mädchen.
„Hier geht es doch nicht um mich. Hier geht es darum, dass er eine ernsthafte Gefahr darstellt."
„Warum bist du denn immer so pessimistisch?"
Er lacht halbherzig.
„Ich bin der gottverdammte Teufel! Was erwartest du, wenn man das gesehen hat, was ich hier seit Jahrtausenden sehe?"
Kurz sehe ich den Schmerz in seinen Augen.
Ich strecke meine Hand sachte nach ihm aus und streichle seine Wange.
„Vertrau mir. Jonathan ist nicht böse. Er ist ein guter Mensch, der nichts mit dem hier zu tun hat. Nichts."
„Was, wenn du dich täuschst?" Seine Augen sind dunkel, fast schwarz.
„Das mache ich nicht."
„Hoffen wir es, um seines Willen."
„Du wirst ihm nichts tun. Verstanden?!"
Er hebt abwehrend seine Hände.
„Solange er sich auf die richtig Seite stellt." Seine Augen sind so kalt, so lesbar. Wenn er müsste, würde er alle, die sich ihm in den Weg stellen, ohne auch nur zu zögern, töten.
„Manchmal frage ich mich, ob ich denn auf der richtigen Seite stehe."
„Ali.."

Weiter kommt er nicht. Denn ich teleportiere mich schlichtweg nach Hause.
Müde vom reden.
Müde vom streiten.
Müde vom ständigen hin und her.
Ganz einfach: Unterhaltung beendet.
Ich habe auf das ganze keine Lust, wir drehen uns doch nur im Kreis.
Genervt schnaube ich aus.
Ich wende mich zu meinem Bett herum und zucke vor Schreck zusammen. Denn kein anderer als Luzifer steht vor mir.
Wie sagt man so schön? Vor Problemen wegzurennen ist nie gut.
Denn irgendwann holen Sie einen immer ein.
Immer.

„Was sollte das? Ich bin immer noch dein König, oder zumindest zur Hälfte. Und das letzte Wort zu haben ist definitiv meine Aufgabe." Er macht einen gefährlichen Schritt auf mich zu.
„Ich bin es leid.." Weiter komme ich nicht, da er seine viel zu weichen Lippen bestimmt auf meine drückt.
All meine Proteste und der Wunsch, ihn wegzudrücken, sind schlagartig verschwunden. Verdammt.

„Alice, du musst verstehen: ich sorge mich um dich. Sobald du nicht bei mir bist, habe ich Angst. Angst, dass dir etwas passiert."
Er lacht spöttisch über seine eigene Aussage.
„Angst. Ich bin der verdammte Teufel, ich sollte nicht einmal wissen, wie sich das anfühlt."
Seine Augen landen auf mir und werden weich.
„Was machst du nur mit mir, Alice?
Wenn du da bist, vergesse ich mich selbst."

Hello Devil, nice to meet you!  Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt